Weniger Hongkong-Heimkehrer
Von Norbert Hellmann, Schanghai
Der nächste große Streich im Emissionsgeschäft an der Hongkonger Börse ist getan, aber die Party-Stimmung scheint definitiv verflogen zu sein. Mit dem Suchmaschinenbetreiber Baidu hat eines der führenden chinesischen Technologieunternehmen seine Wall-Street-Notierung mit einem Zweitlisting in Hongkong flankiert. Baidu reiht sich damit unter die sogenannten Heimkehrer ein, die unter dem Eindruck des Technologiestreits zwischen China und den USA neue Anlegerkreise in heimischen Gefilden anzuzapfen gedenken. Baidus Kapitalaufnahme ist mit gut 3 Mrd. Dollar jedoch weniger üppig als erwartet ausgefallen und auf Anlegerskepsis gestoßen. Die neuen Titel kamen auf eine magere Erstnotizprämie von 0,8% und beendeten den ersten Handelstag exakt auf Höhe des Emissionspreises – Begeisterung sieht anders aus.
Eine mit Spannung erwartete Welle von neuen Listings aus dem chinesischen Technologiesektor prallt nun auf ein reichlich angeknackstes Marktvertrauen an den chinesischen Börsen, wo sich eine gewisse Skepsis gegenüber den letztjährigen Bewertungshöhenflügen der Sektorwerte bemerkbar macht und eine allgemeine Korrekturbewegung einsetzt. Sie ist eindeutig von den chinesischen Festlandbörsen ausgegangen, findet aber über den Weg der Stock Connect genannten Handelsbrücken zwischen den Festlandmärkten und Hongkong auch ihren Niederschlag durch einen gedrückten Kapitalzufluss an die Hongkonger Börse.
Bilibili verfehlt Ziel
Die deutlich gedrückte Stimmung bekommt nun auch der nächste große Zweitlisting-Kandidat aus dem Tech-Sektor, nämlich die wie auch Baidu an der New Yorker Nasdaq notierte Bilibili zu spüren. Der aufstrebende chinesische Videoplattformbetreiber wird 2,6 Mrd. Dollar einsammeln und liegt damit deutlich unter dem Vermarktungsziel für die Emission von 3,2 Mrd. Dollar. Auch zu dem etwas tiefer gestapelten Ausgabepreis bezweifeln die Marktexperten, dass Bilibili beim Handelsstart am 30. März genügend Resonanz vorfindet, um einer ähnlich lauen Performance wie Baidu zu entgehen.
US-Bedrohung lässt nach
Die Frage ist nun, ob der Ende 2019 mit dem Hongkong-Zweitlisting des Onlinehandelsriesen Alibaba begonnene Hype um chinesische Heimkehrer wieder ein rasches Ende findet. Es gibt noch einen reichlichen Vorrat an chinesischen Tech-Adressen mit Wall-Street-Notierung, die für den Heimkehrerschritt in Frage kämen, es gibt allerdings Zweifel, ob die atmosphärischen Bedingungen derzeit wirklich geeignet sind, zumal kein unmittelbarer Handlungszwang zu erkennen ist. Mit dem Präsidentenwechsel in den USA von Donald Trump zu Joe Biden nehmen sich die Gefahren einer neuen Aggressionswelle gegen chinesische Technologieunternehmen, die zu einer kategorischen Verbannung von den US-Börsen führen könnte, nämlich deutlich geringer aus.
Falls der Appetit chinesischer Anlegerkreise auf Heimkehrer nachlässt, ist auch nicht länger mit einem fühlbaren Bewertungsaufschlag für die Papiere durch das begleitende Hongkong-Listing zu rechnen. So steht derzeit auch in der Schwebe, ob die im Markt als besonders heiße Kandidaten für den Sekundärauftritt in Hongkong geltenden chinesischen Elektroauto-Start-ups Nio, Xpeng und Li Auto oder Musik-Streaming-Gigant Tencent Music entsprechende Pläne rasch in die Tat umsetzen wollen oder sich erst einmal eine Bedenkzeit gönnen werden.
In der Hongkonger Investmentbankerszene kann man sich dennoch nicht über Untätigkeit beklagen. Im fast absolvierten ersten Quartal ist das Volumen von Initial Public Offerings auf über 11 Mrd. Dollar in die Höhe geschnellt. Mit den Zweitlistings von Baidu und Bilibili kommen weitere 5,7 Mrd. Dollar hinzu, während man im Vorjahr zur gleichen Zeit wegen der beginnenden Corona-Pandemie totale Ebbe vorfand (siehe Grafik). Aber auch im Vergleich mit vorangegangenen Jahren bedeutet das bislang aufgelaufene Emissionsaufkommen einen glänzenden Auftakt für die Hongkonger Börse, die in den vergangenen 15 Jahren praktisch immer auf den vordersten Plätzen im globalen Börsenranking nach IPO-Volumen landete.
Hongkongs Finanzminister Paul Chan geht bereits davon aus, dass die Hong Kong Exchanges die Marke aus dem Vorjahr von insgesamt 52 Mrd. Dollar an Kapitalaufnahmevolumen übertreffen könnte und damit auch Chancen hätte, in diesem Jahr vor den New Yorker Börsen zu liegen. Eine anhaltende Kursmalaise bei chinesischen Technologiesektorfirmen würde den Elan zwar um einiges bremsen, aber auch aus anderen Branchen, allen voran dem Gesundheitssektor, gibt es genügend Kandidaten, um die Pipeline reichlich zu befüllen.
Aussichten auf Start-ups
Hongkong wird also in diesem Jahr nicht auf eine weitere Heimkehrerwelle angewiesen sein, um die Umdrehungen hoch zu halten. Lieber schielt man verstärkt auf das Festland, wo der Shanghai Star Market als eine der Nasdaq nachempfundene neue Tech-Emissionsbühne aus dem Tritt zu geraten scheint, weil die Regulatoren neue Maßstäbe für Listing-Kandidaten ansetzen. Damit könnten eine ganze Reihe chinesischer Start-up-Unternehmen aus dem Technologie- und Wissenschaftssektor erneut Fühler nach einem Debüt an der Hongkonger Börse ausstrecken.