GASTBEITRAG ZUR SERIE: ANLAGETHEMA IM BRENNPUNKT (119)

Wenn die Brandmauer zum Brandbeschleuniger wird

Börsen-Zeitung, 16.5.2020 Diversifikation in Multi-Asset-Fonds funktioniert grundsätzlich - das bestätigt auch der Blick auf die großteils von der Coronavirus-Pandemie geprägte Wertentwicklung seit Jahresanfang. In der "heißen Phase" dieser Krise...

Wenn die Brandmauer zum Brandbeschleuniger wird

Diversifikation in Multi-Asset-Fonds funktioniert grundsätzlich – das bestätigt auch der Blick auf die großteils von der Coronavirus-Pandemie geprägte Wertentwicklung seit Jahresanfang. In der “heißen Phase” dieser Krise brachen jedoch die langfristig zu beobachtenden negativen Korrelationen zwischen einzelnen Anlageklassen kurzzeitig zusammen, und die Ausgleichseffekte von Gewinnen im einen und Verlusten im anderen Teil des Portfolios setzten teilweise zeitlich verzögert ein. Daher ist es an der Zeit, wegzugehen von vorgegebenen festen Quoten für einzelne Anlageklassen, die mit dem Ziel der Risikobeschränkung festgelegt werden, die Flexibilität des Portfoliomanagers jedoch stark beschränken. Stattdessen sollte das Risikomanagement in größerem Umfang dem Portfoliomanager überlassen werden. Beliebte ProdukteMulti-Asset-Strategien gehören aus gutem Grund seit Jahren zu den beliebtesten Produkten am deutschen Fondsmarkt: Sie profitieren von der häufig gegenläufigen Kursentwicklung in einzelnen Anlageklassen. Brechen also beispielsweise die Aktienbörsen ein, geht es in der Regel an den Märkten für Staatsanleihen bester Bonität – beispielsweise aus den USA oder aus Deutschland – nach oben. Diese sogenannte negative Korrelation ermöglicht einen geradlinigeren Renditeverlauf, als ihn Portfolios aufweisen, die lediglich in eine einzige Anlageklasse investieren.So weit die Theorie. Doch wie haben sich Aktien, Anleihen, Währungen und Gold seit Jahresanfang in der Praxis entwickelt? In Euro gerechnet weist der MSCI World Index als Maß für die globalen Aktienmärkte per Ende April noch einen Verlust von gut 10 % auf. Auch Hochzinsanleihen europäischer Unternehmen notieren noch in diesem Umfang im Minus. Ebenfalls in Euro gerechnet liegen unter den sogenannten “sicheren Häfen” jedoch Gold gut 14 % und US-Staatsanleihen mehr als 8 % vorne. Auch Yen und Dollar haben gegen den Euro im mittleren einstelligen Prozentbereich zugelegt.In der “heißen Phase” der Coronakrise zwischen dem 20. Februar und dem 23. März sorgten freilich die massive Unsicherheit und der dringende Wunsch nach Liquidität kurzzeitig für massive Abschläge bei all diesen Anlageklassen. Verluste in einem Teil des Portfolios ließen sich also nicht immer durch Gewinne in einem anderen Teil kompensieren. Seit dem 23. März haben sich nahezu alle Anlageklassen positiv entwickelt, die vorangegangenen Verluste haben sie dabei aber in sehr unterschiedlichem Umfang wieder aufgeholt.Welche Erkenntnisse lassen sich aus dieser Chronologie gewinnen? Zum Ersten wird klar, dass sich die Diversifikationseffekte durch das geeignete Kombinieren unterschiedlicher Anlageklassen unter dem Strich tatsächlich positiv auf Multi-Asset-Fonds und deren Renditen hätten auswirken können. Zum Zweiten lässt sich aber auch feststellen, dass nicht in jeder Marktphase an den Kapitalmärkten mit einer negativen Korrelation zwischen einzelnen Anlageklassen zu rechnen ist und die Gewinne in den “sicheren Häfen” nicht unbedingt so hoch ausfallen müssen wie die Verluste bei riskanteren Vermögenswerten. Es kommt also neben den richtigen Zutaten auch auf das richtige Mischungsverhältnis an. Noch dazu können die Aufschläge bei Gold oder US-Staatsanleihen zeitlich zum Teil deutlich vor den Abschlägen beispielsweise bei Aktien oder Hochzinsanleihen liegen. Hohes Maß an FlexibilitätAus all diesen Beobachtungen geht hervor, dass nicht nur der Diversifikationseffekt an sich für ein erfolgreiches Risikomanagement essenziell ist. Vielmehr bedarf es dafür auch eines hohen Maßes an Flexibilität bei der Allokation des Fondsvermögens. Nur dies ermöglicht es dem Portfoliomanager, zum richtigen Zeitpunkt möglichst robust und dynamisch an das aktuelle Marktumfeld angepasst in einer maximalen Zahl von Anlageklassen mit steigenden Kursen investiert zu sein. Umgekehrt gilt es natürlich auch, Vermögenswerte mit fallenden Kursen weitestgehend zu meiden. Starre Quoten nachteiligVor diesem Hintergrund stellt sich dann ganz natürlich die Frage, wie zweckmäßig starre Allokationsvorgaben für einen Portfoliomanager sind. Solche Quoten für einzelne Anlageklassen, die sich institutionelle Investoren selbst auferlegen oder die durch den Regulierer definiert werden, sind zwar gut gemeint und sollen gewissermaßen gleich in der DNA eines Produkts ein bestimmtes Rendite-Risiko-Profil einpflanzen. Nicht zuletzt die Ereignisse an den Kapitalmärkten im ersten Quartal dieses Jahres haben aber wieder gezeigt, dass die damit einhergehende Begrenzung der Flexibilität der Portfoliomanager dazu führen kann, dass sie die mit festen Allokationsvorgaben verbundenen Risikoziele etwa in Form von maximalem Verlust oder Schwankungsbreite oftmals verfehlen. Was als Brandmauer gedacht war, verkehrt sich so also im Zweifel in einen Brandbeschleuniger. Aktien im VorteilZur Verdeutlichung ein Blick auf ein Multi-Asset-Portfolio, in dem ein Anteil von 50 % an in Euro ausgestellten Unternehmensanleihen mit Investment-Grade-Bonität festgeschrieben ist. Ein Grund für eine derartige Anlagerichtlinie mag darin zu suchen sein, dass typischerweise ein geringes Schwankungs- und Verlustrisiko mit dieser Anlageklasse in Verbindung gebracht wird. Es stellt sich aber die Frage, ob nicht ein deutlich niedrigerer Anteil von beispielsweise 10 % an Aktien und 40 % an Bargeld in Verbindung mit einem geeigneten Risikomanagement eine sinnvollere Alternative für einen Portfoliomanager gewesen wäre, als die 50-prozentige Quote an Unternehmensanleihen durch die Krise zu halten.Allem voran zeichnen sich Aktien durch den Vorteil der höheren Liquidität gegenüber Unternehmensanleihen aus. Besonders in Krisenzeiten gilt, dass man Aktien auch zu dem Preis handeln kann, den man sieht, während Unternehmensanleihen aufgrund der geringeren Liquidität oftmals deutlich höhere Preisabschläge aufweisen. Während der Coronakrise wurden beispielsweise Exchange Traded Funds für Unternehmensanleihen zum Teil mit Abschlägen von 5 % gegenüber dem Nettoinventarwert gehandelt. Bessere Absicherung Neben der besseren Verkaufsmöglichkeit bieten Aktien mit Future-Kontrakten auf Aktienindizes wie den Dax aber auch das deutlich bessere Absicherungsinstrument als Credit Default Swaps bei Unternehmensanleihen. Auch hier spielt die Preisverlässlichkeit in Krisenzeiten mit hohem Liquidierungsdruck eine entscheidende Rolle. Somit sind Aktien gegenüber Unternehmensanleihen, sowohl was das grundsätzliche Liquidieren von Positionen als auch was deren bestmögliche Absicherung angeht, das geeignetere Instrument. Auch die negative Beurteilung hoher Kassenpositionen sollte hinterfragt werden, denn Bargeld ist die einzige risikolose Anlageklasse und sollte daher verstärkt zur Steuerung des Risikos eingesetzt werden – vor allem in Phasen von Liquiditätscrashs.Daher wäre zu überlegen, direkte Vorgaben für maximalen Verlust und Schwankungsbreite als zeitgemäße und effiziente Brandmauern in den Fokus bei Anlagebegrenzungen zu rücken und dem Umweg über Quoten für einzelne Anlageklassen, die regelmäßig zeigen, dass sie eine zu einfache Approximation sind, eine geringere Bedeutung beizumessen. Damit stellt sich dann aber auch die Frage, wie gut ein Portfoliomanager diese neu gewonnenen Freiheiten nutzen kann. Ein einfaches, aber durchaus geeignetes Maß dafür könnte sein, wie schnell ein Portfolio wieder das Niveau vor dem Einsetzen der Coronakrise erreicht. Je weniger Renditemonate ein Fonds verloren hat, desto besser sind Verlustkontrolle und Nutzung von Flexibilität durch den Portfoliomanager einzuschätzen. Zuletzt erschienen: Nachhaltig in globale Infrastruktur investieren (118), BNP Paribas Asset Management Lehren der Coronakrise für Privatanleger (117), Lampe Asset Management Cocos bieten überdurchschnittliche Risikoprämien (116), Assenagon Thomas Graby, Portfoliomanager des DWS Invest Conservative Opportunities