TECHNISCHE ANALYSE

War das wirklich nicht vorhersehbar?

Von Christoph Geyer *) Börsen-Zeitung, 11.3.2020 Es sind wieder einmal ganz besondere Zeiten. Aber bereits Mark Twain sagte, dass besonders schwere Börsenmonate der September, der Januar und der März seien. Anschließend zählte er alle anderen...

War das wirklich nicht vorhersehbar?

Von Christoph Geyer *)Es sind wieder einmal ganz besondere Zeiten. Aber bereits Mark Twain sagte, dass besonders schwere Börsenmonate der September, der Januar und der März seien. Anschließend zählte er alle anderen Monate des Jahres auf, die ebenso schwer einzuschätzen seien. Diese Überlegungen zu den Aktienmärkten sind heute so aktuell wie damals. Viele Analysten haben auf Basis der Zyklusanalyse und sonstiger Auswertungen für die Aktienmärkte ein signifikantes Top für April oder Mai vorausgesagt. Dies wäre vielleicht auch gekommen, wenn ihnen das Virus nicht zuvorgekommen wäre. Zahlreiche WarnsignaleTatsächlich gab es auf verschiedenen Zeitebenen bereits zahlreiche Warnsignale, dass der langfristige Trend kaum auf Dauer durchzuhalten sein wird. So hatten insbesondere die Indikatoren MACD und CCI auf der Wochenbasis Verkaufssignale generiert, und der Stochastik-Indikator, der eigentlich nur in trendlosen Märkten zum Einsatz kommen soll, hatte eine Divergenz gebildet.Auch auf Tagesbasis deutete sich bereits an, dass eine Korrektur auf die zuvor erzielten Gewinne unausweichlich werden würde. Alle relevanten Indikatoren haben auch auf dieser Zeitebene angezeigt, dass der Trend nicht mehr lange laufen würde. Dies soll nicht bedeuten, dass man einen Crash auf Raten, so wie den nun erfolgten, hätte vorhersagen können. Dies ist mit den gängigen Analysemethoden, die die technische Analyse bietet, kaum möglich. Allerdings haben einige wenige Analysten sogar auch vor einem solchen gewarnt. Der Ansatz muss aber lauten: Erkenne Signale (auch oder gerade wenn es Warnsignale sind) und stelle Dich darauf ein! Zyklusanalyse zu trägeDie Zyklusanalyse hilft bei einer Situation wie der aktuellen nicht weiter. Sie ist viel zu träge und berücksichtigt nicht die Lage, die sich an den Märkten im aktuellen Umfeld darstellt. Trotzdem lohnt sich ein Blick auf diese Grafik, da sie Aufschluss darüber gibt, wie sich Märkte in verschiedenen Zeiträumen verhalten. Die Eingrenzung auf den US-Wahlzyklus ist dabei auch für den deutschen Markt ein interessanter Ansatz. In amerikanischen Wahljahren ist der Dax in vier der letzten sieben Wahljahre, von heute an bis in den September, tendenziell gefallen. Dies ist natürlich weder eine Garantie noch ein besonders aussagekräftiger Zeitraum für eine valide Prognose. Ganz anders sieht es beim US-Index S&P 500 aus. Dieser Index konnte von März bis September in den letzten 17 Wahljahren immerhin 14 Mal positiv im genannten Zeitraum performen. Solche Statistiken sind nur Hinweise auf eine Wahrscheinlichkeit, die in der Vergangenheit aufgetreten ist. Sollte es bei der Wahl zu irgendeiner Überraschung kommen, die von den Marktteilnehmern so nicht erwartet wurde, gehen diese Überlegungen in Schall und Rauch auf. EnttäuschungspotenzialWas die jüngste Vergangenheit über den Zustand des Dax zu sagen hat, ist aktuell besonders interessant. Dabei könnte man die Aussagen fast 1:1 auch auf den US-Markt übertragen. Hier ist also wieder einmal ein Gleichlauf zu beobachten. Der Dax hatte eine Anstiegsbewegung vollzogen, die im August letzten Jahres gestartet war und bis Mitte Februar dieses Jahres andauerte. Drei kleinere Korrekturbewegungen unterbrachen dabei den Trend nur kurz. Wenn ein solch stabiler Trend zu beobachten ist und Korrekturbewegungen nahezu ausbleiben, kommt es nicht selten vor, dass das Enttäuschungspotenzial anwächst. So war zwar kein Crash im eigentlichen Sinne zu erwarten, aber eine Gegenbewegung musste früher oder später erfolgen. Die Dynamik, die dabei an den Tag gelegt wurde, war so heftig, dass sie nicht lange durchzuhalten war. Eine besondere Aufmerksamkeit sollte hier den Umsätzen zukommen. AusverkaufssituationDiese haben mit zunehmender Dauer und weiter fallenden Notierungen deutlich angezogen und haben sogar das Niveau von großen Options- und Future-Verfallsterminen signifikant überstiegen. In der Phase des Trendbruchs gaben diese dann wieder nach. Ein solches Verhalten deutet zunächst auf eine Ausverkaufssituation hin. Solche Ausverkäufe kündigen oft das Ende eines Abwärtstrends an. Die Frage ist, ob die aktuelle Krise mit früheren vergleichbar ist. Eines hat sie jedenfalls mit Terroranschlägen und Naturkatastrophen gemein: Es herrscht eine große Unsicherheit darüber, welche Auswirkungen die Krise auf die mittel- bis langfristige Lage der Wirtschaft hat. Unsicherheit ist das, was die Börsianer am allerwenigsten mögen. Aber genau davon wird die Kursentwicklung aktuell bestimmt.Der mutige Teil der Marktteilnehmer beginnt vielleicht bereits damit, Positionen aufzubauen. Dies sind aber meist die Händler, die auch sehr schnell den Aktienmarkt wieder verlassen und damit den noch immer bestehenden Abwärtsdruck weiter anheizen. Auch wenn inzwischen einige Unterstützungslinien in greifbare Nähe gerückt sind, ist die angespannte Lage noch nicht dafür geeignet, um von einem Ende der Krise zu sprechen. Die Unsicherheiten müssen erst beseitigt werden, bis mit einer Entspannung an den Märkten zu rechnen ist. *) Christoph Geyer ist technischer Analyst bei der Commerzbank.