Wann hisst die US-Notenbank die weiße Fahne?
Gastbeitrag zur Serie: Anlagethema im Brennpunkt (272)
Wann hisst die US-Notenbank die weiße Fahne?
Trotz anhaltend hoher Inflationsraten und verhaltener Wirtschaftsdaten konnten die Kapitalmärkte das erste Quartal 2023 mit Kursgewinnen beschließen. Die Wertentwicklung wäre vielleicht sogar noch besser ausgefallen, wäre es nicht Anfang März völlig unerwartet zur Pleite von zwei US-Regionalbanken gekommen. Um Ansteckungseffekte einzudämmen, reagierten die Behörden sehr schnell. So wurden alle Kundeneinlagen der Silicon Valley Bank und der Signature Bank – auch die nicht versicherten – von der US-Einlagensicherung FDIC garantiert. Zudem hat die US-Notenbank mit einer neuen Finanzierungsfazilität den US-Banken in großem Umfang neue Liquidität zur Verfügung gestellt. Diese Maßnahmen haben dazu geführt, dass die Vertrauenskrise zuletzt wieder abgeebbt ist.
Solideres Fundament
Auch wenn das Vertrauen in die Finanzinstitute noch nicht komplett wiederhergestellt ist, steht der Bankensektor im Unterschied zur Finanzkrise 2008/2009 sowohl in den USA als auch in Europa heute auf einem solideren Fundament. Trotz der niedrigen Zinsen ist in der Eurozone keine Kreditblase entstanden, das Kreditwachstum betrug in den letzten Jahren im Durchschnitt nur 4%. Zudem verfügen Banken heute über deutlich bessere Liquiditätskennzahlen und Kapitalquoten, als es vor 15 Jahren der Fall war. In der Vergangenheit hat ein starker Zinsanstieg fast immer zu Problemen im Finanzsektor geführt, aber nur selten zu einer Wirtschaftskrise. So sind in den USA seit dem Jahr 1980 mehr als 3.500 Finanzinstitute geschlossen worden, seit 2001 immerhin knapp 600. Um die Kunden im Falle einer Bankenschieflage zu schützen, sind in den USA Einlagen bis 250.000 Dollar pro Anleger versichert. Bei uns in Deutschland gibt es dagegen ein zweistufiges Sicherungssystem: zum einen die gesetzliche Einlagensicherung bis 100.000 Euro, zum anderen gehören die meisten Institute einer zusätzlichen freiwilligen Einlagensicherung an. Bei den privaten Banken sind in der Regel Einlagen in Höhe von mindestens 750.000 Euro geschützt, in vielen Fällen sind es sogar bis zu 5 Mill. Euro für private Sparer und bis zu 50 Mill. Euro für Unternehmen.
Zinssenkungen bleiben aus
Vieles spricht dafür, dass die negativen Effekte der jüngsten Krise begrenzt bleiben. Dass Banken ihre Kreditvergabebedingungen verschärfen und daraufhin das Kreditwachstum zurückgeht, ist ein von den Notenbanken gewünschter restriktiver Effekt. Obwohl die Bäume konjunkturell in diesem Jahr nicht in den Himmel wachsen, ist die Wahrscheinlichkeit einer Rezession gering. Noch profitieren Unternehmen von ihren Auftragsbeständen und private Haushalte von ihren Ersparnissen. Dies ist auch ein wesentlicher Grund dafür, dass die Inflationsraten nur sehr langsam sinken. Zwar liegt in den USA die PCE-Kerninflationsrate erstmals seit der Corona-Pandemie wieder unterhalb des Leitzinses, dennoch spricht vieles für eine weitere Zinserhöhung in Höhe von 25 Basispunkten auf der nächsten FOMC-Sitzung am 3. Mai. Im Unterschied zu den meisten Marktteilnehmern, die im weiteren Verlauf des Jahres mit bis zu drei Zinssenkungen rechnen, gehen wir davon aus, dass die Fed die Zinsen vorerst unverändert lassen wird. Schließlich war der reale Leitzins vor einer ersten Zinssenkung in der Vergangenheit immer deutlich höher als heute (Ausnahme 2019), in der Regel lag er zwischen 2% und 3%. Noch wichtiger ist, dass die PCE-Kerninflationsrate seit den 1990er Jahren im Vorfeld der ersten Zinssenkung bei etwa 2% lag, häufig sogar darunter. Da die Kerninflationsrate in diesem Jahr die 2-%-Marke nicht erreichen wird, werden die vom Markt erwarteten Zinssenkungen wohl ausbleiben – so schnell wird die Fed nicht die weiße Fahne hissen.
Sollte es zu neuen Finanzmarktturbulenzen kommen, wird die Fed zunächst versuchen, die Liquiditätsprobleme mit anderen Instrumenten zu lösen. Erst wenn diese nicht den gewünschten Erfolg zeigen, könnte sie ähnlich reagieren wie 1998 als Reaktion auf die Pleite des LTCM-Hedgefonds. Zinssenkungen wären für die Aktienmärkte wohl auch diesmal eine positive Nachricht, allerdings würden dann ohnehin schon teure Aktien noch teurer werden. Wer sich an damals erinnert, weiß, dass das dicke Ende ab dem Frühjahr 2000 folgte, als eine lange und schmerzhafte Bewertungskorrektur begann.
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