IM GESPRÄCH: BERNHARD MATTHES

"Wir sehen überall die gleiche Blase"

Leiter des Portfoliomanagements der Bank für Kirche und Caritas senkt die Aktienquote deutlich

"Wir sehen überall die gleiche Blase"

Keine Todesstrafe, keine Atomkraft, keine Rauschmittel: Die ESG-Anlagekriterien der genossenschaftlichen Bank für Kirche und Caritas (BKC) sind streng. Wie er vor diesem Hintergrund das Geld seiner Kunden investiert, warum er auf Schwellenländeranleihen und Gold setzt und die Aktienquote heruntergefahren hat, erläutert im Gespräch mit der Börsen-Zeitung Bernhard Matthes, der das Assetmanagement des kirchlichen Geldinstituts aus Paderborn leitet.Von Stefan Schaaf, FrankfurtDie Heineken-Aktie bereitet Bernhard Matthes Kummer. Er musste die Anteilscheine des niederländischen Brauereikonzerns nämlich aus dem Depot werfen. Der Grund dafür ist Hi-Fi Hops, ein bierähnliches, aus Cannabisextrakten gebrautes Getränk für den nordamerikanischen Markt. Doch Cannabis ist ein Rauschmittel und fällt damit unter die strengen Ausschlusskriterien von Matthes` Arbeitgeber, der genossenschaftlichen Bank für Kirche und Caritas (BKC) aus Paderborn.Das 1972 gegründete Institut legt insbesondere für Einrichtungen der katholischen Kirche, Stiftungen und Pensionskassen Geld an. Seit dem Jahr 2000 erfolgt dies bereits nach nachhaltigen Kriterien, “als das Thema noch in der Esoterik- oder Räucherstäbchen-Ecke war”, sagt Matthes mit einem Lachen. Er leitet das Assetmanagement und ist Portfoliomanager. Die Haltung zur Nachhaltigkeit hat sich in den vergangenen 20 Jahren grundlegend geändert, die Anwendung von ESG-Kriterien und die “grüne” Geldanlage kommen im Mainstream der Finanzbranche an. Dabei steht ESG für umweltfreundliche, soziale und Governance-konforme Geldanlagen (Environmental, Social, Governance). Die BKC verwendet dabei einen zweistufigen Prozess aus grundsätzlichen Ausschlussfaktoren und ESG-Kriterien. Sie verwaltet nach eigenen Angaben Kundengelder von über 4 Mrd. Euro.”Wir kommen als kirchliche Bank eher über die ethische Schiene, insbesondere bei den Ausschlusskriterien. Es geht uns dabei nicht ausschließlich um ökologische Themen”, sagt Matthes. “Oft gibt es aber kein klares Schwarz-Weiß; wir versuchen hellgrau und nicht dunkelgrau zu sein.” Ganz schwierig sei es, als Vermögensverwalter mit einem Null-Anteil am Umsatz mit einem umstrittenen Produkt zu arbeiten. “Es ist aus unserer Erfahrung heraus besser, eine Grenze von 5 oder 10 % anzusetzen, die eine umstrittene Geschäftsaktivität am Gesamtumsatz nicht überschreiten sollte.”Warum bei zu striktem Ausschluss die Geldanlage kaum noch möglich ist, erzählt Matthes am Bespiel einer Ordensgemeinschaft. Sie sei zu BKC gekommen, um ein Mandat zu erteilen. Wegen der Vielzahl des von dem Orden vorgetragenen vollständigen Ausschlusswünsche seien am Ende noch 90 von rund 2 800 ins Auge gefassten Aktien übrig geblieben – und das vor Prüfung der ökonomischen Sinnhaftigkeit einzelner Aktienwerte.”Wir fragen uns immer, ab welcher Stufe sind Ereignisse relevant. Geht man nicht mit Fingerspitzengefühl vor, landet man zu schnell bei einem totalen Ausschluss.” Dennoch ergebe sich immer wieder eine “dehnbare Bandbreite”, und es müsse entschieden werden, ab welcher Schwere man ein Unternehmen oder einen Staat aus dem Portfolio nimmt. Matthes zufolge gilt dies etwa beim Arbeitsschutz oder bei der Bewertung von Korruption. Ausschluss von AtomkraftAllerdings verfolgt das Institut einige klare Regeln, über die sie nicht mit sich verhandeln lässt beim Ausschluss, beispielsweise Abtreibung oder Atomkraft. Und auch für Staaten gibt es harte Ausschlusskriterien wie etwa die Todesstrafe. Als zweite Ebene kommen ESG-Kriterien hinzu. “Das ist ein Instrument des Risiko-Managements, das Risiken aus dem Portfolio hinausnimmt”, sagt Matthes. Er nennt zwei Beispiele: Der Dieselskandal bei Volkswagen und der Dammbruch in einer Mine von Vale in Brasilien. In beiden Fällen verlor die Aktie massiv. “Der Einsatz von ESG-Kriterien kann helfen, Unternehmen mit einer problematischen Governance auszulassen.”Die BKC nennt eine Reihe von Ausschlusskriterien für Unternehmen. Darunter sind Abtreibung und bestimmte Formen der Verhütung, Suchtmittel (Tabak und Glücksspiel), Atomkraft, Pornografie, Verstöße gegen Arbeitsschutz- und Geldwäscheregeln, Tierversuche, Rüstungsgüter, grüne Gentechnik oder Förderung von Kraftwerkskohle. Teilweise greifen allerdings Grenzen mit Umsatzanteilen von mehr als 5 %, etwa bei Suchtmitteln oder Pornografie, bzw. von 10 % (Tierversuche).Und auch bei bestimmten Staaten verzichtet die Bank auf die Anlage. Ausschlusskriterien sind unter anderem Todesstrafe, fehlende Religionsfreiheit, dauerhafte Menschenrechtsverletzung, totalitäre Regime, Besitz von ABC-Waffen, hohe Korruption. Für die Nutzung der Atomkraft gilt, dass die BKC keine Anleihen von Staaten kauft, bei denen die Atomkraft mehr als ein Viertel der Primärenergieerzeugung ausmacht. Damit ist Frankreich raus.Überhaupt ist es für Matthes schwierig, den ethischen Ansprüchen entsprechende Staatsanleihen zu finden. Denn neben den ethischen Ausschlusskriterien gilt für die Bank: keine Anlage in Anleihen mit negativer Realrendite. Somit fallen Bundesanleihen und viele andere Euro-Staatsanleihen weg. Auch britische Gilts oder US-Treasuries gehen wegen der ethischen Kriterien nicht. “Viele sind schockiert darüber, dass wir Treasuries ausschließen. Ich brauche die aber nicht, denn ich kann Dollar-Anlagen über Anleihen von supranationalen Organisationen oder Agencies abdecken”, erläutert Matthes. Gleiches gelte für Gilts: Hier investiert er in Sterling-Anleihen der Europäischen Investitionsbank (EIB). Und auch für den Rubel, den er derzeit für sehr attraktiv hält, fänden sich Lösungen jenseits von Staatsanleihen Russlands, das gleich zahlreiche Ausschlusskriterien erfüllt.Und dann kommen noch zu den ethischen die wirtschaftlichen Erwägungen, die das Universum weiter einschränken. “Wir investieren nicht in der Euro-Peripherie, die Euro-Krise ist betäubt, aber sie wird wiederkehren”, erwartet Matthes. Als “hoffnungslos” bezeichnet er insbesondere Italien. “Das Land müsste aus der Eurozone austreten, um zu gesunden. 200 Basispunkte Renditeaufschlag sind nicht ausreichend für das Risiko. Und Hoffnung ist keine Anlagestrategie”, sagt er. Flucht in SchwellenländerDa Westeuropa und die USA als Anlageziel weitgehend ausscheiden, habe die BKC “aus der Not heraus” ein System für Anlagen in Schwellenländeranleihen in Hart- und Lokalwährung aufgebaut. “Ich fühle mich in Ungarn und Tschechien wohler als in Italien”, betont Matthes.Und ja, Schwellenländer seien riskanter und internationalen Kapitalflüssen ausgesetzt, antwortet er auf eine entsprechende Frage. “Viele der Staaten haben freiere Märkte als Westeuropa, weil dort Zins und Währung nicht von den Notenbanken manipuliert sind und die Preisbildung so eher Angebot und Nachfrage folgt. Und die Notenbanken arbeiten noch so wie früher die Bundesbank.”Zu seinen bevorzugten Anlageländern zählen derzeit auch Polen, Mexiko, Peru (“der Sol ist eine fantastische Währung”) oder Uruguay. Hinzu kämen kleinere Positionen in Frontier Markets wie Nordmazedonien.Die Mischung aus ESG-Kriterien und ökonomischer Auswahl lässt Matthes fast ausschließlich in Mittelosteuropa und Lateinamerika investieren. Asien sei für die BKC kaum investierbar. “Ich hätte gern Thailand im Portfolio, aber das stürzt über die ethische Hürde. Und auf Seiten gut bewerteter Unternehmensanleihen gibt es keine Substitute”, führt er aus.Auch in Afrika werden viele Länder ausgeschlossen, es gebe aber auch “Hidden Champions”. Investiert ist BKC unter anderem in Südafrika, Namibia, Ghana und Senegal. Dem Institut kommt dabei zugute, dass es relativ geringe Summen anlegt. “Wir können auch in illiquiden Märkten arbeiten, bis hin zur Anlage in Einzelbonds.”Auf fundamentaler Basis würde er zudem gern in Botswana investieren. Nur: Dem afrikanischen Land geht es wirtschaftlich so gut, dass es derzeit gar keine Anleihen auflegt. Und damit die Kriterien nicht verwässert werden, setzt die BKC im Rentenbereich keine Fonds von Drittanbietern ein. Goldquote steigt im PortfolioFür Aktien ist Matthes insgesamt skeptisch gestimmt. Die BKC fährt aktuell nur noch eine Aktienquote von 10 %. Sie sucht stattdessen ihr Heil in alternativen Anlagen und hat die Goldquote in ihren Mischfonds auf 9 % hochgefahren. Von Immobilien lässt man allerdings auch die Finger, sie seien viel zu teuer, die Bewertungen “vollkommen abstrus”. “Wir sehen überall die gleiche Blase bei Aktien, Bundesanleihen, Ackerland oder Kunst. Das ist das Resultat der EZB-Markteingriffe.” Die Konsequenz: “Die Renditen der vergangenen zehn Jahre, die auf die Notenbankeingriffe zurückgehen, sind nicht mehr zu wiederholen. Wir bekommen sieben magere Jahre.” Mager bedeutet in diesem Fall eine Erwartung, dass der US-Leitindex S&P 500 pro Jahr maximal noch 2 % abwirft.Bei den Aktienanlagen betreibt die BKC Stock Picking in Europa und Nordamerika, Schwellenländer werden durch aktive oder passive Fonds ergänzt. Die Asset Allocation erfolgt auf Basis quantitativer Modelle mit 64 Kriterien, die Bauchentscheidungen verhindern sollen. “Es ist immer gefährlich, sich in ein Unternehmen zu verlieben.” Die Modelle bauen unter anderem auf “gesunde Dividenden”. Eine wichtige Rolle spiele der Faktor Momentum. Erst wenn dieser anziehe, könne man auch Value-Aktien kaufen, auf die ungefähr zwei Drittel bis drei Viertel der Aktienanlagen entfallen.Auf Branchenebene liefern die Modelle derzeit ein Übergewicht in Industrie- und Konsumwerten. Gesundheit sei untergewichtet, weil der Sektor zu teuer sei. Und bei den Branchen Öl sowie Finanzwerte stehe das gesamte Geschäftsmodell in Frage, betont Matthes.