Viel Ballast für die türkische Lira
Von Sandra Striffler *)Die türkische Lira hat dieser Tage nichts zu lachen, steht sie doch sowohl gegenüber dem Euro als auch gegenüber dem Dollar unter Abgabedruck und hat hierbei wieder ihre markanten Tiefststände von Anfang Juni im Blick. Was die Sache für die türkische Landeswährung so prekär macht, ist der Umstand, dass die jüngst aufgekommenen Belastungsfaktoren auf eine bereits schon deutlich geschwächte Währung treffen und damit zu einem verschärften Abwärtsdruck führen. Begibt man sich auf die Suche nach ihren Stolpersteinen, wird man sowohl im Land selbst als auch im globalen Umfeld fündig.Bereits seit Langem bereitet der Lira die nur verhaltene Konjunkturentwicklung in der Türkei Sorgen. Nachdem die dortige Wirtschaft in den vergangenen zehn Jahren im Schnitt pro Jahr um knapp 5 % gewachsen ist, geht die türkische Regierung davon aus, dass ihr schon etwas niedriger angesetztes Wachstumsziel von 4 % in diesem Jahr verfehlt wird. Derzeit rechnet sie für das laufende Jahr nur mit einem BIP-Plus zwischen 2 und 2,5 %. An und für sich muss eine konjunkturelle Schwächephase kein Beinbruch für eine Währung sein. Hierfür muss allerdings erkennbar sein, dass entsprechende Maßnahmen zur Überwindung dieser Durststrecke getroffen werden, und zwar von politischer Seite in Form von Strukturreformen und auch von geldpolitischer Seite durch Lockerungen der geldpolitischen Zügel.Beides ist in der Türkei Fehlanzeige. Die dortige Zentralbank (CBRT) bewegt sich im Spannungsfeld zwischen schwacher Konjunktur und einer weiterhin deutlich über dem Zielwert der Notenbank liegenden Inflation. Ihr Fokus liegt auf der Teuerungsrate, hat sie doch in der Vergangenheit immer wieder deutlich gemacht, dass es eine lockerere Geldpolitik mit ihr nur im Fall eines deutlich nachlassenden und vor allem nachhaltig schwächeren Preisdrucks geben wird. Implizit dürfte hinter der harten Haltung der Währungshüter auch das Bemühen um die Wahrung ihrer politischen Unabhängigkeit stehen. Die türkische Regierung fordert die CBRT seit Längerem zum Teil in ungewöhnlich scharfem Ton dazu auf, die Leitzinsen mit Blick auf die konjunkturelle Entwicklung zu senken. Damit schiebt die Politik den Währungshütern den Schwarzen Peter zu. Diesen hat die CBRT allerdings nicht verdient. Vielmehr darf man auch nicht vergessen, dass die türkische Politik nicht erst seit der Wahlschlappe der AKP bei den Parlamentswahlen Anfang Juni besonders mit sich selbst beschäftigt ist und weniger mit den eigentlichen, drängenden Wirtschaftsfragen.Das Problem für die eher risikoscheue Lira ist hier, dass sich der Versuch, eine Regierungskoalition auf die Beine zu stellen, schon lange hinzieht und es derzeit nicht nach produktiven Fortschritten und einer baldigen Lösung aussieht. Man kann sich nicht des Eindrucks erwehren, dass die Verhandlungen unter dem Motto “Mit dem kann ich nicht und mit dem will ich nicht” stehen. Sollten sich die Parteien nicht bis Ende des Monats auf eine Koalition verständigt haben, dürfte es im November Neuwahlen geben. Bereits seit Längerem wird unter politischen Beobachtern gemunkelt, dass die AKP zwar vordergründig um die Bildung einer Koalition bemüht ist, insgeheim jedoch über Neuwahlen nicht traurig wäre. Hierbei wird ihr unterstellt, dass sie darauf setzt, dass ein Großteil der türkischen Bevölkerung bei einem erneuten Urnengang letztendlich der AKP ihre Stimme geben könnte. Zwar nicht aus Überzeugung, aber aus Sorge vor einer nachhaltig instabilen politischen Situation, welche mittelfristig für die Wirtschaft und damit auch für den Wohlstand der Bürger negative Konsequenzen hätte.Auch der sich zuletzt massiv zugespitzte Konflikt im türkisch-syrischen Grenzgebiet sollte nicht isoliert von etwaigen Neuwahlen betrachtet werden, dürfte doch die bei den Parlamentswahlen im Juni ein überraschend gutes Ergebnis erzielte Kurdenpartei HDP bei einer erneuten Stimmabgabe eine wichtige Rolle spielen. Zuletzt wurden Meldungen laut, wonach Präsident Erdogan versuchen könnte, diese Partei vor dem Hintergrund der jüngsten Eskalationen der Spannungen zwischen der Regierung und der kurdischen Seite verbieten zu lassen und damit die Chancen auf eine absolute Mehrheit der AKP zu erhöhen. China bereitet SorgenUnd als ob diese Gemengelage aus nationalen fundamentalen und (sicherheits)politischen Problemen nicht schon genug Ballast für die türkische Landeswährung wäre, lädt der Markt auch noch seine Sorgen in Form der Furcht vor einem “Hard Landing” der chinesischen Wirtschaft, welche sich u.a. in einer global erhöhten Risikoaversion widerspiegelt, auf ihren Schultern ab. In die Kategorie der globalen Belastungsfaktoren gehört zudem die Markterwartung, wonach die Fed die Leitzinswende bereits im September und damit früher als angenommen einleiten könnte. Nachdem die großen EM-Währungen in den vergangenen Jahren von den niedrigen Zinsen in den großen Industriestaaten profitiert haben, ist es nicht verwunderlich, dass sie die Aussicht auf wieder steigende Zinsen in den USA verunsichert. Zwar sollte die US-Leitzinswende nicht dahingehend interpretiert werden, dass die Zinsen in den USA rasch ansteigen werden. Allerdings ist dieser Schritt der Fed von symbolischer Bedeutung, markiert sie doch den Beginn einer neuen geldpolitischen Ära.Festzuhalten bleibt, dass die Lira derzeit von allem nur das Schlechteste erfährt. Neben den nationalen Widrigkeiten machen ihr auch die globalen Rahmenbedingungen zu schaffen. Unserer Ansicht nach wird sich zunächst nur wenig an der verfahrenen Lage der Lira ändern, so dass auf Sicht der kommenden Wochen weitere Kursverluste der türkischen Landeswährung einkalkuliert werden sollten. Neben dem verhaltenen fundamentalen Ausblick unterstreicht auch die Charttechnik die Abwärtsgefahren. Denn nimmt man das Chartbild von Euro/Lira näher unter die Lupe, erkennt man einen seit Anfang des Jahres intakten Aufwärtstrendkanal. Dieser verläuft aktuell zwischen rund 2,8930 Lira und 3,2095 Lira und weist zusammen mit den überwiegend Euro-freundlichen Monatsindikatoren der Gemeinschaftswährung gegenüber der Lira weiter den Weg gen Norden. Wir gestehen daher Euro/Lira auf Sicht der nächsten Wochen das Potenzial zu, sich bis in den Bereich der eben genannten Widerstandslinie vorzukämpfen. Auch mit Blick auf Dollar/Lira unterstreicht die charttechnische Sicht die fundamentale Einschätzung, bewegt sich doch auch hier das Währungspaar in einem intakten Aufwärtstrendkanal. Luftige Niveaus im Bereich der Marke von 2,90 TRY sollten mittelfristig nicht verwundern.—-*) Sandra Striffler ist Devisenanalystin bei der DZ Bank.