GELD ODER BRIEF

Von der CIA an die Börse

Von Dieter Kuckelkorn, Frankfurt Börsen-Zeitung, 2.10.2020 Die meisten Amerikaner wissen vermutlich nichts über Palantir Technologies, den Datendienstleister, der jetzt in New York an die Börse gegangen ist. Palantir hingegen dürfte alles über die...

Von der CIA an die Börse

Von Dieter Kuckelkorn, FrankfurtDie meisten Amerikaner wissen vermutlich nichts über Palantir Technologies, den Datendienstleister, der jetzt in New York an die Börse gegangen ist. Palantir hingegen dürfte alles über die Bürger wissen. Das Unternehmen bietet Software und Dienstleistungen zur Analyse großer Datenmengen (Data Mining”) an, wobei die US-Geheimdienste und andere amerikanische Sicherheitsbehörden die wichtigsten Kunden sind. Gegründet wurde die Firma 2003 von dem bekannten Technologieinvestor, Milliardär und Paypal-Miterfinder Peter Thiel, wobei hartnäckig das Gerücht umgeht, dass der US-Geheimdienst Central Intelligence Agency (CIA) dazu das Geld bereitgestellt hat. Palantir ist übrigens benannt nach den “sehenden Steinen” aus der Fantasy-Romanserie “Herr der Ringe” von J.R.R. Tolkien. Mit den transparenten Steinen ließen sich Szenen an anderen Orten und aus anderen Zeiten sichtbar machen – über einschlägige Datenschutzbestimmungen in Mittelerde, die derartige Praktiken verboten hätten, schreibt Tolkien in seinen Romanen nichts. Auf direktem WegDas Unternehmen hat im Rahmen des jetzt in den USA möglichen Direct Listing ohne ein klassisches Initial Public Offering und die damit verbundene Inanspruchnahme von Investmentbanken als Underwriter den Weg aufs Börsenparkett gefunden. Die New York Stock Exchange (Nyse) legte vor Beginn des Handels am Mittwoch den Referenzpreis der Aktie auf 7,25 Dollar fest, was dem Unternehmen eine Bewertung von 16 Mrd. Dollar gab. Die Börsensitzung beendete die Aktie zu 9,73 Dollar, womit Palantir auf dieser Basis auf eine Marktkapitalisierung von rund 21 Mrd. Dollar kommt. Angeboten wurden 257 Millionen von insgesamt 2,2 Mrd. Aktien.Die wichtigsten Kunden von Palantir sind praktisch sämtliche Behörden und Ministerien aus dem amerikanischen Sicherheitsapparat, aber auch die Armee sowie ausländische Regierungen und dazu große Konzerne. Dadurch weist das Unternehmen ein enormes Großkundenrisiko auf, was aber praktisch wegen des hohen Regierungsanteils von 53 % kaum zum Tragen kommt. “Palantir Gotham” als eines der beiden wichtigsten Produkte bietet Regierungen die Möglichkeit, eine Vielzahl von Daten über Bürger aus öffentlichen und nicht öffentlichen Quellen zu integrieren und auszuwerten und beispielsweise für Ermittlungen zu nutzen. Die Spannweite reicht von in den Datenbanken der Behörden vorhandenen Informationen über Aufnahmen öffentlicher Überwachungskameras bis hin zu den Inhalten aus den Social Media und noch vielem mehr. In dieselbe Richtung geht das zweite Produkt “Palantir Foundry”. Palantir wurde dabei gegründet, um ein großes Problem zu lösen: Vor 2004 wussten die amerikanischen Sicherheitsbehörden auch schon viel über die US-Bürger, allerdings waren die Informationen auf viele Datenbanken verteilt und nicht zentral verfügbar, dafür aber schwer zu interpretieren. Mit den Palantir-Produkten konnte die US-Regierung hingegen den Traum vom gläsernen Bürger realisieren, was sich nicht nur bei der Bekämpfung von Terrorismus als nützlich erwiesen hat, sondern auch aktuell in Zeiten von sozialen Unruhen für deren Bekämpfung von zentraler Bedeutung sein kann.Dabei folgt Palantir einem Trend, der seit Jahren in den USA zu beobachten ist. Staatliche Aktivitäten werden auf private Unternehmen ausgegliedert, weil sie dort weniger strikten Gesetzen unterworfen sind und sich die Akteure dann auch noch auf die Wahrung von Geschäftsgeheimnissen berufen können. Ein gutes Beispiel dafür ist auch das Raumfahrtunternehmen SpaceX des anderen Paypal-Gründers Elon Musk, das quasi die ausgelagerte Entwicklungsabteilung der Raumfahrtbehörde Nasa darstellt, dabei aber nicht an deren strikte Ausschreibungsbedingungen für Aufträge gebunden ist und nebenbei aufgrund der hohen Intransparenz hauptsächlich militärische Projekte als zivile Aktivitäten tarnen kann. Teure ProdukteDie Produkte von Palantir sind aufwendig und gelten als teuer, viele örtliche Polizeibehörden in den USA haben daher Probleme, sie sich leisten zu können. Gleichwohl hat Palantir in ihrer gesamten Unternehmensgeschichte noch niemals einen Gewinn erwirtschaftet. Im vergangenen Jahr ergab sich ein Nettoverlust von 580 Mill. Dollar, bei Erlösen von 742 Mill. Dollar. Immerhin sind die Produkte von Palantir sehr gefragt, denn das Unternehmen kam auf einen Erlösanstieg von mehr als 25 %. Im ersten Halbjahr 2020 betrug das Umsatzwachstum im Vorjahresvergleich sogar mehr als 49 % auf 481,2 Mill. Dollar. Angesichts der politischen Lage im Land wächst offensichtlich der Bedarf der Behörden an Überwachungstechnologien. Potenzial für die Expansion des Unternehmens – und damit die Chance zum Überschreiten der Gewinnschwelle – gibt es mehr als genug. Das Unternehmen selbst beziffert sein mögliches Marktpotenzial mit rund 119 Mrd. Dollar. Bewertet wird die Aktie ungefähr mit dem 16-Fachen der Erlöse. Damit sind die Titel teuerer als Microsoft oder Salesforce.com, aber deutlich billiger als jüngst an die Börse gekommene Unternehmen wie Snowflake, die auf eine Bewertung von mehr als das 100-Fache der Erlöse kommen. Dasselbe gilt für den Krisengewinner Zoom, der den Börsengang im Frühjahr 2019 absolviert hat. Nichts für ESG-InvestorenWeniger interessant sein dürfte die Aktie des Unternehmens hingegen für Anleger, die auf ESG-Kriterien (Umwelt, Soziales, gute Governance) Wert legen. So teilte Amnesty International zum Börsengang mit, es bestehe ein hohes Risiko, dass die Produkte von Palantir zur Verletzung von Menschenrechten benutzt würden. Außerdem ist die Transparenz des Unternehmens hinsichtlich seiner Aktivitäten aufgrund der Geschäftsfelder naturgemäß sehr eng umgrenzt, so dass Aktionäre im Grunde eine Wundertüte kaufen. Hinzu kommt, dass die drei Großaktionäre Thiel, CEO Alex Karp und President Stephen Cohen auf Dauer die Mehrheit der Stimmrechte behalten werden. Dementsprechend halten sich auch die Analysten zurück. Factset hat einen einzigen Analysten gelistet, der die Aktie auf seinem Radarschirm hat. Er rät zum Übergewichten.