IM INTERVIEW: JEREMY BREWIN, ING INVESTMENT MANAGEMENT

"Weitere Schocks sind durchaus wahrscheinlich"

Der Head of Emerging Market Debt warnt vor Währungsturbulenzen - Mit Investments besser abwarten - Abwertung macht Türkei wieder wettbewerbsfähig

"Weitere Schocks sind durchaus wahrscheinlich"

Nach den Turbulenzen im vergangenen Jahr geraten die Schwellenländer abermals in den Fokus. Vor allem der freie Fall bei einigen Währungen heizt die Sorge an, dass den Emerging Markets ein weiterer Crash bevorstehen könnte. Jeremy Brewin, Head of Emerging Market Debt bei ING Investment Management, hält Schocks für durchaus wahrscheinlich, erwartet aber eine positive Rendite auf Jahressicht.- Herr Brewin, 2013 war ein enttäuschendes Jahr für Investoren in Emerging-Market-Anleihen. Was erwarten Sie für 2014?Das laufende Jahr wird vermutlich nicht so herausfordernd werden wie 2013. Aber auch die hohen Renditen, die in der Assetklasse 2012 erzielt worden sind, werden wir nicht wieder sehen. Niemand hätte zu Jahresanfang 2012 gedacht, dass Schwellenländeranleihen um 18 bis 20 % abwerfen könnten. Im Grunde gab es 2012 eine gewisse Übertreibung, die auch zur Gegenbewegung im vergangenen Jahr beitrug. Im Moment gehen wir davon aus, dass im Jahr 2014 zwischen 1 und 5 % zu erzielen sein werden. Als aktive Manager wollen wir da noch 1 bis 1,5 Prozentpunkte draufpacken.- Die Ankündigung der Fed, die ultralockere Geldpolitik zu beenden, hat Mitte 2013 zu schockartigen Reaktionen der Anleger geführt und eine Verkaufswelle bei Emerging-Market-Anleihen ausgelöst. Jetzt, im Januar, wird Tapering erstmals Realität. Was bedeutet das für die Anlageklasse?Als die Fed im vergangenen Jahr erstmals über eine Reduktion von Anleihekäufen sprach, brachte das die Renditen von US-Treasuries auf ein Niveau, das sie eigentlich bereits 2012 hätten haben sollen. Wir gehen davon aus, dass mit dem langsamen Rückzug aus der ultralockeren Geldpolitik die Anleiherenditen noch weitere 30 bis 40 Basispunkte zulegen und dementsprechend Kapital weiterhin aus den Emerging Markets abgezogen wird. Zu extremen Verzerrungen, wie wir sie im vergangenen Jahr gesehen haben, wird es wohl nicht kommen. Die Lage bleibt allerdings volatil.- Wie schnell erwarten Sie das endgültige Ende des Quantitative-Easing-Programms?Die Fed wird hier sehr vorsichtig vorgehen, sie ist sich der großen Risiken eines schnellen Endes der Stimulanzien durchaus bewusst. Es ist ja keine ausgemachte Sache, dass damit die USA wieder auf einen nachhaltigen Wachstumspfad von wesentlich mehr als 3 % zurückgeführt werden. Meines Erachtens ist etwa das Risiko einer Deflation noch nicht hinreichend diskutiert. Ich erwarte, dass die Notenbank nun bei jeder monatlichen Sitzung das Ankaufprogramm um 10 Mrd. Dollar reduziert. Aber Sie müssen auch beachten, dass auch mit Ende der Aufkäufe die Geldpolitik noch weiter unterstützend wirkt, allein durch den extrem niedrigen Zins.- Ist all das in den Emerging-Market-Anleihen bereits eingepreist?Anlegern rate ich, die nächsten zwei, drei Monate noch abzuwarten, anstatt heute in neue Fonds anzulegen. Dann kann man besser überblicken, wie sich der nun stattfindende Rückzug der Fed auf die Assetklasse auswirken wird. Gerade im Währungsbereich sind weitere Schocks durchaus wahrscheinlich. Eine ganze Reihe von Marktteilnehmern wartet im Moment nur auf Trendsignale, auch weil sich der Abfluss von Kapital aus den Schwellenländern fortsetzt.- Die Weltbank geht davon aus, dass sich der Kapitalfluss in die Schwellenländer um bis zu 80 % verringern könnte. Welche Länder leiden dann am meisten?Das sind auf den ersten Blick natürlich all jene Länder, die mit einem Leistungsbilanzdefizit fahren. Aber bei dieser Betrachtung darf auch der Privatsektor nicht außer Acht gelassen werden. In einigen Ländern gibt es Unternehmen, die beachtliche Fremdwährungspositionen halten, und Bürger, die ihr Erspartes in ausländischen Währungen halten. Auch die Unterstützung von Landsleuten, die in westlichen Ländern arbeiten und Geld nach Hause schicken, ist relevant. Letzteres sehen wir etwa bei einem Blick auf die Türkei. Bedauerlicherweise überwiegen die politische Situation und die herausfordernde Aufgabe der Finanzierung der aktuellen Leistungsbilanzdefizite die momentanen positiven Faktoren.- Die Türkei zählt zu den sogenannten Fragile Five, den Ländern, die besonders unter den Schockwellen leiden. Ist das etwa nicht gerechtfertigt?Es ist sicherlich gerechtfertigt, dieses Land als besonders verletzlich einzustufen. Aber wir sehen bei der türkischen Lira bereits eine deutliche Abwertung gegenüber dem Dollar und anderen bedeutenden Währungen. Erst 2012 lag der Wechselkurs noch bei 1,80, inzwischen sind wir schon bei mehr als 2,30 Lira pro Dollar, trotz der Berichte über starke Interventionen der türkischen Zentralbank in stabile Marktverflechtungen. Wir glauben, das kann bis zu 2,40 Lira gehen. Gemessen in Prozenten ist das ein großer Schritt, und es macht die Türkei vor allem wieder wettbewerbsfähig.- Sehen Sie im Moment auch Investmentchancen?Bei den Währungen der Emerging Markets haben wir unsere Untergewichtung ausgeweitet, hier sehen wir kurzfristig große Risiken. Denn eine typische Reaktion auf starke Wechselkursschwankungen sind Zinserhöhungen, auch wenn diese aus ökonomischer Sicht vielleicht im Moment gar nicht absolut nötig wären. Das hat einen potenziell signifikanten Einfluss auf den Lokalwährungsanleihen der Schwellenländer. Aber natürlich gibt es auch Investmentchancen.- Welche sind das?Dazu zähle ich gerade Unternehmensanleihen im Investment-Grade-Bereich. Bei einigen dieser Unternehmen kommt inzwischen ein Großteil des Umsatzes auf den Verkauf der Ware in die entwickelte Welt. Der Anleiheertrag ist höher als bei vergleichsweise gerateter Emerging-Market-Staatsanleihen und bietet somit Diversifikationsmöglichkeiten mit einem wohl niedrigen Risiko, wenn man bedenkt, dass die Laufzeit eines typischen Emerging-Market-Investment-Grade-Portfolios kürzer ist als die Laufzeit eines Staatsanleihe-Portfolios.- Auf welche Fakten achten sie bei der Auswahl von Unternehmensanleihen ganz besonders?Wir analysieren natürlich eine ganze Reihe von Daten. Aber besonders wichtig ist mir im Moment die Cash-Position und die gesicherte Finanzierung. Natürlich braucht es auch ein nachhaltiges Geschäftsmodell, einen Business Plan und ein qualifiziertes Management. Und ganz wichtig: Hat die Gesellschaft einen Treasurer, der weiß, wie man Währungsrisiken absichert. Wir untersuchen ebenfalls, ob das Unternehmen dessen Anleihen wir kaufen, einen Blick auf die Relevanz von ESG-Kriterien (Environmental, Social, Governance) hat. Der Renditeabstand zwischen Investment-Grade-Unternehmenstiteln in den westlichen Ländern und jenen in den Schwellenländern ist kürzlich größer geworden, was die Attraktivität einer Allokation in ein Schwellenländer-Investment-Grade-Portfolio, das großen Wert auf den Führungsstil legt, fördern.- Müssen wir uns Sorgen machen um Unternehmen und Länder der Emerging Markets, wenn der Dollar, wie es einige erwarten, deutlich steigt?Ja. Allerdings muss man dafür Land für Land und Unternehmen für Unternehmen einzeln betrachten. Einige Länder haben inzwischen substanzielle Währungsreserven – etwa Brasilien, das auf 370 Mrd. Dollar kommt und sehr hohe effektive Zinsen hat – die einen relativ guten Schutz gegen spekulative Angriffe bieten. 2008 waren die Reserven dort, wesentlich geringer, es hat sich also viel getan und das Land ist in der Lage, seine eigene Währung zu stützen. Generell gehe ich davon aus, dass uns die größte zyklische Dollar-Aufwertung erst noch bevorsteht. Sie könnte bereits begonnen haben und es wird in jedem Fall aber ein bis zwei Jahre dauern, bis sie abgeschlossen ist. Die Aufwertung wird in den anderen westlichen Ländern ihre Spuren hinterlassen.- In zahlreichen Schwellenländern stehen in diesem Jahr wichtige Wahlen an. Wie beeinflusst dies das Investmentumfeld?Natürlich birgt eine bevorstehende Wahl immer Ungewissheiten für Investoren. Wer wird gewinnen? Wie wird sich das auf die künftige Wirtschaftspolitik auswirken? In den Schwellenländern haben wir typischerweise neun Monate vor einer Wahl jede Menge Lärm und Volatilität an den Märkten. Einige Schwellenländer treten in speziell volatile politische Zyklen ein, da diese zusammenfallen mit Druck ausübenden, auf die Leistungsbilanz bezogenen Finanzierungsnotwendigkeiten und den Kapitalströmen, die aus einigen Schwellenländern abwandern. Aber das birgt für professionelle Investoren auch gute Chancen. Denn normalerweise drückt die Ungewissheit die Preise. Die Realität ist im Moment allerdings komplizierter. Wir haben zusätzliche Störfaktoren wie das Tapering und das Kapitalflussrisiko wie bereits oben erwähnt, aber auch die Entwicklung der Rohstoffpreise.- China ist mit Abstand das wichtigste Schwellenland. Wie schätzen Sie den Rückgang des Wirtschaftswachstums ein?Die aktuellen Daten scheinen zu bestätigen, dass ein stetiges Wachstum in China stattfindet. Die Prognosen sagen mehrheitlich nach wie vor voraus, dass China 2014 ein BIP-Ergebnis von 7 % erzielen wird. Aber Sie müssen auch bedenken, dass ein Wachstum von 7 % heute im absoluten Beitrag zum Bruttoinlandsprodukt in etwa den 12 % von vor zehn Jahren entspricht.- Wo man hinsieht, gibt es derzeit Unruhen in Schwellenländern. Proteste in Thailand, Streik in Kambodscha, heftige politische Reaktionen in der Türkei. Gibt es ein höheres Risiko der politischen Instabilität?Ja, natürlich herrschen in einigen Ländern politische Unruhen, jedoch scheint es einen signifikanten Unterschied zwischen Demonstrationen in Brasilien und jenen, wie sie beispielsweise in der Ukraine stattfinden, zu geben. Ein Trost ist, dass der politische und der marktwirtschaftliche Druck die Regierungen dazu zwingen können, überfällige Reformen durchzuführen.- Sie sind erst im vergangenen September zu ING Investment Management gestoßen. Haben Sie Änderungen am Investment-Ansatz vorgenommen?Nein, eigentlich war das im Großen und Ganzen nicht nötig. Ich kam von Aviva zur ING IM. Dort waren die Ansätze zu Investments ziemlich ähnlich, wohl auch, weil beide Gesellschaften dem Versicherungs- und Pensionssektor nahestehen. Mein Team ist mir 25 Investment Professionals inzwischen komplett. Wir verwalten in sieben Fonds und einigen Mandaten 5,4 Mrd. Euro (Ende 2013). Und ich sehe es als meine wichtigste Aufgabe an, dass wir uns jetzt vorsichtig verhalten und realisieren, dass aus dem Boom-Markt ein leichter Bärenmarkt geworden ist, der eine angemessene Emerging-Market-Asset-Class-Allokation nahelegt, die eine moderat defensive Strategie fährt.- Fonds, die in Emerging-Market-Anleihen investieren, verzeichnen derzeit signifikante Mittelabflüsse. Just in diesem Moment kommen sie mit einem neuen Produkt an den Markt?Mit dem neuen Fonds, der sich auf Investments in die sogenannten Frontier Markets spezialisiert, wollen wir in eine Nische vorstoßen, die bisher kaum besetzt ist. Wir glauben, dass bei institutionellen Investoren durchaus die Nachfrage nach solch einem höher rentierlichen Produkt gibt. Vielleicht hören sich die Frontier Markets, etwa Ghana und Elfenbeinküste, heute ziemlich exotisch an. Aber als wir vor mehr als 20 Jahren mit unserem ersten Schwellenländer-Bond-Fonds auf den Markt kamen, war das ähnlich. Vielleicht ist die Nachfrage im Moment nicht besonders hoch, aber in drei Jahren haben wir dann bereits einen Track Record vorzuweisen.—-Das Interview führte Julia Roebke.