Werberiese WPP: Revolte im Olympiajahr
Von Carsten Steevens, LondonDie Fußball-Europameisterschaft in Polen und der Ukraine, die Olympischen Sommerspiele in London, die Präsidentschaftswahl in den USA: Jahre wie 2012 mit sportlichen und politischen Großereignissen verheißen Mehreinnahmen für global agierende Werbe- und Marketingkonzerne wie WPP, Omnicom oder Publicis. Die Ausgaben für die US-Wahl beispielsweise könnten sich in den zwei Jahren bis zum Wahltermin im November auf 8 Mrd. Dollar belaufen haben und pro Turnus 1 % zum Umsatzwachstum beitragen, schätzt man beim WPP-Konzern.Ende April erhöhte das in Dublin registrierte Unternehmen mit Hauptsitz in London die Wachstumsprognose für den mit dem Vorjahr vergleichbaren Umsatz auf mehr als 4 % im laufenden Jahr. Zudem wurde das Jahresziel einer operativen Margensteigerung um 0,5 Punkte auf 14,8 % bekräftigt. Das zweite Halbjahr werde besser ausfallen als das erste. 2013 rechnet WPP mit einem schwächeren Jahr, in dem sich in Nordamerika – mit einem Umsatzanteil von 36 % unverändert der größte Markt für den Konzern – die hohe Staatsverschuldung der USA negativ auf Ausgaben und auf die Konjunktur auswirken dürfte. Sportereignisse wie die Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien lassen den an der Londoner Börse im FTSE 100 und an der US-Technologiebörse Nasdaq notierten Werberiesen auf ein wieder besseres Jahr 2014 hoffen.Angesichts der Staatsschuldenkrise in der Eurozone mit der damit einhergehenden Rezession in Teilen Europas sowie der Konjunkturflaute in den USA kann sich WPP im bisherigen Jahresverlauf als widerstandsfähiger Wert an der Börse behaupten. Die Aktie erreichte am 26. März bei 884 Pence den höchsten Stand seit Beginn der Finanzkrise vor fünf Jahren. Mit dem gestrigen Schlusskurs von 777 Pence liegt der Konzern noch immer 15 % über dem Niveau vom Jahresanfang, die Marktkapitalisierung beläuft sich auf 9,8 Mrd. Pfund (12,1 Mrd. Euro). Mit dem Kursverlauf stellt WPP 2012 bislang nicht nur den FTSE 100 in den Schatten, der nach kräftigen Schwankungen im bisherigen Jahresverlauf mit 5 566 Punkten gestern fast exakt auf dem Level vom Jahreswechsel lag. Auch den europäischen Branchenindex Stoxx Medien, der sich lediglich um 0,4 % befestigte, hängt WPP 2012 deutlich ab. Neue Medien als TreiberZum Tragen kommt dabei, dass der 1985 gegründete Konzern, zu dem nach zahllosen Akquisitionen Werbeagenturen, Public-Relations-Firmen und Marktforschungsdienstleister wie Grey, Ogilvy & Mather, Young & Rubicam, JWT, Hill & Knowlton, Hering Schuppener, Scholz & Friends sowie Kantar und TNS gehören, eine weltweite Präsenz mit zunehmendem Gewicht wachstumsstarker Schwellenländer aufgebaut hat. Im ersten Quartal stammten 28,5 % des Umsatzes aus Märkten in Asien, Lateinamerika, Afrika und dem Mittleren Osten – ein Prozentpunkt mehr als vor Jahresfrist. In vier Jahren soll der Anteil bei 35 bis 40 % liegen.Ebenso als langfristiger Wachstumstreiber forciert wird das Geschäft mit neuen Medien. Im Bereich der digitalen Werbung, der zuletzt bereits einen Anteil am Gesamtumsatz von 30 % erreichte, wird ebenfalls eine Erlösquote von 35 bis 40 % angestrebt. Diesem Ziel dient auch der in dieser Woche bekannt gegebene, 350 Mill. Pfund teure Kauf der international führenden Agentur für Internetwerbung, AKQA, zu deren Kunden Nike und Google gehören.Analysten erwarten, dass WPP im laufenden Jahr mit den Großereignissen ein zweistelliges Wachstum beim Ergebnis je Aktie erreichen kann. Die Berenberg Bank etwa geht mit 75,6 (i. V. 67,6) Pence nahezu konform (- 0,2 % Abweichung) mit den von Bloomberg erfassten durchschnittlichen Marktschätzungen. Für 2013 wird jedoch lediglich mit einem Wachstum von 2,5 % auf 77,4 Pence je Aktie gerechnet, wobei die Abweichung von der Konsensschätzung (83 Pence) schon deutlicher (- 6,7 %) ausfällt. 2014 hält die Privatbank einen Anstieg um mehr als 10 % auf 86,9 Pence für möglich.Nicht zuletzt der Kursrutsch an der Börse in den vergangenen Wochen lässt die Bewertung der WPP-Aktie im Branchenvergleich günstig aussehen. Das Papier wird derzeit mit dem 10-fachen des 2012 erwarteten Gewinns gehandelt, zugleich wird die Dividendenrendite im laufenden Jahr mit 3,5 % taxiert. Die französische Publicis kommt derzeit auf ein Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von 11 bei einer Renditeprognose von 2,4 %. Das KGV der amerikanischen Omnicom liegt bei fast 13. Von 33 bei Reuters erfassten Analysten stufen 21 die WPP-Aktie derzeit mit “Kaufen” (10) oder “Outperform” (11) ein. Bei der Berenberg Bank, die das Kursziel am 11. Juni auf 910 Pence von 740 Pence hochsetzte, ist man mit der Empfehlung “Halten” vorsichtiger. Auf dem Weg in die USAVerwiesen wird auf Risiken im Zuge der Abstimmung über das Vergütungspaket für WPP-Chef Martin Sorrell auf der Hauptversammlung. Der Aktienkurs könne unter Druck geraten, sollte die Ablehnung des Pakets zum Rücktritt des CEO führen, der als Gründer des Unternehmens mit 1,4 % an WPP beteiligt ist. Auch könne der Kurs tangiert werden, sollte ein “Nein”-Votum zum Umzug des Konzerns in die USA führen. Beim diesjährigen Aktionärstreffen in Dublin lehnten die Anteilseigner des Konzerns – wie inzwischen bekannt – das Vergütungspaket tatsächlich ab.Gegen den 60-prozentigen Anstieg der letztjährigen Gesamtvergütung auf 6,8 Mill. Pfund votierten 59,8 % der Anleger. Im nicht-olympischen Jahr 2011 war der WPP-Aktienkurs trotz eines Anstiegs des Vorsteuergewinns um 18,5 % auf erstmals über 1 Mrd. Pfund und einer um 1,1 Punkte gesteigerten operativen Gewinnmarge um 14 % gesunken (nach einem Anstieg um 29 % im Weltmeisterschaftsjahr 2010). WPP kündigte nach der größten Aktionärsrevolte bei einem FTSE 100-Unternehmen seit 2009 Gespräche mit Investoren an. Resultat könnte sein, dass das Vergütungspaket wie im Vorjahr, als 40 % der Aktionäre mit Nein stimmten, reduziert wird.Zum Rücktritt Sorrells hat die jüngste Abstimmung nicht geführt. Diesen Fall hatten die Berenberg-Analysten aber vor der Hauptversammlung schon als “sehr unwahrscheinlich” bezeichnet. Den Governance-Problemen britischer Unternehmen ist die britische Regierung in dieser Woche mit dem Plan begegnet, dass Investorenabstimmungen zu Vergütungsberichten künftig bindend sein werden.