Warten auf den Milei-Effekt
Ausblick Argentinien
Warten auf den Milei-Effekt
Libertärer Präsident will Argentinien massiv umbauen – Widerstände in Parlament und Justiz drohen – Aktienmarkt tendiert nach Hausse seitwärts
Von Andreas Fink, Buenos Aires
Argentiniens Finanzmärkte haben nach massiven Zuwächsen in den letzten Monaten eine abwartende Position eingenommen. Anleihen und Aktien werden wohl erst wieder deutlich zulegen, wenn das radikale Reformprogramm des libertären Präsidenten Javier Milei Widerstände in Parlament und Justiz überwindet. Und wenn die Konsolidierungspolitik greift.
Nur kurz nach seiner Amtsübernahme am 10. Dezember begann der libertäre Präsident Javier Milei mit einem weitreichenden Reformprogramm. Dieses nimmt einerseits die von den linkpopulistischen Peronisten hinterlassenen fiskalischen Missstände in Angriff. Die Regierung von Alberto Fernández hat sämtliche Devisenreserven aufgebraucht und Importeuren die Zuweisung von mehr als 25 Mrd. Dollar vorenthalten, sodass diese bereits bezogene Einfuhren nicht vergüten konnten. Die Inflation betrug bei Mileis Amtsübernahme bereits 180% und wird noch deutlich zulegen, weil tausende Preisvorschriften auslaufen und Subventionen auf Energie, Treibstoffe und Verkehrsmittel zurückgefahren werden müssen. Andererseits will Milei möglichst schnell eine grundsätzliche Neuordnung einleiten, um die abgeschirmte und extrem ineffiziente Volkswirtschaft zu öffnen und das enorme Potenzial des rohstoffreichen Landes zu wecken. Nur zwei Tage nach Regierungsbeginn präsentierte der neue Finanzminister ein Konsolidierungspaket. Insgesamt 5% des Bruttoinlandsprodukts will Luis Caputo einsparen, dabei sollen Ausgabenkürzungen, Subventionsstreichungen und eine Steueramnestie auf bisherige Schwarzgeldanlagen etwa 3% des BIP beisteuern. Erhöhte Steuern – auf Importe und auch Zölle auf Exporte – sollen weitere 2% des BIP einbringen. Caputo verkündete die Abwertung der Landeswährung Peso um 51%, was maßgeblich dazu beitrug, dass sich die Differenz zwischen offiziellem und den diversen parallelen Dollar-Kursen deutlich verkleinerte. Ende Dezember betrug die Bresche zwischen dem offiziellen und den Parallel-Kursen nur noch etwa 20%. Das könnte sich freilich auch bald wieder ändern, wenn die Preise weiter in Rekordtempo zulegen, allein im Monat Dezember betrug die Teuerung etwa 30%, was den Jahreswert von 2023 letztlich in die Nähe von 200% treiben dürfte.
Kampf gegen Ineffizienz
Vor einer „Katastrophe biblischen Ausmaßes“ warnte Milei in seiner Silvesteransprache, sollten seine Reformbemühungen von der Politik oder der Justiz aufgehalten werden. Dabei bezog er sich vor allem auf die beiden Gesetzespakete, die er kurz vor und kurz nach Weihnachten auf den Weg gebracht hat und in denen mehr als 1.300 bisher gültige Regelungen entweder verändert oder ganz gestrichen werden. Etwa 360 Änderungen hat Milei in ein einziges Notstandsdekret gepackt, das seit dem 29. Dezember Rechtskraft hat. Und das – theoretisch – außer Kraft gesetzt werden kann, falls sowohl der Kongress als auch der Senat der Nation das beschließen. Dem Parlament hat Milei gleichzeitig aber auch ein Sammelgesetz vorgelegt, in dem Reformen des Wahlrechts, des Steuersystems, des Zollwesens ebenso enthalten sind wie die Privatisierung von 44 Staatsbetrieben – von der nationalen Airline Aerolineas Argentinas bis zum Energiekonzern YPF. Vor allem nehmen die Gesetzesänderungen hunderte von Sonderregelungen, berufsständische Vorschriften, Protektionsmechanismen, Kontrollen, Gebühren und Ausnahmen aufs Korn, die das abgeschirmte Land trotz seiner enormen Ressourcen derart ineffizient machten, dass es von der ersten in die dritte Welt abrutschte.
Sondervollmachten gefordert
Weil Milei die Profiteure dieses korporativen Bereicherungsmodells bedroht und weil er weiß, dass diese sich wehren werden, hat der Präsident in seinem Gesetzespaket Sondervollmachten gefordert, die es ihm erlauben, mindestens zwei Jahre ohne Zustimmung von Kongress und Senat zu regieren. Er hat massive Einschnitte im Versammlungs- und Demonstrationsrecht vorgeschlagen, die den Protest namhafter Verfassungsrechtler auslösten. Und er hat gedroht, das Volk per Referendum über seine Reformvorschläge abstimmen zu lassen, wenn die Parlamentarier diese nicht absegnen. Mileis junge Partei La Libertad Avanza besetzt nur etwa 15% der Sitze im Parlament, aber Milei möchte keine politischen Kuhhändel mit den anderen Kräften eingehen, die er als korrupte „Kaste“ abtut. Eine riskante Strategie.
Einmaliger Börsenboom
Der politische Kampf, die ökonomische Konsolidierung und die soziale Misere werden Argentiniens Wirtschaftsleistung in 2024 erheblich bremsen, vor allem im ersten Halbjahr. Die Prognose des Beratungsunternehmens Equilibra ist wenig optimistisch: „Wir prognostizieren für das nächste Jahr einen Rückgang des BIP um 4–6%, wenn wir die Landwirtschaft und die Rohstoffsektoren nicht berücksichtigen – eine kumulierte Inflation von 700% im Dezember und einen Rückgang der Reallöhne auf durchschnittlich 9%. In diesem Szenario plant die Regierung, die Ausgaben für Sozialprogramme um 0,4% des BIP und Renten um den gleichen Betrag zu kürzen. Und das in einem Kontext, in dem die Inflation für den Zweimonatszeitraum Dezember bis Januar bei etwa 60% liegen dürfte“.
Die Aussicht auf eine wirtschaftsfreundliche Regierung hatte vergangenen Herbst einen regelrechten Boom an der kleinen Börse von Buenos Aires ausgelöst, deren Index Merval – in Dollar gerechnet – um 67,7% zulegte, das war Weltrekord 2023. Wegen der weiterhin geltenden Währungskontrollen (die abgeschafft werden sollen, wenn die Konsolidierung des Haushalts vorankommt und die Devisenreserven wieder deutlich solider sind) konnten allerdings nur sehr kundige Ausländer von dem Börsenboom in Buenos Aires profitieren.
Aktienmärkte warten ab
Die mächtigen Zuwächse erklären sich vor allem mit den minimalen Werten, auf die argentinische Titel unter der peronistischen Regierung gefallen waren. Das gilt auch für jene Aktien und Anleihen, die außerhalb des Landes gehandelt werden, vor allem an der Wall Street. Dort legten die wichtigsten argentinischen Aktien Ende des Vorjahres zwischen dem 22. Oktober und dem 14. Dezember um 30,2% zu, insgesamt stieg der Börsenwert argentinischer Titel in New York um mehr als 20 Mrd. Dollar. Aber seit der Präsentation von Mileis riskantem Reformplan tendieren die Papiere eher seitwärts. In der Vorwoche verloren die Staatsanleihen 1,2%. Sollte sich die Haushaltssituation konsolidieren und Milei dem Druck von den Straßen, der nach dem Ende der Sommerferien im März und April deutlich zunehmen wird, trotzen, könnten die Staatsanleihen weiter zulegen, spekulieren mehrere Börsenexperten.
Unter den Aktien könnte vor allem der halbstaatliche Energiekonzern YPF interessant werden, den die Regierung voll privatisieren will. J.P. Morgan hat seine Bewertung für YPF im Dezember hochgestuft auf „neutral“. Auch den privaten Energiekonzern Pampa Energy stufte J.P. Morgan auf „neutral“ hoch. Zudem können Unternehmen zulegen, deren Einkünfte bislang durch staatliche Eingriffe dezimiert wurden und die von der Öffnung der argentinischen Wirtschaft profitieren, etwa Central Puerto (CEPU), TGN (TGNO4), Transener (TRAN), Ecogas (DGCU2), Autopistas del Sol (AUSO) und Edenor (EDN). Der Banksektor, der in 2023 mächtig profitiert hatte, wird durch anstehende Umstellungen im Finanzsystem nur für langfristige Anlagen in Frage kommen. Argentiniens E-Commerce-Marktführer Mercado Libre und Globant dürften auch weiterhin stetig wachsen, allerdings ohne enorme Sprünge.