IM BLICKFELD

Wenn's schiefgeht, soll es Italiens Staat richten

Von Gerhard Bläske, Mailand Börsen-Zeitung, 21.12.2019 Der Staat hat in Italien keinen guten Ruf. Rom entgehen durch Steuerhinterziehung jährlich Einnahmen von mehr als 100 Mrd. Euro. Doch wenn heruntergewirtschaftete Unternehmen gerettet werden...

Wenn's schiefgeht, soll es Italiens Staat richten

Von Gerhard Bläske, MailandDer Staat hat in Italien keinen guten Ruf. Rom entgehen durch Steuerhinterziehung jährlich Einnahmen von mehr als 100 Mrd. Euro. Doch wenn heruntergewirtschaftete Unternehmen gerettet werden sollen, dann ist der Staat als Reparaturbetrieb gefragt. Jüngster Fall ist die Volksbank von Bari. Süditaliens größtes Finanzinstitut ist durch eine unverantwortliche Geschäftspolitik und kriminelle Machenschaften pleitegegangen. Rom hat per Dekret beschlossen, der Bank vorerst bis zu 900 Mill. Euro zur Verfügung zu stellen und sie mit dem Einlagensicherungsfonds FITD der Privatbanken zu retten.Darüber hinaus will die Regierung angeblich bis zu 3 Mrd. Euro ausgeben, um die Pleite des größten europäischen Stahlwerks im apulischen Taranto zu verhindern, aus dem sich der Stahlriese ArcelorMittal zurückziehen will. Und die Pleite-Airline Alitalia, die seit 2017 unter staatlicher Zwangsverwaltung steht, soll erneut einen Überbrückungskredit über 400 Mill. Euro erhalten. EU-Kommissarin Margrethe Vestager hat zwar mit der Einleitung eines Verfahrens wegen möglicherweise unzulässiger Staatshilfen gedroht. Doch die EU hat noch nicht einmal über die Rechtmäßigkeit des 2017 gewährten Staatskredits über 900 Mill. Euro entschieden. Der Staatskapitalismus feiert fröhliche Urständ. Wegen des Brückeneinsturzes von Genua wird der privaten Infrastrukturgesellschaft Atlantia womöglich die Konzession entzogen – ohne dass ein Gericht die Gesellschaft und ihre Manager verurteilt hat. Die Regierungspartei 5 Sterne dringt darauf, dass der Staat das Autobahnnetz übernimmt. Und mit Hilfe der staatlichen Förderbank Cassa Depositi e Prestiti (CDP) wurde kürzlich Salini Impregilo zu einem der größten Baukonzerne Europas gezimmert. Ebenfalls die CDP stieg Anfang 2018 bei Telecom Italia (TIM) ein, um eine Übernahme durch die französische Vivendi zu verhindern, das Festnetzgeschäft herauszulösen und mit der CDP-Beteiligung Open Fiber zu einem Netzmonopolisten zusammenzufügen.Rom hat mehr als 20 Mrd. Euro für Bankenrettungen ausgegeben. Monte dei Paschi di Siena (MPS) etwa wurde teilverstaatlicht und erhielt vom Staat 5,4 Mrd. Euro. Das Geld ist wegen des Kurseinbruchs bei der Bank größtenteils verloren.Das Gewicht des Staates in der Wirtschaft wächst. Rom verfügt ohnehin über viele Beteiligungen, die entweder direkt oder über die CDP (siehe Grafik) gehalten werden. Darüber hinaus gibt es weitere Vehikel wie die Staatsholding Invitalia.”Wenn Private versagen, ist es richtig, dass der Staat in strategischen Sektoren eingreift, um den Fortbestand der Produktion, den Erhalt der Arbeitsplätze und die Sanierung etwa von Umweltschäden sicherzustellen”, rechtfertigt Industrieminister Stefano Patuanelli die Interventionen. Doch der Staat ist ein miserabler Unternehmer. Die Probleme werden nicht gelöst, sondern weitergeschoben. Alitalia etwa schreibt seit den neunziger Jahren rote Zahlen. Mangels Restrukturierung hat sich die Lage ständig verschlechtert. Insgesamt hat der Steuerzahler schon mehr als 9 Mrd. Euro in dieses Fass ohne Boden gesteckt. Ähnliches gilt für das Stahlwerk von Taranto, eine Dreckschleuder, die schon Hunderte von Todesfällen verursacht hat, oder die Bank Monte dei Paschi, deren von der EU verlangte Privatisierung wohl auf die lange Bank geschoben wird. Die EU ist, wie in der Budgetpolitik, sehr nachsichtig mit Italien. Anders als Frankreich, das über die staatliche Caisse des Dépôts et Consignations (CDC) oder andere Vehikel Beteiligungen an vielen Großkonzernen des Landes hält und deren Geschäftspolitik in strategischen Fragen mitbestimmt, fehlt Italien Kohärenz. Das liegt auch an den häufigen Regierungswechseln. Gehandelt wird oft im Krisenmodus. Dabei werden Unternehmen über lange Perioden künstlich am Leben gehalten.Industrieminister Patuanelli kann sich gar eine Wiedereinrichtung der Ex-Staatsholding IRI vorstellen. Das von Diktator Benito Mussolini 1933 gegründete Istituto della Ricostruzione Industriale kontrollierte noch Anfang der neunziger Jahre einen Großteil des Industrie- und Finanzwesens Italiens und war eine Auffanggesellschaft für marode Betriebe. Frühere Großkonzerne wie Italsider, Olivetti, Falck oder Pirelli sind verschwunden oder stark geschrumpft. Ein ähnliches Schicksal droht Fiat Chrysler. Zum Glück hat Italien den Mittelstand, der, zumindest im Norden, sehr leistungsfähig und innovativ ist.Ausländische Investoren werden von nachträglichen Gesetzesänderungen oder dem möglichen Entzug von Konzessionen ohne gesetzliche Grundlage abgestoßen. Auch wegen der zerbröselnden Infrastruktur, einer überbordenden Bürokratie und eines ineffizienten Gerichtswesens zögern sie, nach Italien zu gehen. Der Staat kann aber nicht überall einspringen.