Im InterviewStuart Dunbar, Baillie Gifford

"Wir versuchen nicht, in den Markt zu investieren"

Stuart Dunbar, Partner bei Baillie Gifford, spricht über Unternehmen, denen er zutraut, das nächste Amazon oder Tesla zu werden und erklärt, warum Moderna das am meisten missverstandene Unternehmen der Welt ist.

"Wir versuchen nicht, in den Markt zu investieren"

Im Interview: Stuart Dunbar

"Wir versuchen nicht, in den Markt zu investieren"

Investmentmanager von Baillie Gifford setzt auf langfristigen Erfolg – Auch Tech-Größen weiter mit Potenzial – Moderna-Bewertung gibt Rätsel auf

Stuart Dunbar, Partner und Investmentstratege bei Baillie Gifford, spricht im Interview der Börsen-Zeitung über Unternehmen, denen er zutraut, das nächste Amazon oder Tesla zu werden, und er erklärt, warum Moderna das am meisten missverstandene Unternehmen der Welt ist.

Herr Dunbar, Teil der Strategie von Baillie Gifford ist es, langfristig auf Unternehmen zu setzen, ungeachtet zwischenzeitlicher Rücksetzer. Was unterscheidet Sie sonst noch von den meisten Mitbewerbern?

Wir sind eine Gesellschaft mit unbeschränkter Haftung, die zu 100% den Partnern gehört Es gibt also keine außenstehenden Aktionäre. Jeder Partner arbeitet Vollzeit in der Firma. Wenn jemand in den Ruhestand geht, gibt er seinen Anteil zum Buchwert an die nächste Generation von Partnern weiter – nicht zum Marktwert. Ich kann also aus meinem Anteil am Unternehmen kein Kapital schlagen. Das ist wichtig, um den langfristigen Fortbestand und die Kontinuität des Unternehmens zu sichern. Die gesamte Führung des Unternehmens ist voll und ganz auf die langfristige Rendite für die Kunden ausgerichtet und muss sich nicht etwa an einer Bewertung am Kapitalmarkt orientieren. Das verschafft uns die Freiheit, langfristig zu denken. Viele andere Investmentfirmen stehen unter ganz anderem Druck, weil sie versuchen müssen, die Rentabilität über den gesamten Zyklus der Vermögensverwaltung aufrechtzuerhalten.

Von den meisten anderen unterscheidet Sie auch die aktive Anlagestrategie, die sich nicht an Indizes orientiert, oder?

Unsere Philosophie besteht darin, nur in Unternehmen zu investieren, die unserer Meinung nach das Potenzial haben, ein Vielfaches unserer Anfangsinvestition zu erwirtschaften. Nun sind nicht alle unsere Strategien gleich. Einige sind aggressiver als andere. Aber selbst bei unseren am wenigsten aggressiven Strategien streben wir eine zweieinhalbfache Rendite in fünf Jahren an. Bei den aggressiveren Strategien streben wir vielleicht das Fünffache in zehn Jahren an.

Entwicklung am Markt sind Ihnen egal?

Wir versuchen nicht, in den Markt zu investieren. Wir decken nicht einmal den gesamten Markt ab. Es geht uns darum, Bereiche des Wandels in der Welt oder in einzelnen Unternehmen aufzudecken und zu identifizieren, in denen sich etwas Bedeutendes und Wesentliches verändert, was bedeutet, dass sich hier eine große Chance bietet. Wir würden niemals ein Unternehmen kaufen, weil wir glauben, dass es im Vergleich zu seinen Konkurrenten 20% unterbewertet ist. Die Orientierung an Peergroups und Indizes halten wir für ein untaugliches Konzept. Unsere Definition von Risiko ist nicht, schlechter als ein Index zu sein. Das Risiko besteht darin, in Unternehmen zu investieren, die sich schlecht entwickeln und Werte vernichten. Weil wir so vorgehen, können wir uns zuweilen sehr vom Markt unterscheiden.

Mit entsprechenden Schwankungen?

Ich bin sicher, Sie haben sich unsere Performance in den letzten fünf Jahren angeschaut und gesehen, dass wir eine sehr starke und eine sehr schwache Periode hatten. Die letzten Jahre waren extrem und werden sich wahrscheinlich so nicht wiederholen. Aber wir werden uns immer stark vom „Markt“ unterscheiden. Einer der Gründe, warum aktive Manager kollektiv nicht gut abschneiden und unter dem Druck der passiven Konkurrenz stehen, liegt darin, dass sie sich um die kurzfristige Performance sorgen. Sie verstecken sich in der Nähe eines Index oder einer Vergleichsgruppe, und das bedeutet fast per definitionem, dass sie nicht 100% ihres Geldes in die besten Ideen im Namen ihrer Kunden investieren. Langfristig gesehen ist es dadurch weniger wahrscheinlich, dass Sie einen Mehrwert schaffen.

Was tun Sie für langfristigen Erfolg?

Ich sage den Leuten immer, dass wir uns nicht sehr für die Aktienmärkte interessieren, was für eine Investmentgesellschaft seltsam klingt. Aber wir sind daran interessiert, großartige Unternehmen mit einem hochqualifizierten Management zu finden, die langfristige und nachhaltige Wachstumschancen bieten. Mit diesen arbeiten wir dann sehr eng zusammen und ermutigen sie, langfristig zu investieren. Wir bevorzugen Unternehmen, die ihren Cashflow sinnvoll in ihr eigenes Geschäft reinvestieren, und überwachen ihre fundamentalen Fortschritte. Und wenn wir die richtigen Entscheidungen treffen, werden die Aktienkurse schließlich den Erfolg dieser Unternehmen widerspiegeln. Aber das kann Jahre dauern. Es ist sogar die Regel, dass es fünf Jahre und länger dauert, bis man sich sicher sein kann, dass sich das Geschäft weiterentwickelt und dass sich der Erfolg der Unternehmen im Aktienkurs widerspiegelt. Deshalb sagen wir unseren Kunden: Wenn Sie einen Anlagehorizont von einem Jahr haben, sind wir wohl nicht der richtige Partner; wenn Sie einen Zeithorizont von drei Jahren haben, besteht die Chance, dass wir erfolgreich sein werden. Aber bei einem Anlagehorizont von fünf und mehr Jahren halten wir die Wahrscheinlichkeit für ziemlich hoch, dass wir über diese Zeiträume eine Outperformance erzielen können, weil dann die fundamentalen Fortschritte der Unternehmen das Marktrauschen zu überlagern beginnen.

Sie haben schon sehr früh auf heutige Größen wie Amazon oder Tesla gesetzt. Was sind Ihre Favoriten für die Zukunft?

Erstens: Sie wissen, dass die Geschichte von Amazon und Tesla noch nicht abgeschlossen ist. Richtig ist, dass es für Unternehmen, die groß geworden sind, schwieriger wird, im gleichen Tempo zu wachsen. Aber das Tempo der Veränderungen und die erforderlichen Investitionen sind so hoch, dass es einigen dieser großen Unternehmen wie Amazon und Tesla, aber auch anderen wie Microsoft hilft, so stark in ihre Geschäfte investieren zu können. Deshalb glauben wir, dass sie noch immer enorme Aussichten haben.

Und wer sind die Amazons und Teslas der Zukunft?

Lassen Sie uns mit Mercado Libre beginnen, einem südamerikanischen E-Commerce-Unternehmen. Amazon hat Südamerika noch nicht erobert, und wir glauben, dass Mercado Libre buchstäblich das nächste Amazon sein könnte. Das Unternehmen wird wahrscheinlich genau das tun, was Amazon getan hat, und noch mehr, weil sie auch die Zahlungsinfrastruktur aufgebaut haben, die dazugehört. Ein weiteres Beispiel ist Shopify, das das riesige Potenzial hat, all die kleineren Einzelhändler aufzusaugen, die nicht über das Amazon-Portal gehen wollen. Sie haben riesige Werte in der Nutzerzufriedenheit, und sie sind noch relativ früh in der Markteinführung.

Haben Sie noch einen Tipp?

Moderna. Ich glaube, das ist im Moment so ziemlich das am meisten missverstandene Unternehmen der Welt. Ich fand es wirklich erstaunlich, dass es vom Markt im Wesentlichen als Summe der Covid-Umsätze des nächsten Jahres plus Barmittel bewertet wird. Als wir das erste Mal in Moderna investierten – das war noch vor dem Börsengang –, waren wir von der Technologie angezogen, die sie verfolgten. Nämlich die mRNA-Messenger-Plattform, die auf Impfstoffe angewandt werden kann und angewandt wurde, aber auch auf eine Vielzahl anderer medizinischer Behandlungen, die durch Genmanipulation angegangen werden können. Was dann rund um Corona passierte, ist eine Demonstration dessen, wozu Moderna in der Lage ist, und es hat ihnen eine enorme Menge an Finanzmitteln verschafft, um die Pipeline voranzutreiben, für die sie sonst 10 oder 20 Jahre gebraucht hätten. Moderna hat etwa 40 verschiedene Medikamente in der Entwicklung, mit denen alle möglichen schwer zu behandelnden Krankheiten behandelt werden sollen. Dazu gehören auch bestimmte Formen von Krebs. Da Moderna dies mit Hilfe von KI macht, ist der Entdeckungsprozess viel organisierter und effektiver als in der Geschichte von Big Pharma. Die Wahrscheinlichkeit, dass ihre Medikamentenpipeline eine höhere Erfolgsquote aufweist, ist viel, viel größer. Buchstäblich nichts davon fließt derzeit in die Bewertung von Moderna ein. Moderna wird aktuell bewertet, als ob es ein One-Hit-Wonder wäre, und das finde ich wirklich erstaunlich. Für mich ist Moderna wahrscheinlich der beste Tipp für das nächste sehr erfolgreiche Unter-
nehmen.

Auch Nvidia hatten Sie relativ früh auf dem Schirm, oder?

Ich habe eine Research-Notiz aus dem Jahr 2016, in der es heißt, dass wir glauben, dass Nvidia durch die Entwicklung von Grafikprozessoren und Chipsätzen einzigartig gut positioniert ist, wenn die künstliche Intelligenz durchstartet, und ihre Chips die KI-Entwicklung vorantreiben könnten. Zu diesem Zeitpunkt war das nur ein zusätzlicher Teil des Investment Case, nicht der Hauptteil. Jetzt ist sich natürlich jeder über die Fähigkeiten von Nvidia im Klaren. Sie haben ein Monopol auf KI-Grafikprozessoren und obwohl der Aktienkurs in diesem Jahr so stark zugelegt hat, haben wir noch mehr davon gekauft. Sicherlich kann man darüber nachdenken, wo künftig der Wert in der KI entstehen wird, aber im Moment ist Nvidia bei weitem die offensichtlichste Quelle.

Sie fokussieren sich auf Wachstumstitel, empfehlen, dabei aber auch „angrenzende Werte“ im Blick zu haben. Welche Werte grenzen an ein Unternehmen wie Nvidia?

Der naheliegendste wäre ASML, der niederländische Hersteller von Lithografiesystemen für die Halbleiterindustrie. Sie haben einen Marktanteil von 80 bis 90% bei den Maschinen, mit denen Chips hergestellt werden, weil weltweit nur ASML die sogenannte EUV-Lithografie beherrscht, das fortschrittlichste Produktionsverfahren der Chipbranche. Einzig diese Technologie ermöglicht es, Chips der nächsten Generation mit Strukturgrößen von unter sieben Nanometern zu produzieren. Nvidia könnte nicht existieren, wenn es niemanden gäbe, der diese Maschinen herstellt. Sie können die Chips entwerfen, aber jemand muss sie herstellen. Und ASML spielt dabei die Schlüsselrolle.

Neben KI interessieren Sie sich auch für Batterietechnologien, die für eine grüne Wirtschaft unerlässlich sind. Welche Bereiche halten Sie noch für zukunftsträchtig und langfristig rentabel?

Als die Herstellung von Solarmodulen Mitte des Jahres 2000 zum ersten Mal ins Blickfeld von Investoren geriet, erwiesen sie sich am Ende als eine furchtbare Investition, weil die Herstellung von Solarmodulen in China so stark subventioniert wurde und der Preiskampf nicht zu gewinnen war. Ich denke daher, man sollte nicht nur das Offensichtliche tun, sondern versuchen herauszufinden, wo die Engpässe bei der Wertschöpfung entstehen.

Zum Beispiel?

Wir investieren zum Beispiel in ein Unternehmen namens Solaredge. Wenn Solarpaneele selbst vielleicht keine gute Investition sind, sind es eher Solarwech-
selrichter, die die Leistung von Solarmodulen sehr viel effizienter machen. Sie könnten deren Leistung um 30 oder 40% steigern. Mit der Spezialisierung auf diesen Part in der Wertschöpfungskette ist Solaredge unserer Meinung nach ein Unternehmen, das sehr gut in der Energiewende mitspielen kann.

Ein weiteres Beispiel sind Nexans und Prysmian, bei denen es sich um Hersteller sehr hochwertiger Kabel handelt. Wenn man einen Windpark sieben Meilen weit draußen im Meer errichtet, muss man den Strom an Land bringen, und man will die Kabel nicht wieder ausgraben müssen, wenn man sie einmal dort unten verlegt hat. Darum werden die Betreiber sehr hohe Preise für sehr hochwertige Kabel zahlen müssen. Nexans und Prysmian haben darüber hinaus auch noch die Technologie für die Verlegung der Kabel. Das ist eine riesige Wachstumsbranche. Klingt vielleicht nicht sexy, ist aber wahrscheinlich besser, als in die Hersteller von Windturbinen zu investieren, die einen enormen Wettbewerb haben. Mir geht es darum, nicht nur das Offensichtliche zu tun, sondern das weniger Offensichtliche.

Und bei E-Autos?

In der Welt der Elektrofahrzeuge haben wir natürlich Tesla. Wir gehen davon aus, dass sie zu gegebener Zeit den Markt für autonomes Fahren dominieren werden. Es ist gut möglich, dass Tesla ein Beinahe-Monopollieferant von Software für autonome Fahrzeuge für alle anderen Autohersteller wird. Dann gibt es CATL, ein chinesisches Unternehmen, das Batterien herstellt. Sie haben – wohl zusammen mit Northvolt  – auch eine führende Technologie, um Batterien zu verbessern, ihre Ladezeiten zu verkürzen, den Gehalt von Rohstoffen wie Lithium und Kobalt zu reduzieren, die beide umstritten und schwer zu finden sind. Damit ist CATL ein gutes Beispiel für eine Investition in der Nähe des Elektrofahrzeugs.

Nio, ein Hersteller von Elektrofahrzeugen in China, beginnt gerade damit, nach Europa zu exportieren. Sie können hochwertige Elektrofahrzeuge zu einem Drittel des Preises der etablierten Hersteller produzieren. Gerade für Sie in Deutschland, dem Weltzentrum der Automobilherstellung, wird das ein sehr interessanter Ort für die nächsten zehn Jahre, weil ich glaube, dass es einige echte Herausforderungen gibt:  Einige dieser Elektroautos, die aus China kommen, sind besser und billiger. Und das ist eine sehr bedrohliche Position für einige der etablierten Autohersteller.

Da Sie gerade China erwähnen: Sie haben auch schon früh das Potenzial von Alibaba erkannt. Nun ist China seit einiger Zeit kein ganz einfacher Markt für Anleger. Bleiben Sie trotzdem dabei?

Ja. Ich denke, dass China ein riskanterer und schwierigerer Ort für Investitionen geworden ist, als es noch vor fünf Jahren der Fall war. Allerdings betrachtet der Westen die Ereignisse in anderen Ländern durch seine eigene Brille. Ich glaube, dass China zutiefst missverstanden wird. Viele glauben, die chinesische Wirtschaft befinde sich in einer schlimmen Lage, weil der Immobilienmarkt so viele Jahre lang der Motor des Wachstums war. Und so scheint man eine Finanzkrise im Stil von 2008 in China zu erwarten. Es ist aber sehr unwahrscheinlich, dass das passiert. Was der Westen nicht versteht, ist die Tatsache, dass anders als in anderen Ländern der Immobiliensektor in China nur eine sehr geringe Hebelwirkung aufweist. Historisch gesehen wurde der Immobiliensektor als Vermögensspeicher genutzt, so dass wohlhabende und auch nicht so wohlhabende Menschen in China in Immobilien investieren, um ihr Vermögen zu sichern, da ihnen nicht viele andere Möglichkeiten zur Verfügung standen. Der Aktienmarkt und der Anleihemarkt sind sehr unterentwickelt, und aufgrund der Kapitalverkehrskontrollen ist es unmöglich, außerhalb Chinas zu investieren. Wenn es zu einem Rückgang der Bautätigkeit und der Immobilienpreise in China kommt, wird sich dies zwar negativ auswirken, weil damit ein Motor des Wirtschaftswachstums wegfällt und einige Investoren um ihr Vermögen gebracht werden. Unserer Meinung nach wird dies jedoch nicht zu einer Kernschmelze des Finanzsystems führen, wie es im Westen der Fall war, und zwar aus dem einfachen Grund, dass das Bankensystem über ausreichende Puffer verfügt, um etwaige Verluste zu verkraften.

Was im Moment verhindert, dass die Menschen all das Geld, das bisher in Immobilien geflossen ist, in irgendeiner Form wieder ausgeben, ist das geringe Vertrauen nach der Covid-Krise. Weil selbst in diesem autoritären Staat die Menschen nicht vorhersehen konnten, in welchem Ausmaß man sie reglementieren würde. Sie mussten quasi zwei Jahre lang unbezahlt zu Hause bleiben. Daher legen viele Menschen in China derzeit einen großen Teil ihrer Ersparnisse für den Fall an, dass das Gleiche noch einmal passiert, denn sie haben nicht den gleichen Sozialstaat, nicht die gleichen Rettungsprogramme wie in anderen Ländern. Das bremst derzeit die Verbraucherausgaben, aber wir denken, dass das ein Ende haben wird und dass wir eine Umstellung auf ein inländisches konsumorientiertes Wachstum in China sehen werden. 

In welchen Sektoren sehen Sie noch Potenzial?

Was die Themen und Sektoren betrifft, an denen wir sehr interessiert sind, so ist Gesundheit sicherlich eines davon. Der Hintergrund ist, dass die Kosten für die Gesundheitsversorgung einer immer älter werdenden Bevölkerung in Verbindung mit wissenschaftlichen Fortschritten, die immer mehr Behandlungen ermöglichen, weltweit zu einer unmöglichen Situation für die Finanzierung der Gesundheitsversorgung führen. Die Gesundheitssysteme können nicht alles, was möglich wird, bezahlen, und das schafft enorme politische Probleme. Kein Politiker will zur Bevölkerung gehen und sagen, dass eine Behandlung nicht bezahlt wird, die Ihr Leben verbessern würde. Aber genau das geschieht bereits, weil es keine Alternative gibt. Langfristig lässt sich das Problem nur lösen, indem man weitaus kosteneffizientere Wege zur Behandlung von Krankheiten findet, und das wird wahrscheinlich das Ergebnis dieser biotechnologischen Revolution sein, die sich auf ein besseres Verständnis der Gensequenzierung und Genmanipulation stützt. Es gibt eine Reihe von Unternehmen in diesem Bereich, an denen wir interessiert sind.

Moderna erwähnten Sie ja bereits. Welche Unternehmen interessieren Sie noch?

Olympus ist ein etabliertes japanisches Unternehmen, das Endoskope herstellt und einen technologischen Vorsprung hat. Endoskope werden für immer mehr Behandlungsformen in Krankenhäusern eingesetzt. Es ist ein riesiger Wachstumsmarkt. Auch 10x Genomics ist interessant. Das Unternehmen führt ausgelagerte Analysen für Arzneimittelhersteller durch und versucht, ihnen bei der Entwicklung von Lösungen zu helfen. Auf dem Gesundheitssektor ist viel im Gange.

Auch der Handelssektor ist interessant. Wir alle wissen, dass Online-Werbung viel Geld einbringt. Wenn Menschen online werben, dann tun sie das nicht wahllos. Der Sinn der Werbung in den Sozialen Medien besteht darin, dass sie auf der Grundlage Ihrer Interessen und Ihres Suchverhaltens gezielt eingesetzt wird. Wenn ich also eine Anzeige auf Facebook kaufen möchte, wie soll ich das tun? Es gibt ein Unternehmen namens The Trade Desk, das gegründet wurde, um zwischen den Käufern und Verkäufern von digitalen Werbeflächen zu vermitteln. Die verfügen über sehr leistungsstarke Verarbeitungsmöglichkeiten und wickeln Millionen von Transaktionen pro Sekunde ab. Die spielen eine entscheidende Rolle bei dem, was Sie sehen, wenn Sie im Netz unterwegs sind, und den Anzeigen, die auf der Website erscheinen.

Das Aktienjahr 2023 war auch für Baillie Gifford kein einfaches. Dennoch haben Sie Branchengrößen wie den Ark Innovation von Cathie Woods, der sich ebenfalls auf Growth-Werte konzentriert, hinter sich gelassen. Was erwarten Sie für 2024?

Nun, ich kann Ihnen sagen, worauf ich hoffe: Ich hoffe, dass sich das Wachstum und die Aktienbewertungen erholen werden. Was ich weiß, ist, dass der Markt im Moment unglaublich risikoscheu und kurzfristig ist. Jedes Unternehmen, das jetzt stark in ein Geschäft investiert, das in fünf Jahren einen positiven Wert haben wird, wird so bewertet, als ob es pleitegehen würde. In einigen Fällen stimmt das, weil die Finanzierungsbedingungen schwieriger sind, aber in vielen, vielen Fällen ist das nicht der Fall. Es gibt da draußen großartige Unternehmen, die die Zukunft aufbauen. Und ich glaube, dass sie im Moment noch viel zu wenig anerkannt werden. Wir argumentieren, dass der Markt alle Wachstumsunternehmen abtut, während einige Wachstumsunternehmen aber in einer sehr gesunden Position sind. Was ich ebenfalls weiß, ist, dass die 20% der Unternehmen mit den am schnellsten wachsenden Gewinnen den Markt im Fünfjahresvergleich immer übertroffen haben.

Wenn wir vor drei Jahren die Unternehmen gefunden hätten, die in den folgenden fünf Jahren am schnellsten wachsen würden, dann hätten sie in jedem einzelnen historischen Beispiel den Markt übertroffen. Im Moment liegen sie jedoch dramatisch hinter dem Markt zurück. Selbst wenn die Statistik  nicht mehr zu 100% stimmt, ist es meiner Meinung nach fast sicher, dass sich diese Unternehmen in den nächsten Jahren in irgendeiner Form erholen werden. Der Markt ist irrational und wird von Spekulanten bevölkert. Was ich also vorhersagen kann, ist, dass, wenn wir die richtigen Unternehmen haben und ihre Gewinne eintreffen und sie sich grundsätzlich so verhalten, wie wir es erwarten, dann wird die Bewertung dieser Unternehmen zusammen mit ihren Gewinnen steigen, auch wenn ihr Multiplikator nicht in die Höhe schießt. Wir müssen also nur sicher sein, dass wir die richtigen Unternehmen kaufen, und wir müssen geduldig sein.

Sie sprachen davon, dass die Verschuldung ein Faktor ist, wenn Sie analysieren, wie Sie die richtigen Unternehmen finden. Gibt es noch andere, die Sie uns nennen können?

Es klingt verrückt, aber wir lieben Unternehmen, die keine Gewinne erwirtschaften. Unternehmen, die so große Möglichkeiten zur Reinvestition sehen, dass sie ihre gesamten Gewinne in das Unternehmen zurückführen, um in Zukunft zu wachsen. Das klassische Beispiel dafür ist Amazon, das 15 Jahre lang kein Geld verdient hat, sich aber in diese unglaubliche Position gebracht hat, in der es sich jetzt befindet. Worauf wir außerdem besonders achten, ist der Gleichklang mit den Interessen des Managements. Denn letztlich setzen nicht wir das Kapital ein, sondern die Manager in den Unternehmen tun das. Sie sind eigentlich die Investoren. Sie sind diejenigen, die in Projekte investieren, Kapital und Ausrüstung kaufen und Mitarbeiter einstellen. Wir schaffen keinen Wohlstand. Wir leiten Kapitalströme. Die Menschen, die das Kapital nutzen, schaffen den Wohlstand. Und viele, viele, viele Unternehmen werden von Managern geführt, die nicht versuchen, Wohlstand zu schaffen. Sie versuchen, das Geld aus dem Unternehmen herauszuholen, und investieren nicht ausreichend in die Zukunft, um Dividenden zu zahlen und Aktien im Interesse der kurzfristigen Aktionäre zurückzukaufen.

Ihr Standort Edinburgh ist nicht gerade das Mekka der Fondsmanager. Sie sehen aber genau darin auch einen Vorteil. Welchen?

Es gibt eine Reihe von Dingen, die für uns hilfreich sind. Edinburgh ist nicht der heiße Finanzplatz, an  dem die Menschen die Möglichkeit haben, alle zwei Jahre ihren Job zu wechseln, weil ihnen jemand etwas mehr Geld angeboten hat. Das bedeutet, dass die Menschen in Edinburgh eher dazu neigen, längerfristig zu denken, weil sie wissen, dass sie wahrscheinlich längerfristig bei Baillie Gifford oder anderen Gesellschaften arbeiten werden. Vielleicht noch wichtiger – und das muss nicht in Edinburgh sein – ist, dass fast alle unsere Investmentmanager an einem Ort sind. Das ermöglicht Informationen, Austausch und natürlich Diskussionen und Debatten über einzelne Aktien. Außerdem können wir so die Mitarbeiter zwischen unseren Anlageteams wechseln. Wenn man lange Zeit nur einen Job macht, kann es passieren, dass man seine Sichtweise verengt und nicht mehr ganz frisch denkt. Von Zeit zu Zeit wechseln wir daher Leute zwischen unseren Investmentteams, um die Dinge aufzufrischen und neue Perspektiven einzubringen. Und das ist sehr viel einfacher, wenn alle jeden Tag an denselben Ort kommen.

Aber ich denke, wir sollten das relativieren und sagen, dass es auch Nachteile gibt. Wir müssen offen sein für den Gedanken, dass einige der besten Investoren – so nennen wir intern die Investmentmanager – der Welt nicht in Edinburgh leben wollen. Wir müssen also anpassungsfähig sein. Daher haben wir eine kleine Anzahl von Investoren, die an anderen Orten ansässig sind, von denen wir denken, dass sie zu unserer Firma passen.

Zur Person: Stuart Dunbar ist seit 2014 Partner bei Baillie Gifford und verantwortlich für die Betreuung von Kunden. Im Jahr 2003 kam er zu dem Unternehmen. Dunbar ist Mitglied verschiedener Führungsgremien innerhalb von Baillie Gifford, darunter die Strategic Leadership Group und die ESG Steering Group. Bevor er zu Baillie Gifford kam, arbeitete Dunbar bei Dresdner RCM in Hongkong und Aberdeen Asset Management in Großbritannien. Er erwarb 1993 einen BA-Abschluss in Finanz- und Wirtschaftsrecht an der University of Strathclyde.

Das Interview führte Tobias Möllers.

Das Interview führte Tobias Möllers.