IM INTERVIEW: GEORGE SARAVELOS, DEUTSCHE BANK

"Wir brauchen Abenomics in Europa"

Co-Leiter der Devisenanalyse sieht den Euro in zwei Jahren bei nur noch 95 US-Cent

"Wir brauchen Abenomics in Europa"

Der Euro wird in zwei Jahren nur noch 95 US-Cent wert sein. Mit dieser These hat George Saravelos, Co-Leiter der Devisenanalyse der Deutschen Bank, für Aufsehen gesorgt. Im Interview der Börsen-Zeitung erläutert er, warum diese Prognose nicht nur eine Folge der divergierenden Geldpolitik ist, sondern auch der hohen Ersparnisse, insbesondere in Deutschland.- Herr Saravelos, Sie haben mit Ihrer Prognose eines Euro-Kurses von 95 US-Cent in zwei Jahren für Aufregung gesorgt. Hat sich EZB-Präsident Mario Draghi für die verbale Unterstützung bei der Abschwächung des Euro bedankt?George Saravelos: Leider habe ich keinen Anruf von Mario Draghi erhalten. Doch einige Investoren waren zunächst erstaunt, wie niedrig unsere Vorhersage ist. Aber sie stimmen unseren Argumenten zu.- Warum sollte der Euro so tief fallen? Schließlich erzielt die Eurozone insgesamt einen Leistungsbilanzüberschuss, so dass der Euro theoretisch aufwerten müsste.Unsere Vorhersage basiert auf einer Kombination aus den Folgen des Leistungsbilanzüberschusses und der Rolle der Europäischen Zentralbank (EZB). Der Leistungsbilanzüberschuss spiegelt einen Überschuss an Ersparnissen in der Eurozone wider: Die Menschen hier wollen zu viel sparen und nicht genug konsumieren. Die EZB hat zudem bereits negative Zinsen eingeführt, und für das kommende Jahr ist mit einer quantitativen Lockerung zu rechnen. Das wird die Anleiherenditen auf sehr, sehr tiefe Niveaus drücken, wie wir es bereits bei den Bund-Renditen sehen. Unsere Idee ist, dass dann die Überschussersparnisse aus der Währungsunion abfließen. Wir werden Kapitalabflüsse sehen als Folge einer von der EZB verursachten Anlageknappheit in Europa. Die Europäer – und insbesondere die Deutschen – werden verstärkt ihre Ersparnisse ins Ausland verlagern. Dies wird den Euro drücken, trotz des Leistungsbilanzüberschusses.- Deutschland trägt maßgeblich zum Leistungsbilanzüberschuss in der Eurozone bei. Kommt aus Deutschland also auch der Löwenanteil der von Ihnen als “Euro-Schwemme” bezeichneten Abflüsse?Das ist absolut zutreffend. Die Grundidee unseres Konzepts der Euro-Schwemme ist die Kombination aus zu hohen Ersparnissen und negativen Einlagezinsen der EZB. Diese Kombination und die extrem niedrigen Renditen für existierende Anlagen führen zu den Abflüssen.- Vereinfacht gesagt: Die deutschen Sparer schwächen den Euro?Ja, exakt. Dem stimme ich zu. Ich gebe zu, das ist ein bisschen gegen die Intuition. Man würde eigentlich denken, Deutschland macht den Euro stärker, weil es die stärkste Volkswirtschaft innerhalb der Währungsunion hat, und nicht, dass die deutschen Sparer den Euro schwächen.- Sie haben in Ihrer Studie zur Euro-Schwemme im Spätsommer einen Euro-Kurs von 0,95 Dollar für Ende 2017 vorhergesagt. Inzwischen hat sich die EZB noch stärker in Richtung einer quantitativen Lockerung bewegt. Halten Sie an der Prognose fest?Ich denke, die Vorhersage ist auf Kurs. Wenn man die Kurshistorie betrachtet, so ist die Prognose von 95 US-Cent nicht besonders aggressiv. Das Rekordtief vom Oktober 2000 liegt immerhin bei nur knapp 83 US-Cent. Euro und Dollar folgen langen Zyklen. Eine Abwertung des Euro unter die Marke von einem Dollar erscheint daher durchaus vorstellbar.- In Ihrer Studie bezeichnen sie die Euro-Schwemme als maßgeblichen Faktor für eine Abschwächung des Euro. Ist die Erwartung einer quantitativen Lockerung seitens der EZB – auch Euro-QE genannt – inzwischen im Wechselkurs eingepreist?Ich würde sagen, eine quantitative Lockerung durch die EZB ist noch nicht vollständig eingepreist. Wir erwarten, dass die Zinsen noch weiter in den negativen Bereich gehen. Wenn noch mehr Liquidität ins System kommt, könnte die Rendite zweijähriger Bundesanleihen, die aktuell knapp im Minus liegt, auf einen Wert von minus 10 bis 15 Basispunkte fallen. Sogar die fünfjährige Bundesrendite könnte ins Minus rutschen.- Am Markt wird nicht nur eine Lockerung der Geldpolitik in der Eurozone erwartet, sondern auch eine Straffung in den USA. Wie wird dies auf den Euro-Dollar-Kurs wirken?Dies ist die andere Seite unserer positiven Haltung gegenüber dem Dollar. Wir erwarten, dass die Federal Reserve entweder im Juni oder im September nächsten Jahres die Zinsen anheben wird. Der Markt ist noch sehr zurückhaltend. Er preist eine Zinserhöhung zu einem dieser beiden Termine derzeit nicht richtig ein und erwartet sie erst zu einem späteren Zeitpunkt.- Die EZB betreibt nach eigenen Angaben zwar keine Abwertung des Euro, de facto wirkt sie aber darauf hin. Kann eine solche Politik angesichts Ihrer These der Euro-Schwemme überhaupt erfolgreich sein?Der schwächere Euro hilft der Eurozone, er macht Exporte wettbewerbsfähiger. Das Hauptproblem derzeit ist aber, dass die Weltwirtschaft ziemlich schwach ist. Deshalb wird eine schwächere Währung auch nicht zu einem starken Anstieg der Exporte führen. Dies zeigt auch die Erfahrung mit dem Yen. Obwohl die japanische Notenbank ihn stark abgewertet hat, sind die japanischen Exporte nicht recht in Gang gekommen. Das Hauptproblem Europas bleibt zudem die schwache Binnennachfrage.- Was müsste getan werden?Notwendig wäre eine Kombination wie in Japan. Wir brauchen Abenomics in Europa – eine Kombination aus geldpolitischer Lockerung durch die EZB, was kommen wird, eine koordinierte Lockerung beim Fiskalrahmen und Strukturreformen.- Euro-QE wird aller Voraussicht nach 2015 kommen, die Fiskalpolitik lockert sich in Europa. Wie sehen Sie die Chancen für Strukturreformen in der Eurozone?Das Bild ist hier nicht so düster, wie manche Leute es zeichnen. Wir haben bereits einige Strukturreformen gesehen, aber in einem Umfeld schwachen Wachstums sind sie schwer durchzusetzen. Hier könnte eine quantitative Lockerung durch die EZB helfen, wenn sie das Wachstum stärkt. Aber es gibt im kommenden Jahr Wahlen in Griechenland, Spanien und Portugal, welche die Reformen verzögern könnten.- Zurück zu Ihrer These von der Euro-Schwemme: Welche Implikationen hat dies für Investoren?Global werden die Renditen für langlaufende Anleihen sehr niedrig sein. Wir sehen die zehnjährige Treasury-Rendite bei gut 2 % – selbst wenn die Federal Reserve die Zinsen anheben wird.- Wird es auch zu Zuflüssen in Schwellenländer-Anleihen und andere als risikoreicher geltende Anlagen kommen?Potenziell ja. Es gibt Schwellenländer, denen es wirtschaftlich gut geht und die von den Zuflüssen profitieren werden. Insbesondere in Osteuropa haben wir deshalb jüngst eine starke Rally im Anleihemarkt gesehen. Ich erwarte, dass Polen, Ungarn und andere Länder sich beim Wachstum gut entwickeln. Ihre Währungen haben sich zum Euro kaum abgeschwächt, während der russische Rubel kollabierte. Sie werden auch 2015 wegen der Zuflüsse gut im Vergleich zum Euro dastehen.- Verlassen wir das Währungspaar Euro-Dollar. Was erwarten Sie für die schwedische Krone und den Schweizer Franken 2015?Ich erwarte, dass beide Währungen wie auch der Euro eher schwach bleiben. Das Problem von Schweden und der Schweiz ist, dass sie sehr eng mit der Eurozone verknüpft sind sich deshalb keine stärkere Währung leisten können. In der Schweiz folgt die Nationalbank der EZB und führt Negativzinsen ein. Sie wird den Mindestkurs von 1,20 Franken je Euro verteidigen. In Schweden liegt das Hauptproblem in der enttäuschenden Inflationsrate. Es besteht daher das Risiko, dass die Riksbank gezwungen sein könnte, im Devisenmarkt zu intervenieren.- Von Deutschland aus betrachtet scheinen sich eine Menge politische Risiken für Großbritannien aufzutürmen rund um die Parlamentswahl im Mai, unter anderem wegen die hohen Umfragewerte für die europafeindliche Partei Ukip. Wie sind in diesem Umfeld die Perspektiven für das britische Pfund?Wir erwarten tatsächlich, dass Sterling recht stark zum Euro handeln wird. Der Wechselkurs, der momentan bei 78 bis 79 Pence je Euro liegt, könnte in den unteren 70er-Bereich fallen. Der Grund dafür ist, dass sich die britische Wirtschaft trotz der genannten politischen Risiken bislang ziemlich gut entwickelt. Wir rechnen nach wie vor mit einer Zinserhöhung durch die Bank of England. Ihr Timing wird sich sehr stark an der Federal Reserve orientieren, so dass sie zwischen Mai und September mit den Zinserhöhungen starten wird. Der Grund dafür ist, dass die Löhne in den USA und in Großbritannien ansteigen. Wenn die EZB zur quantitativen Lockerung greift, wird es Abflüsse nach Großbritannien geben, weil insbesondere höher verzinste Gilts gekauft werden.—-Das Interview führte Stefan Schaaf.