TURBULENZEN AN DEN FINANZMÄRKTEN - GASTBEITRAG

Vieles spricht für einen Minsky-Moment

Börsen-Zeitung, 17.3.2020 Erleben die globalen Finanzmärkte derzeit einen klassischen Minsky-Moment? Diese Frage mag für den Laien kryptisch klingen, lässt professionelle Finanzmarktteilnehmer aber aufhorchen. Bei diesem Phänomen, das auf den...

Vieles spricht für einen Minsky-Moment

Erleben die globalen Finanzmärkte derzeit einen klassischen Minsky-Moment? Diese Frage mag für den Laien kryptisch klingen, lässt professionelle Finanzmarktteilnehmer aber aufhorchen. Bei diesem Phänomen, das auf den amerikanischen Wirtschaftswissenschaftler Hyman Minsky zurückgeht, kommt es nach einer längeren Phase steigender Vermögenspreise und übermäßiger Risikonahme durch Investoren zu einem plötzlichen Einbruch an den Assetmärkten, der nachfolgend in eine sich selbst verstärkende Abwärtsspirale übergeht.Die zuletzt extremen Bewegungen an den Finanzmärkten entsprechen zweifelsohne diesem Muster – aber sind auch weitere Voraussetzungen für eine Minsky-Bewegung erfüllt? Vieles spricht dafür. So haben erstens Covid- 19 und kollabierende Ölpreise die bereits fragile, spätzyklische Weltwirtschaft in ein rezessives Umfeld gestürzt. Zwar bedarf es zur Auslösung eines Minsky-Moments keines exogenen Ereignisses. Der aktuell synchrone Angebots- und Nachfrageschock stellt aus ökonomischer Sicht jedoch einen perfekten Sturm dar, der die Finanzmärkte mit voller Wucht trifft.Geld- und fiskalpolitische Lockerungsmaßnahmen können den Konjunktureinbruch mildern, werden ihn aber nicht verhindern. Eine globale Rezession dürfte aus Anlegersicht zunehmend zum Basisszenario werden. Für die Vereinigten Staaten signalisieren unsere strukturellen und finanzmarktbasierten Modelle auf Sicht der kommenden zwölf Monate mittlerweile eine Rezessionswahrscheinlichkeit von mehr als 80 %.Hinzu kommt zweitens eine mangelnde Risikotragfähigkeit vieler Investoren vor dem Hintergrund steigender Marktvolatilität und fallender Assetpreise. Viele Anleger sind in einem Umfeld niedriger bzw. negativer Staatsanleiherenditen in den letzten Jahren die Risikoleiter hinauf- bzw. die Liquiditätsleiter herabgestiegen, um ihre Zielrenditen zu erreichen. Dies führte zu Investitionen in Assetklassen, deren potenzielle Abwärtsrisiken oftmals ausgeblendet wurden. Die lange Zeit niedrige Volatilität in den Finanzmärkten hat zu einer Überschätzung der eigenen Risikotragfähigkeit beigetragen. AbwärtsspiraleBeide Entwicklungen wurden durch eine weltweit übermäßig expansive Geldpolitik der Notenbanken aktiv gefördert. Zwangsverkäufe aufgrund unzureichender und erschöpfter Risikobudgets könnten zusammen mit den zeitlich verzögerten Liquidationen durch passive Investoren und ETFs zu einer sich selbst verstärkenden Abwärtsspirale in den Risikoassetmärkten führen. Dies würde den Glattstellungen schuldenfinanzierter Risikopositionen in einem klassischen Minsky-Zyklus ähneln. Die nicht zuletzt durch regulatorische Vorgaben strukturell verschlechterte Marktliquidität wirkt in diesem Zusammenhang volatilitätsverstärkend. Sorgloses VerhaltenDrittens gab es an den Märkten einen zunehmenden Glauben an ein neues Regime. “This time is different” – nach vielen Jahren steigender Vermögenspreise glaubten viele Investoren ähnlich wie in früheren Übertreibungsphasen, dass dieses Mal vieles oder alles anders sei. Übliche Bewertungsmaße für Vermögenspreise wurden zunehmend ignoriert. Die Alternativlosigkeit (TINA – “There is no alternative”) einer Investition in riskante Assets unabhängig von der Risikoprämie sowie die Angst, die nächste Rally zu verpassen, (FOMO – “Fear of missing out”) dominierten. Dieses sorglose Verhalten rächt sich nun und führt zu einem schmerzhaften Anpassungsprozess in vielen Portfolios.Viertens neigen Investoren dazu, Warnzeichen auszublenden und sehenden Auges in Marktkorrekturen zu laufen. Der Blick auf die Finanzkrise 2008 liefert hierzu ein perfektes Beispiel: Der Einbruch am US-Immobilienmarkt als Auslöser der Verwerfungen war bereits ab 2006 deutlich sichtbar. Der US-Aktienmarkt erzielte seinen Hochpunkt allerdings erst im Oktober 2007, fast zeitgleich mit dem Ausbruch der Rezession. Auch am aktuellen Rand wurden die Warnzeichen einer schwachen und anfälligen Weltwirtschaft lange Zeit ausgeblendet. Die verspätete Reaktion der Finanzmärkte auf nachhaltige Änderungen des fundamentalen Umfelds lässt die folgenden Anpassungsbewegungen in den Finanzmärkten umso deutlicher ausfallen.Offensichtlich deutet also eine Vielzahl von Faktoren darauf hin, dass wir uns aktuell in einer Minsky-Spirale befinden. Abwärtsrisiken für risikoreiche Assets dominieren somit weiterhin. Was bedeutet dies für die Devisenmärkte? Für den US-Dollar ergibt sich insgesamt ein gemischtes Bild. Das rezessive globale Konjunkturumfeld, steigende Finanzstabilitätsrisiken und die anhaltend hohe Risikoaversion sprechen für klassische “Fluchtwährungen” wie den Schweizer Franken und den japanischen Yen. Euro tendenziell unterstütztDer Euro dürfte gegenüber dem Dollar tendenziell unterstützt werden, da sich der Renditevorsprung der USA verringert und weil die Währungsunion im Gegensatz zu den Vereinigten Staaten einen hohen Leistungsbilanzüberschuss aufweist. Demgegenüber sollten die Währungen vieler Schwellenländer unter Druck bleiben. Gleiches gilt für die kleineren, offenen Volkswirtschaften der G10-Industrieländer, aufgrund ihrer signifikanten internen oder externen Ungleichgewichte beziehungsweise ihrer hohen Rohstoffabhängigkeit.—-Martin Hochstein, Senior Investment Strategist bei Allianz Global Investors