Wall Street steht heißer IPO-Herbst bevor

Ungebrochene Nachfrage nach jungen Wachstumsunternehmen - Hoffnung auf Börsengang von Airbnb

Wall Street steht heißer IPO-Herbst bevor

Von Norbert Kuls, New YorkDer amerikanische Markt für Börsengänge läuft heiß. Nach einem pandemiebedingt schleppenden ersten Halbjahr nahm der Appetit von Investoren auf junge Wachstumsunternehmen im dritten Quartal wieder deutlich zu. Fachleute rechnen für den Rest des Jahres mit einer Fortsetzung dieses Trends an der Wall Street – auch wenn es um die US-Präsidentschaftswahlen Anfang November in der Regel zu einer Verlangsamung der IPO-Aktivitäten kommt. “Solange es keinen erneuten Markteinbruch gibt, dürfte die Zahl der Börsengänge in diesem Jahr über dem Niveau des Vorjahres liegen”, prognostizieren Analysten des auf IPOs spezialisierten Wertpapierhauses Renaissance Capital. Vorjahr bereits übertroffenDas Emissionsvolumen dürfte nach Einschätzung der Analysten auf den höchsten Stand seit sechs Jahren klettern. Insgesamt kalkuliert Renaissance Capital für 2020 mit rund 170 Börsendebüts und einem Volumen von mindestens 55 Mrd. Dollar. Im Vorjahr waren 160 Unternehmen an die Börse gegangen. Das Emissionsvolumen liegt nach den ersten neun Monaten dieses Jahres mit 50,4 Mrd. Dollar schon jetzt über dem Gesamtergebnis des Vorjahres (46,4 Mrd. Dollar). Getrieben wird die Nachfrage von der Hoffnung auf überdurchschnittliche Renditen. Die Aktienkurse von Börsenneulingen sind in den vergangenen drei Monaten im Durchschnitt um mehr als 37 % gestiegen – viereinhalbmal so stark wie der S&P 500.Anleger an der Wall Street erwarten am Mittwoch mit Spannung die Erstnotiz der Datenanalysegesellschaft Palantir. Es wird ein Tech-Börsengang der Superlative, da das vom Milliardär Peter Thiel mitgegründete Unternehmen auf eine Marktkapitalisierung von 22 Mrd. Dollar kommen dürfte – trotz mangelnder Gewinne. Ebenfalls noch in dieser Woche wird mit dem Handelsdebüt von Aktien des Unternehmenssoftware-Anbieters Asana gerechnet. Der Börsenwert von Asana wurde zuletzt auf 5 Mrd. Dollar taxiert. In den traditionellen IPO-Statistiken werden Palantir und Asana aber nicht auftauchen, da sie per Direktplatzierung an die Börse gehen und somit keine neuen Aktien emittieren.Aber auch ohne Palantir waren die vergangenen drei Monate eine geschäftige Zeit für Börsengänge. “Der amerikanische IPO-Markt hatte gemessen an der Zahl der Emissionen das rührigste dritte Quartal seit der Internet-Ära im Jahr 2000”, resümieren die Renaissance-Analysten. Insgesamt 81 Börsenneulinge nahmen im dritten Quartal 28,5 Mrd. Dollar auf – das höchste Quartalsvolumen seit sechs Jahren. Starken Einfluss auf das Ergebnis hatte das IPO des Cloud-Anbieters Snowflake. Es war mit einem Emissionsvolumen von 3,4 Mrd. Dollar und einem Börsenwert von 42,3 Mrd. Dollar das bislang größte IPO des Jahres und markierte einen Rekord für eine Softwarefirma. Insgesamt gab es sieben Deals mit einem Emissionsvolumen von mehr als 1 Mrd. Dollar, ein weiterer Quartalsrekord. Neben Technologie- und Gesundheitstiteln stachen im Fintech-Segment der Hypothekenanbieter Rocket und das Versicherungs-Start-up Lemonade heraus.Für das Schlussviertel 2020 ranken sich Spekulationen um potenzielle Börsengänge des Wohnungsvermittlers Airbnb und des Essenslieferdienstes Door Dash. Beide Firmen hatten einen vertraulichen Antrag bei der Börsenaufsicht SEC gestellt, was ihnen eine größere Flexibilität bei der Entscheidung für Zeitpunkt und Volumen der Emission einräumt. Über einen Börsengang von Airbnb wird an der Wall Street schon seit Jahren spekuliert. Das gigantische Start-up hatte wegen der Reisebeschränkungen im Zuge der Corona-Pandemie aber herbe Abschläge bei der Bewertung hinnehmen müssen. Airbnb wurde nach 31 Mrd. Dollar am Jahresanfang zuletzt noch mit 18 Mrd. Dollar bewertet.Stark gefragt sind auch Firmenmäntel oder Blankoscheckunternehmen, Akquisitionsvehikel ohne operatives Geschäft. Die Emittenten dieser Special Purpose Acquisition Companies (Spacs) nehmen Eigenkapital auf, um in einem bestimmten Zeitrahmen ein Unternehmen zu kaufen und es quasi durch die Hintertür an die Börse zu bringen. Das Emissionsvolumen der im dritten Quartal an die Börse gegangenen 75 Spac-Vehikel war mit 28,1 Mrd. Dollar fast so hoch wie das traditioneller IPOs. Der Hedgefonds-Manager Bill Ackman emittierte mit Pershing Square Tontine Anteile im Wert von 4 Mrd. Dollar und kreierte damit das größte Spac aller Zeiten. Prominentes Beispiel für einen Börsengang via Spac war in diesem Jahr der Elektrolasterhersteller Nikola. Nikola geriet nach Vorwürfen wegen angeblicher Irreführung von Investoren zuletzt aber stark unter Druck.Spacs waren in der Vergangenheit umstritten, weil sie häufig von Finanzbetrügern gegründet wurden, die Privatanleger mit der Hoffnung auf lukrative Transaktionen lockten. “In vielerlei Hinsicht sind die Spacs zum Mainstream, zur Normalität geworden”, heißt es bei Renaissance Capital. Bisher hätten sich die Spacs nach einer Übernahme aber unterdurchschnittlich entwickelt. Dieser Trend müsse sich bessern, damit die “Spac-Manie” anhalte.