Weltweit steigt der Ölverbrauch – was heißt das für die Kapitalmärkte?
Gastbeitrag: Anlagethema im Brennpunkt (320)
Ölverbrauch steigt – was heißt das für die Kapitalmärkte?
Im Herbst vor 50 Jahren steckte Deutschland zusammen mit anderen westlichen Staaten tief in einer Ölkrise, ausgelöst durch den Jom-Kippur-Krieg. Die arabischen Staaten setzten Öl als strategisches Druckmittel ein. Binnen weniger Monate vervierfachte sich der Ölpreis, und die Aktienmärkte – gemessen am S&P 500 in Punkten – erlebten zwischen Oktober 1973 und Oktober 1974 einen Crash von etwa 40%. Der hohe Ölpreis trieb die Inflation in die Höhe und führte zu einer Stagflation.
Im Vergleich zu damals sind die Auswirkungen des gegenwärtigen Konfliktes im Nahen Osten auf Ölpreis, globale Wirtschaft und Aktienmärkte anders einzuordnen. Die Ausgaben der US-Konsumenten für Energie und Lebensmittel sind seit 1960 von über 25% auf unter 15% zurückgegangen. Ein möglicher Ölpreisschock tut also nur noch halb so weh. Die Abhängigkeit vom Rohöl ist speziell im Bereich der Mobilität durch die zunehmende Elektrifizierung leicht zurückgegangen. Außerdem hat sich die Versorgungssituation im Vergleich zu 1973 grundlegend verändert. Das heißt jedoch nicht, dass das „schwarze Gold“ an Bedeutung verloren hätte.
Trotz der globalen Debatten über Nachhaltigkeit und dem Streben nach Netto-Null-Emissionen zeigt sich nämlich: Der weltweite Ölverbrauch nimmt sogar weiter zu. Im Jahr 2023 wird der tägliche Ölbedarf voraussichtlich einen neuen Höhepunkt erreichen. Dieser Trend könnte noch bis mindestens 2028 anhalten. Obwohl im Bereich der Mobilität ein leichter Rückgang zu beobachten ist, bleiben Sektoren wie die Luftfahrt, die auf Flugzeugkerosin angewiesen ist, und die Schifffahrt weit hinter dieser Entwicklung zurück. Diese Entwicklung ließ sich zuletzt auch an den Aktienmärkten feststellen: Ölaktien und Versorgertitel gehörten im dritten Quartal zu den sich mit Abstand am besten entwickelnden Aktien und performten auch besser als alternative Energieaktien.
Obwohl der Gazastreifen für die Ölproduktion eine eher kleine Rolle spielt, sind Länder der Region für den globalen Ölpreis von wesentlicher Bedeutung. Sollte sich der Konflikt zuspitzen, könnte der Iran, der sowohl die Hamas als auch die Hisbollah-Miliz im Libanon unterstützt, zusammen mit dem Oman die Durchfahrt von Tankern durch die Straße von Hormus behindern. Da durch die Meerenge ca. 20% des weltweiten Rohöls transportiert werden, könnte durch eine Behinderung des Schiffsverkehrs der Ölpreis deutlich steigen.
Die große Überraschung der letzten Monate war jedoch, dass dieses massive geopolitische Risiko zwar den Goldpreis positiv beeinflusst hat, den angeblich unmittelbar betroffenen Ölpreis aber nicht. Vielmehr sind Ölaktien im vierten Quartal 2023 bis dato die großen Verlierer, während der Ölpreis selbst von über 92 USD/Barrel (Brent) auf unter 75 regelrecht abgestürzt ist. Zusätzliche Fragezeichen wirft diese Preisentwicklung angesichts der Tatsache auf, dass die OPEC+ erst im November Produktionskürzungen für Q1 2024 beschlossen hat, die in der Regel den Ölpreis stützen sollten.
Somit ist die Nachfrage nach Öl zwar weiterhin auf Rekordniveau, aber die Erwartung einer weiterhin schwachen Konjunktur in China in Verbindung mit einem hohen Produktionsniveau in den USA führt aktuell dazu, dass der Ölpreis entgegen den Erwartungen zurückgeht. Das wirkt sich positiv auf Verbraucher (Benzin, Heizkosten) und ausgewählte Sektoren wie Airlines aus und treibt über die nächsten Monate voraussichtlich auch die Gesamtinflation nach unten.