"Wir sind große Fans von Restaurants"
Der bankenunabhängige Assetmanager Gané ist mit einem Value-orientierten, antizyklischen Ansatz gut durch die Krise gekommen. Firmengründer Henrik Muhle, der bei Jens Ehrhardt sein Handwerk gelernt hat, setzt auf Cash-flow. Anfang des Jahres hat Gané mit Marcus Hüttinger einen Ex-Goldman-Banker in die Führungsspitze aufgenommen. Der von Ihnen betreute Fonds ist auf dem Papier ein Mischfonds. Wie halten Sie es mit Anleihen?Hüttinger: Wir sind in der schärfsten Rezession, die man seit dem Zweiten Weltkrieg gesehen hat, und für uns ist klar, dass die Zinsen nicht steigen werden. Das bedeutet, dass die Aktie auf Jahre hinaus die Anlageklasse bleiben wird. All die geld- und fiskalpolitischen Maßnahmen sind gut für die Aktie. Bei einer Verzinsung von 0,5 % für zehnjährige US-Staatsanleihen und – 0,5 % für Bundesanleihen tun wir uns schwer mit Renten.Muhle: Der Kapitalmarktzins besteht aus dem Basiszins und dem Risikospread. Die Zentralbanken hätten den Spread tanzen lassen können, aber sie taten es nicht. Wir hatten zwischenzeitlich die Hoffnung, dass der Risikoaufschlag nach oben schießt und sich Chancen ergeben. Letztlich waren die Risikoprämien für uns nicht auskömmlich. Das ist ein Grund, warum wir Rentenanlagen aufgelöst und mit beiden Händen bei Aktien zugegriffen haben. Die Interventionen der Zentralbanken und die Staatsverschuldung – macht Ihnen das Sorgen?Muhle: Jedem Schuldner steht ein Gläubiger gegenüber, und die Frage ist, wer sich größere Sorgen machen muss. Wenn ich zu null Prozent für 30 Jahre Geld verleihe, gehört nicht viel dazu, sich zu überlegen, wer den Vorteil hat. In 30 Jahren kann ein Staat pleitegehen oder die Inflation kommen. Wer auf dieser Basis Anleihen kauft, verliert real Kaufkraft – auch wenn institutionelle Investoren gezwungen sind, solchen “Blödsinn” zu machen. Verglichen mit diesem Drama ist die Lage am Aktienmarkt gut: Nehmen wir die Dividende. Oder die Chance, dass Unternehmen bei einer Inflation Mehrerlöse über höhere Preise erzielen können. Das Gespenst der Inflation ist immer noch da. Und für Politiker ist es attraktiv, sich einen Teil des ausufernden Staatsdefizits über höhere Inflation von den Bürgern zurückzahlen zu lassen. Während Herr Scholz ruhig schlafen kann, können es Anleihebesitzer nicht mehr. Hat die Einschätzung von Konjunktur, Geld- und Fiskalpolitik Einfluss auf Ihren Ansatz?Hüttinger: Am ehesten über die Zinskomponente. Wenn man davon ausgeht, dass Zinsen dauerhaft niedrig bleiben, kann man ein bisschen mehr bezahlen: Eine Aktie mit einer Rendite von 6 bis 8 % würden wir heute als relativ attraktive Position einstufen, weil es keine Alternativen gibt. Entscheidend ist aber, dass das Geschäftsmodell sich in jedem einzelnen Fall bewähren muss. Wichtiges Kriterium in Ihrem Ansatz ist der Cash-flow. Was bedeutet diese Krise mit den strukturellen Veränderungen für Ihren Investmentansatz?Muhle: Warren Buffett hat gesagt, Unternehmensbewertung ist eine ganz einfache Sache. Man nehme den freien Cash-flow . . . Na ja, die genaue Ermittlung ist ein bisschen schwieriger. Aber durch die Krise hat sich für uns im Prinzip nichts geändert an dem Modell.Hüttinger: Wir haben im Zuge der Panik auf zwei Säulen gesetzt, die Dividendenaristokraten und die Unternehmen, die langfristig als Profiteure der Digitalisierung Marktanteile gewinnen können. Viele Sektoren werden es schwer haben, zur Normalität zurückzukehren, wie der Reise- und der Autosektor oder Öl und Gas – da ist der strukturelle Druck extrem hoch. Hatten Sie vor der Krise die Branchen Öl, Reise, Luftfahrt allokiert?Muhle: Fast nie – bis auf ein, zwei Werte in zwölf Jahren. Einfach, weil die Sektoren vorher schon schwach gewesen sind. Deswegen empfinden wir es als Ausrede, wenn man seine Performance jetzt mit der Schwäche dieser Werte erklärt. Wer zurückschaut, wird erkennen, dass es alle paar Jahre eine Krise gibt. Und genau dann zeigt sich, dass bestimmte Geschäftsmodelle anfälliger sind. Nehmen wir Flughäfen, normalerweise sehr gute Geschäftsmodelle, die sich als Investment klassifizieren würden. Das könnte jetzt vielleicht sogar eine Chance sein, aber man weiß nicht genau, wie gut ein Flughafen in der Lage ist, diese harten Zeiten finanziell zu überstehen. Da Sie Flughäfen als potenzielle Kandidaten bezeichnen: Waren oder sind Sie investiert?Hüttinger: Nein. Es ist alles eine Frage des Preises. Bei einem Flughafen als Infrastrukturinvestment haben wir wie bei allen Aktien grundsätzlich einen Renditeanspruch von 10 % pro Jahr. Das bekommen wir bei Flughäfen derzeit nicht. Gibt es andere Branchen, die Sie vor der Krise hatten und die Sie immer noch gut finden?Muhle: Wir sind große Fans von Restaurants. Womit ich nicht Vapiano meine, weil das bis zur Insolvenz ein schlecht geführtes Unternehmen war. Aber es gibt nachhaltig profitable Unternehmen, zum Beispiel in den USA. Allerdings haben wir in der Krise nicht gekauft, obwohl viele Aktien deutlich nachgegeben hatten. Für uns war es einfach schwer abzuschätzen, wie lange und tiefgreifend die Krise sein wird. Die Kurse sind dafür nicht tief genug gefallen und haben dann wieder zu schnell gedreht. Aktuell sind Sie nicht investiert?Hüttinger: Nein. Wir hatten Anfang des Jahres eine kleine Position bei McDonald’s. Diese haben wir zu Beginn der Krise schnell verkauft. Wenn man sich die Top Ten im Fonds anschaut, dann machen Apple, Amazon, Alphabet und Microsoft rund 20 % aus. Warum?Hüttinger: Die Frage kommt immer wieder: Wie passt das ,Value` im Fondsnamen zu einer hohen Gewichtung dieser Unternehmen? Wenn heute Apple 60 Mrd. Dollar, Microsoft 50 Mrd. und Alphabet 40 Mrd. Ebit realisieren, dann waren diese Aktien in der Vergangenheit einfach Value-Opportunitäten. Und wenn die Unternehmen so weiterwachsen, dann sind sie es heute immer noch. Kennziffern wie das Kurs-Buchwert-Verhältnis verlieren einfach an Bedeutung, weil die Substanz eines Unternehmens nur so viel wert ist, wie daraus Cash-flow generiert werden kann. Und gerade die vergangenen Monate haben uns in unserer Auswahl bestätigt: Mehr IT-Investitionen führten zu signifikanten Cash-flows bei den technologiegetriebenen Unternehmen. Und was machen diese damit? Apple, Microsoft und Alphabet nutzten alle die Kursrückgänge für Aktienrückkäufe. Und wie stehen Sie zu der klassischen Industrie?Muhle: Da gibt es schon Unternehmen, die brettstark sind. Nicht nur in Deutschland, sondern gerade auch in der Schweiz. Die haben allerdings so hohe Bewertungen, dass einem Hören und Sehen vergeht. Eine andere Kennzahl, die ebenso wie der Buchwert an Prognosekraft verloren hat, ist die Dividendenrendite: Seit 30 Jahren gibt es in Amerika den Trend, dass Firmen lieber Aktien zurückkaufen, statt Dividenden auszuschütten. Die Dividendenrendite ist also einerseits weniger wichtig, aber wenn sie hoch ist, kaufen Sie?Hüttinger: Stimmt, wir haben am Höhepunkt der Panik eine Allianz mit 8 % Dividendenrendite einsammeln können, eine Bayer mit 6 % und eine Münchener Rück ebenfalls mit 6 %.Muhle: Dividendenrendite ist aber nicht das einzige Kriterium, sondern in diesen Fällen gestützt von einem starken Geschäft. Vielleicht werden diese Unternehmen ihre Ausschüttungen in diesem Jahr nicht ganz verdienen, aber es sind Aktien, die eine enorme Bilanzqualität haben und im nächsten Jahr sicher wieder eine attraktive Dividende zahlen. Demgegenüber gibt es Unternehmen, bei denen die Dividenden ersatzlos gestrichen worden sind, weil die Bilanz zu schwach und das Geschäftsmodell zu zyklisch ist. Gehen Sie da nicht opportunistisch vor? Mal ist die Dividendenrendite wichtig, mal nicht. Bei den großen US-Techfirmen ist das wohl kaum ein Argument.Muhle: Wir schauen auf die Ausschüttungsrendite, also was insgesamt beim Aktionär ankommt, inklusive Rückkäufen. Das ist bei Apple recht auskömmlich. Andere wie Amazon investieren dagegen komplett in Wachstum. In unserem Portfolio wollen wir aber eine gute Mischung realisieren. Allianz und Münchener Rück wachsen weniger als Amazon oder Apple. Wenn also die Ausschüttungsrendite nur 2 oder 3 % ist, dann ist die Wachstumsrate umso höher. Ist die Ausschüttung relativ hoch wie bei einer Allianz, dann ist das Wachstum bescheidener. Vermeiden wollen wir Firmen, bei denen morgen der Insolvenzverwalter kommt. Das ist die oberste Bürgerpflicht eines Portfoliomanagers. Kann man Ihr Portfolio in zwei Cluster einteilen: ein Apple-Cluster und ein Allianz-Cluster?Muhle: Da ist die gleiche Grundphilosophie dahinter. Ein Geschäftsmodell, das wir verstehen, geführt von kompetenten Leuten und die Orientierung an der Steigerung der betrieblichen Ertragskraft. Das eine Cluster wächst stärker als das andere, aber das ist nicht schlimm, solange beide Geschäftsmodelle überleben. Und die Unternehmen wandeln sich. Für uns ist Amazon die neue Art eines “Versorgers”, der womöglich irgendwann einmal Dividenden ausschütten oder Aktienrückkäufe tätigen wird. Was gefällt Ihnen an den großen Tech-Konzernen noch?Hüttinger: Amazon hat sein Angebot so weit ausgebreitet, dass man als Kunde an Amazon kaum noch vorbeikommt. Für uns ist das Geschäftsmodell inzwischen sehr nachhaltig. Hinzu kommt die aktuelle Dynamik. Satya Nadella, CEO von Microsoft, sagte in diesem Zusammenhang, dass wir innerhalb von zwei Monaten eine digitale Transformation durchgemacht haben, die normalerweise zwei Jahre gebraucht hätte.Muhle: Mittlerweile sind von diesen vielen guten Nachrichten schon einige in den Kursen enthalten. Daher haben wir Amazon von 7 % auf 4 % reduziert. Bei aller Begeisterung: Die Bäume wachsen auch für Tech-Unternehmen nicht in den Himmel. Nach einer solch rasanten Rally muss man schon den Bleistift zur Hand nehmen und rechnen. Ist die Tech-Rally bald zu Ende?Muhle: Die Entwicklung wird weitergehen. Auch weil wir uns in Europa so viele Fehler leisten, so überreguliert und zersplittert wie unsere Märkte sind. Amerika und China sind im Tech-Bereich früher dran und profitieren von großen Inlandsmärkten. In Europa vermissen wir die positive Einstellung gegenüber dem Kapitalismus – und zum Risiko. Insofern führt an den amerikanischen Tech-Werten kein Weg vorbei. Aber längst nicht alle qualifizieren sich für ein Investment. Wir haben keine Tesla, keine Facebook und keine Netflix. Was spricht gegen diese Firmen?Hüttinger: Bei Tesla muss man schon den Hut ziehen, die Marktkapitalisierung stellt alles in den Schatten. Bei aller Begeisterung fragen wir uns aber, wer im Autosektor am Ende die Wertschöpfung auf sich vereint. Sind das vielleicht Plattformunternehmen, die den Zugang zur Mobilität herstellen? Oder kommt doch die Brennstoffzelle und löst die Batterie ab? Für uns ist es unmöglich, die künftigen Erträge in dem Sektor abzuschätzen. Daher sind wir nicht investiert.Muhle: Und Internetplattformen wie Facebook sind Medienunternehmen, die wie Medienunternehmen reguliert gehören. Eine Plattform, die die Spaltung der Gesellschaft fördert, bei der jeder jeden Müll ins Internet stellen kann, muss stärker überwacht werden. Und wenn das auch die Anzeigenkunden immer mehr beschäftigt, stellt sich die Frage, wie robust das Geschäftsmodell wirklich ist. Welche Rolle spielt ESG bei dem Investmentansatz?Hüttinger: Im Investmentprozess haben wir interne Kriterien. Vor allem auf Managementqualität, also die Governance, legen wir viel Wert. Wir sind aber kein Nachhaltigkeitsfonds im ESG-Sprachgebrauch. Aus unserer Sicht gibt es auch eine unklare Situation beim Gesetzgeber und bei den ESG-Ratings. Es fehlt ein einheitlicher Standard. Apple wird von der einen Agentur positiv, von der anderen negativ bewertet. Das ergibt keinen Sinn. Herr Muhle, Sie sind Ultra-Langstreckenläufer. Hilft Ihnen das im Fondsmanagement?Muhle: Zugegebenermaßen muss man etwas verrückt sein, um 60 oder 100 Kilometer zu laufen. Aber diese Besessenheit ist auch das, was wir bei den Unternehmen suchen. Das, was Jeff Bezos ausmacht, zeichnet viele Läufer aus. Unser Setup als Assetmanager ist ein bisschen ungewöhnlich – und das Abweichen vom Strom macht erfolgreiche Unternehmer aus. Und Fondsmanager. Das Interview führte Wolf Brandes.