Wasser-Investments

Wasser marsch

Während der Bedarf an sauberem Wasser in Schwellenländern rasant steigt, müssen die veralteten Leitungssysteme in den Industrienationen ausgetauscht werden. Das schafft enormen Investitionsbedarf, in der Folge entstehen auch an der Börse Gelegenheiten. Zusätzlicher Schwung für Wasser-Investments dürfte aus Washington kommen.

Wasser marsch

In der 95 000-Einwohner-Stadt Flint im US-Bundesstaat Michigan kommt es im Jahr 2014 zu einer Massenvergiftung, die sich zum nationalen Wahlkampfthema auswachsen und die amerikanische Öffentlichkeit über Jahre beschäftigen wird. Am Anfang steht der Versuch, Kosten zu sparen: Ein 2011 eingesetzter Notfall-Finanzverwalter entscheidet, dass die hochverschuldete Gemeinde ihr Leitungswasser nicht wie zuvor von einem öffentlichen Versorger aus Detroit beziehen soll, sondern vorläufig aus dem Flint River. Nach der Umstellung klagen die Bewohner schnell über Geruch, Geschmack und Konsistenz des Wassers, Beschwerden über Hautausschläge, Übelkeit und andere Krankheitssymptome werden laut. Die Stadtverwaltung wiegelt zunächst ab, doch Untersuchungen zeigen extrem hohe Bleigehalte im Leitungswasser. Zudem bricht die Legionärskrankheit in der Stadt aus. Es wird klar, dass das Wasser aus dem Flint River deutlich saurer ist als jenes aus der alten Quelle und die veralteten Leitungen dafür nicht ausgelegt sind.

„Die Wasserkrise von Flint ist eine extreme Ausprägung dessen, was auch an vielen anderen Orten in den USA und sogar in Europa geschieht“, sagt Marc-Olivier Buffle, Senior Client Portfolio Manager für thematische Strategien bei Pictet Asset Management. In Italien, Spanien, Osteuropa und in den Ländern des ehemaligen Jugoslawien verlören die Netzwerke teils über 50 % des eingespeisten Wassers. Fehlende Steuereinnahmen führten dazu, dass dringend benötigte Investitionen in die Wasserinfrastruktur beständig aufgeschoben würden. Gerade an ehemaligen Industriestandorten wie Flint, die unter starkem Bevölkerungsschwund litten, ziehe das Probleme nach sich. Denn die Infrastruktur sei im Verhältnis zur Einwohnerzahl inzwischen überdimensioniert, weshalb Wasser tagelang in den Leitungen stehe und Druck auf die Rohre ausübe.

Chance für die Privatwirtschaft

Allerdings biete der hohe Investitionsbedarf aus Anlageperspektive große Chancen. „Da den Munizipalitäten die finanziellen Mittel und meist auch die Kompetenzen fehlen, muss die Privatwirtschaft aktiv werden. Eine der einfachsten Anlagemöglichkeiten stellen dabei Wasserversorger wie American Water Works oder Essential Utilities dar“, sagt Buffle. Diese Konzerne kauften Wassernetzwerke der öffentlichen Hand auf und verzeichneten ein solides Wachstum von 6 bis 8 % pro Jahr, womit sie sich im Vergleich zur Gesamtwirtschaft sehr positiv entwickelten. „Da der Mensch immer Wasser braucht, egal ob in einer Rezession oder einem Aufschwung, sind die Geschäftsmodelle sehr defensiv und die Einkommensströme äußerst konstant“, führt der Stratege aus.

Tatsächlich haben neben Pictet auch andere Vermögensverwalter wie Allianz Global Investors die Anlagechance erkannt und mit entsprechenden Themenfonds „Wasser marsch!“ gerufen. Wenngleich diese Vehikel häufig in Unternehmen investieren, die auf eine verbesserte Infrastruktur in Entwicklungsländern abzielen, liegt der Fokus meist auf der Erneuerung der Systeme in Industrienationen. Wer am Trend partizipieren will, kommt an Versorgern, Komponentenherstellern und Produzenten von Aufbereitungslösungen kaum vorbei. Denn anders als Gold und Öl ist Wasser nicht wirklich direkt investierbar, wenngleich an der Chicago Mercantile Exchange im vergangenen Jahr Wasser-Futures gestartet sind. Diese sind allerdings nicht als globale Futures intendiert, sondern sollen lokalen Bauern die Kostenkalkulation für die Bewässerung ihrer Felder erleichtern. Denn insbesondere in Kalifornien schwanken die Wasserpreise aufgrund von Dürreperioden und Waldbränden stark. Trotz vielschichtiger lokaler Ausprägungen stellt sauberes Wasser aber ein globales Anlagethema dar. Dieses ist laut Buffle verstärkt in den Fokus der Investoren gerückt. So hätten Wasserstrategien anhaltend hohe Mittelzuflüsse verzeichnet, Pictet musste seinen Wasserfonds aufgrund des hohen Andrangs sogar für neue Investoren schließen.

Positive Übernahmestimmung

Auch der Großteil der Analysten zeigt sich der Wasserwirtschaft gewogen: Bei American Water Works stehen laut dem Informationsdienstleister Bloomberg zehn Kauf- lediglich eine Verkaufs- und sieben Halteempfehlungen gegenüber. Bei Essential Utilities rät indes gar kein Analyst dazu, die Aktie aus dem Portfolio zu nehmen, während fünf auf „Halten“ und neun auf „Kaufen“ votieren. Die britische Großbank Barclays sieht die langfristigen Kapital- und Wachstumsaussichten von American Water Works dabei als stark genug an, um eine deutliche Prämie auf die Aktie zu rechtfertigen.

Gerade bezüglich Übernahmen sei die Stimmung sehr positiv: Das Management des Versorgers sehe die Möglichkeit, bis 2025 durch regulierte Zukäufe öffentlicher Systeme 1,23 Mill. neue Kunden zu gewinnen, zuvor habe die Schätzung auf 800 000 gelautet. Für diesen Zeitraum plant American Water Works substanziell steigende Investitionsausgaben, will den Gewinn pro Aktie aber zugleich kontinuierlich um 7 bis 10 % pro Jahr ankurbeln.

Nach Meinung vieler Marktbeobachter werden das bereits verabschiedete Konjunkturpaket der US-Regierung und insbesondere das avisierte Infrastrukturpaket dazu beitragen, die Wasserwirtschaft noch zusätzlich anzuschieben. „Davon dürften insbesondere Firmen profitieren, die Komponenten der Wasserinfrastruktur produzieren“, sagt Pictet-Stratege Buffle. So wolle die Biden-Administration 45 Mrd. Dollar dafür bereitstellen, um tausende Kilometer an Bleirohren auszutauschen. Weitere 10 Mrd. Dollar seien dafür designiert, per- und polyfluorierte Alkylverbindungen wie Teflon, die nicht biologisch abbaubar seien, aus der Umwelt zu entfernen. Darin bestehe für die Hersteller von Wasseraufbereitungssystemen und anderen Umweltschutztechnologien eine große Chance. „Durch die hochmodernen Aufbereitungssysteme lässt sich filtriertes Abwasser wieder für industrielle Zwecke und sogar als Trinkwasser nutzen“, sagt Buffle. Dies sei ein wesentlich kosten- und energieeffizienterer Weg, als Meerwasser zu entsalzen.

Dabei gebe es zahlreiche kleine Unternehmen, die sich auf Dienstleistungen oder die Herstellung von Produkten rund um sauberes Wasser spezialisiert hätten. „Viele davon sind nicht börsennotiert, aus Anlegerperspektive aber trotzdem interessant, weil die größeren Spieler der Branche diese Firmen zunehmend aufkaufen“, sagt Buffle. So habe der US-Wassertechnologiekonzern Xylem mehrere kanadische Firmen übernommen, die sich auf das Aufspüren von Leitungslecks mithilfe von Robotik spezialisiert hätten. Das Unternehmen verfüge in der Folge über ein enorm breites Produktportfolio, in dem zusätzlich unter anderem Messgeräte, Wasseraufbereitungstechnologien und UV-Systeme zur Desinfektion vertreten seien.

Laut den Analysten von Bloomberg Intelligence könnte gerade die Sparte für Mess- und Kontrollsysteme eine Ausweitung der Margen im laufenden Jahr antreiben, insbesondere da die Auslieferungen im zweiten und dritten Quartal anziehen dürften. Insgesamt habe sich für 2021 und 2022 ein bedeutender Auftragsbestand aufgestaut. Nachdem Xylem bereits mit seinen Ergebnissen für das vierte Quartal 2020 die Erwartungen übertroffen habe, könne der Gewinn pro Aktie im laufenden Jahr um 20 % zulegen und 2022 wieder das Niveau aus der Zeit vor der Coronakrise erreichen.

Breites Anlageuniversum

Auch wenn große Namen der Branche wie Xylem, Essential Utilites und American Water Works in den meisten Wasser-Themenfonds zu den größten Positionen zählen, ist das Anlageuniversum laut Buffle breit genug, um viele Aktien mit attraktiven Bewertungen zu finden. „Trotz der bisherigen Übernahmen ist die Branche noch so fragmentiert, dass eine Konsolidierung wohl erst in mehreren Jahrzehnten abgeschlossen sein wird“, prognostiziert der Pictet-Marktstratege. Zudem entstünden im Sektor ständig innovative Technologien. So habe das in Singapur ansässige und inzwischen ebenfalls zu Xylem gehörige Unternehmen Visenti ein System entwickelt, das über Sensoren mit hohen Frequenzen Druckschwankungen in den Leitungen messen könne und diese Daten live an ein zentrales Kontrollsystem übertrage. Somit ließen sich schwache Leitungen schon ersetzen, bevor es überhaupt zu einem Rohrbruch komme. „Über das System kann die Stadt mehrere Millionen Dollar einsparen, da die Reparaturarbeiten nach Wasserohrbrüchen in Metropolen häufig extrem aufwendig sind“, sagt Buffle.

Ein weiteres Beispiel für technologische Innovation sei die Automatisierung von Wasserversorgern. Diese werde zwar Arbeitsplätze kosten, aber zugleich auch eine durchgängige Funktionalität der Systeme garantieren. „Gerade in Situationen wie der aktuellen Pandemie birgt es enorme Vorteile, wenn die Versorgung auch ohne menschliche Präsenz weiterlaufen kann“, führt Buffle aus. Zudem ließen sich über moderne Messsysteme nicht nur die Verschmutzung des Wassers durch Chemikalien, sondern auch der Virengehalt im Abwasser feststellen. Dies ermögliche künftig sicherere Prognosen über den Ausbruch von Epidemien. Auch in Flint hätten derartige Technologien den Menschen wohl viel Leid ersparen können.

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