IM INTERVIEW: SERGIO TRIGO PAZ, BLACKROCK

"Von einer globalisierten Ökonomie zu Protektionismus"

Leiter des Teams für Schwellenländer-Anleihen bevorzugt Rohstoff- gegenüber Industriegüter-Exporteuren - Skepsis gegenüber der Türkei - Risiko Populismus

"Von einer globalisierten Ökonomie zu Protektionismus"

– Herr Trigo Paz, was ist der “individuelle Investmentansatz”, von dem BlackRock in Hinblick auf Schwellenländer-Anleihen spricht?Wir sind ein bisschen wie eine Investment-Boutique innerhalb von BlackRock. Es gibt keine Hausmeinung, niemand der unserem Bereich vorgibt, welche Erwartungen wir beispielsweise an den Dollar-Kurs oder für die Zinsentwicklung haben sollen. Wir sind also unabhängig und ich kann eine andere Positionierung als unser Chefanlagestratege Rick Rieder haben.- Das bedeutet für Ihr Team also mehr Unabhängigkeit?Exakt. Und ich bin auch voll verantwortlich für meine Anlageentscheidungen. Wir gehen von fünf Faktoren aus, welche auf die Entwicklung von Schwellenländer-Anleihen einwirken und die jeweils einen unterschiedlichen Einfluss haben. Es geht also nicht nur um eine Fundamentalanalyse, sondern auch darum, zu schauen, was den Markt gerade beeinflusst – und ob dies den Markt auch morgen noch antreiben wird. Die fünf Faktoren sind: Geldpolitik, wirtschaftliche Fundamentaldaten, individuelle Risiken, Investmentflüsse und Risikobereitschaft.- Was sagen die fünf Faktoren für Anlagen in Schwellenländer-Anleihen derzeit aus? Senden Sie einheitliche Signale?Wir erleben derzeit auf allen Ebenen einen großen Übergang. In der Geldpolitik läuft der Übergang von der unkonventionellen Geldpolitik, der quantitativen Lockerung, hin zu einer Normalisierung. Das wird allerdings eine Weile dauern, wir hatten schließlich neun Jahre mit quantitativer Lockerung – und wir wissen noch nicht, wie viele Jahre der Normalisierung wir haben werden. Damit haben wir durch die Bank ein negatives Umfeld für Anleihen. Viele Bond-Investoren werden Verluste erzielen.- Was bedeutet das für die Schwellenländer?Dieser Trend drängt Investoren in Richtung Hochzinsanleihen und Schwellenländer. Das sind die einzigen Orte, an denen sie in den kommenden Jahren darauf hoffen dürfen, einen positiven Gesamtertrag zu erzielen.- Wie spiegelt sich der von Ihnen auch als “Great Transition” bezeichnete Übergang in den Fundamentaldaten wider?Es gibt eine Veränderung von der fiskalischen Austerität hin zum fiskalischen Stimulus. Das führt zu einem inflationären Umfeld, und wenn dies wie in den USA in Form von Infrastrukturausgaben erfolgt, dann werden davon in den Schwellenländern die Rohstoffexporteure profitieren. Nur weil man in den USA eine Mauer bauen will, wird man nicht auch neue Kupferlagerstätten im Land selbst finden. Wir sehen auch die Veränderung von traditioneller zu populistischer Politik, was den Investmenthorizont manchmal sehr stark verändert. Für Unternehmen sind die Schritte populistischer Regierungen sehr schwierig vorhersagbar – und am Ende sagen sie ihre Investitionen ab. In den Schwellenländern werden diejenigen, die wie Mexiko oder China nicht die Gnade der derzeitigen US-Regierung finden, letztlich mehr Volatilität sehen, auch wenn ihre Fundamentaldaten solide sind. Die Konsequenz als Investor ist, dass man in diesen Ländern nicht sein muss.- Sehen Sie auch Bewegung bei den Zu- und Abflüssen von Anlagen in Schwellenländern?Es könnte sich eine Entwicklung von einer globalisierten Ökonomie hin zu mehr Protektionismus abzeichnen – nicht nur in den USA, sondern auch in Europa, denken Sie an den Brexit. In den Schwellenländern würden insbesondere die Exporteure von Industriegütern von Einfuhrbeschränkungen getroffen. Das kann Auswirkungen auf ihre Umsätze haben, wie für die Rohstoffexporteure beim Einbruch der Ölpreise vor drei Jahren.- Betrachten wir die genannten Faktoren, welche Anlageentscheidung lässt sich daraus ableiten?Der Faktor Geldpolitik sagt Ihnen, in Hochzins- und Schwellenländeranleihen zu investieren. Der zweite Faktor Fundamentaldaten spricht für den Kauf von Rohstoffexporteuren, länderspezifische Risiken dafür, Mexiko und möglicherweise Südostasien zu meiden. Und schließlich sagt der vierte Faktor, dass Sie Industriegüter-Exporteure besser untergewichten sollten. Setzt man dies um, so endet man bei einem sehr aktiven Long-Short-Portfolio. Dessen Vorteil liegt darin, dass man die Duration – also die Kapitalbindungsdauer – nicht so sehr im Blick haben muss. Setzt man dies in Währungen um, so muss man nur eine Meinung darüber haben, in welche Richtung sich der Dollar bewegt. Solange man sich long auf Rohstoffexporteure und short auf Industriegüterexporteure positioniert, ist man neutral zum Dollar eingestellt. Zusammen mit einem Carry, also dem Ertrag aus den Zinsdifferenzen, kann man einen Gesamtertrag von 4 % erwarten. Wir wissen allerdings nicht, wann die Lage wieder volatiler wird.- Mit der Normalisierung des US-Zinsniveaus verschwindet der Carry wieder?Beim Übergang zu einem global höheren Zinsniveau möchten Anleger wahrscheinlich eine neutrale Position bei der Duration ihres Portfolios und beim Dollar einnehmen. Unser Long-Short-Portfolio besitzt Risiken, aber es bietet einen Zinsvorsprung von 2 bis 4 Prozentpunkten.- Es ist schwer, von der Anlageklassen Schwellenländer-Währungen zu sprechen. Aber dennoch, wie sehen Sie die Lage im Hinblick auf Ratings, Ausfallraten und Zinsänderungsrisiken?Auf fundamentaler Seite sieht man beispielsweise die Rohstoffexporteure, die nach dem Preisverfall einige Hausaufgaben zu erledigen hatten – und deren Fundamentaldaten sich wie in Russland, Kasachstan, Brasilien oder Kolumbien deutlich verbessert haben. Zugleich hat man in den vergangenen Jahren einige am Markt beliebte Industriegüter-Exporteure gesehen, die zudem wie Indien und Mexiko Reformen durchgeführt haben. Und dann gab es Industriegüter-Exporteure wie die Türkei oder Südafrika, die ihre Hausaufgaben nicht erledigten. Bei Mexiko gingen die Ampeln schon vor der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten auf Rot, etwa wegen steigender Inflation, sinkenden Staatseinnahmen und Korruptionsfällen. Bei einigen ehemaligen Aushängeschildern der Schwellenländer hat sich in den vergangenen Jahren die fundamentale Lage deutlich gewandelt.- Russland scheint sich ein wenig zum Aushängeschild unter den Schwellenländern gewandelt zu haben.Das ist typisch für Schwellenländer: Wenn ein Land unter einer Krise gelitten hat, dann ist es infolge von Reformen wenige Jahre später häufig ein Aushängeschild. Es war ziemlich beeindruckend, wie Russland den Einbruch der Erdöleinnahmen bewältigt hat. Die Regierung ist geschlossen aufgetreten, und die Flexibilität der Währung hat viel vom externen Druck abgefedert. Russland ist jetzt bei den Anlegern beliebt, weil es Stabilität und recht hohe Renditen bietet. Zudem setzt der Markt darauf, dass die Sanktionen gegen das Land gelockert werden könnten.- Wenn auf die Krise der Status des Aushängeschildes wird, so müsste die Türkei angesichts ihrer aktuellen Probleme der nächste Anlegerliebling unter den Schwellenländern werden?Das Problem in der Türkei ist, dass das Land die Geldpolitik eher auf quantitativer als auf preislicher Basis strafft – also über die Abgabe von Reserven statt über den Zins. Das kann der Markt schlecht beurteilen, auch wenn die Währung stabilisiert wird. Auf fundamentaler Seite sehen wir erhebliche Schwierigkeiten durch den Rückgang der Tourismuseinnahmen und gleichzeitig höherer Ölpreise. Das sind externe und schwer zu kontrollierende Faktoren. Intern sollte sich der Geräuschpegel etwas stabilisieren, aber bei den Kapitalflüssen dürfte der gestiegene Ölpreis die Erholung der Leistungsbilanz beenden. Zusammengefasst kann man sagen, dass die Türkei dann eine Wende schaffen kann, wenn die Tourismuseinnahmen wieder steigen und der Ölpreis stabil bleibt oder sogar wieder sinkt.—-Das Interview führte Stefan Schaaf.