Wenn Haircuts den Preis verzerren

Studie zeigt Zusammenhang zwischen Sicherheitsleistungen und der Fehlbepreisung von Wertpapieren

Wenn Haircuts den Preis verzerren

Warum haben nicht alle Wertpapiere, die dem Anleger identische Zahlungsströme bieten, den gleichen Preis? Ein Arbeitspapier des National Bureau of Economic Research macht die Refinanzierungskosten der Finanzintermediäre dafür verantwortlich.Von Dietegen Müller, FrankfurtNach der – in Frage gestellten – Theorie effizienter Finanzmärkte entspricht der Preis eines Wertpapiers dem Barwert der daraus zu erwartenden Cash-flows. In der Vermögensverwaltung werden nicht zuletzt deshalb große Anstrengungen investiert, Wertpapiere zu erkennen, die “falsch” bepreist sind und damit ein zumindest vorübergehend höheres Renditepotenzial versprechen als der breite Markt. Als Gründe für “Mispricing” macht die Wissenschaft auch stereotype Verhaltensmuster von Investoren verantwortlich.Eine technischere, mit Daten gut abgestützte Begründung liefert nun das Diskussionspapier “Asset Mispricing” von Kurt Lewis, Francis Longstaff und Lubomir Petrasek, das im März vom National Bureau of Economic Research (Cambridge, USA) veröffentlicht wurde. Untersucht wurden Risikoprämien von 63 staatlich garantierten Unternehmensanleihen gegenüber vergleichbaren US-Staatstiteln.Die untersuchten Bonds wurden unter dem sogenannten Debt Guarantee Programm im Zuge der Finanzkrise von Oktober 2008 bis Oktober 2009 aufgelegt und hatten ein Fälligkeitsdatum von spätestens Ende Dezember 2012. Die meisten dieser Anleihen waren von US-Großbanken begegeben worden, aus der Industrie waren nur gerade General Electric und John Deere vertreten.Dies dürfte die Aussagekraft der Arbeit insofern einschränken, als gerade systemrelevante Banken in der Finanzkrise besonders stark von Marktverwerfungen betroffen waren. Auch stellt sich die Frage, inwieweit damals nach der Lehman-Pleite Staatsgarantien von den Marktteilnehmern tatsächlich auch als belastbar betrachtet wurden. Im Rückblick waren die Garantien belastbar: Für die Rückzahlung von ausgefallenen Anleihen und aufgelaufene Zinsen über insgesamt 153 Mill. Dollar aus dem Debt Guarantee Program stand am Ende die staatliche Federal Deposit Insurance Corporation gerade. Nicht erklärbare DifferenzenDie hinter den Anleihen stehende Garantie hätte laut der Untersuchung einen Risikoaufschlag gegenüber Staatsanleihen als nicht gerechtfertigt erscheinen lassen. Doch zeigte sich im Durchschnitt zwischen 2008 und 2012 ein Risikoaufschlag von gut 20 Basispunkten (Median: 14 BP), wobei sich die Aufschläge gegen Ende des Beobachtungszeitraums deutlich verringerten oder sogar negativ wurden. Allerdings gab es zwischen den einzelnen Sektoren auch dann noch durch die Kapitalmarkttheorie nicht erklärbare signifikante Differenzen. Allgemein hat das Mispricing dabei in Phasen von Marktstress zugenommen.Die Autoren setzten diese Fehlbepreisung in Zusammenhang mit verschiedenen Faktoren. Dazu gehören etwa die Höhe der verlangten Sicherheitsabschläge (Haircuts), welche die Anleihehändler in Leihegeschäften mit diesen Bonds leisten mussten, sowie die Finanzierungskosten der Händler selbst, aber auch die Differenz zwischen dem unbesicherten Dreimonatssatz Libor und dem praktisch risikolosen Overnight Index Swap (OIS) – der Libor-OIS-Spread – sowie die Kosten für fünfjährige Kreditausfallversicherungen (CDS-Spreads) der Anleihehändler sowie der Emittenten.Dabei wurde über eine Regressionsanalyse ein deutlicher Zusammenhang zwischen diesen Faktoren und der Größenordnung der Fehlbepreisung festgestellt. So hatte eine Erhöhung der Sicherheitsleistung (Margin) um einen Prozentpunkt unmittelbar ein Mispricing von 4,3 BP, verzögert eines von bis zu 8,8 BP zur Folge, so das Papier. Dies bestätige die Bedeutung von Verspannungen im Repo-Markt in Bezug auf Fehlbepreisung von Wertpapieren, so die Autoren. Diese Aussage dürfte auch für europäische Marktteilnehmer interessant sein, sind doch im hiesigen Repo-Markt Spannungszeichen festzustellen (vgl. BZ vom 2. Februar). Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) hatte erst vergangene Woche in einem Bericht zum Repo-Markt festgehalten, es sei schwierig, die realwirtschaftlichen Kosten solcher Verspannungen zu bemessen (vgl. BZ vom 13. April). Womöglich wäre der Einbezug von Margin-Kosten hier ein guter Ansatz.Lewis, Longstaff und Petrasek kommen auch zum Schluss, dass eine Erhöhung der CDS-Spreads der Primärhändler um einen Prozentpunkt eine Erhöhung des Mispricing um 4,9 BP zur Folge habe, auch bereinigt um Risikoaufschläge für die Kredite der Händler. Dies weise darauf hin, dass Friktionen im Markt für besicherte Refinanzierungsgeschäfte auch einen Einfluss auf die Fehlbepreisung von Vermögenswerten hätten. Veränderungen in Geld-Brief-Spannen jedoch seien kein deutlicher Hinweis auf Mispricing. Mispricing ist SystemrisikoAls Fazit meinen die Autoren, es gebe einen deutlichen Zusammenhang zwischen der Preisentwicklung der untersuchten Anleihen und den Refinanzierungskosten der Anleihehändler. Dies unterstütze die These, wonach Kapitalrestriktionen einen bedeutenden Einfluss in der Preisentwicklung von Wertpapieren spielten: “Es gibt klare Hinweise, dass die Preise von Vermögenswerten durch Kräfte beeinflusst werden können, die nicht mit Cash-flows oder Abzinsungssätzen verbunden sind.”Auch gebe es Anzeichen, dass Mispricing zu steigenden Sicherheitsleistungen oder Refinanzierungskosten für die Händler führen könne. Somit seien auch negative Rückkoppelungseffekte denkbar. Mispricing stelle eine wichtige Quelle von Systemrisiko in den Finanzmärkten dar.