Zinsmärkte befinden sich in der Neuorientierung
Von Ulrich Kater *)Wenngleich die Sparer in Euroland bislang – und vermutlich noch eine ganze Weile lang – vergeblich auf eine sichtbare Verzinsung ihrer Bankeinlagen warten, ist an den Geld- und Kapitalmärkten bei den Renditen gehandelter Zinsinstrumente in diesem Jahr schon einiges los gewesen. Am Geldmarkt stiegen Forward- und Swapsätze in den ersten Wochen des Jahres deutlich an. Ähnliches war bei kurzlaufenden Staatsanleihen zu beobachten, bevor die Bundesbank mit Käufen am kurzen Ende im Rahmen des modifizierten Anleiheprogramms den Trend umkehrte. Die Renditen langfristiger Bundesanleihen tendierten unter deutlichen Schwankungen auch nach oben.Hintergrund der Marktbewegungen ist ein Paradigmawechsel bei der Einschätzung der Wirtschafts- und Inflationsentwicklung. Nach dem Vorherrschen von Deflationsängsten in den großen Industrieländern bis etwa Mitte vorigen Jahres sind die Marktakteure nun von dem Szenario der Reflationierung der Weltwirtschaft überzeugt. Den Anlass hierzu boten die wieder gestiegenen Preise für Rohöl, welche die Verbraucherpreise in den vorigen drei Monaten in die Höhe trieben. Den eigentlichen Grund bilden jedoch unerwartet gute Konjunkturdaten, die vor der Kulisse heftiger weltpolitischer Umbrüche viele Marktakteure überrascht haben. Selbst wenn man von den rekordverdächtigen Niveaus der weltweiten Stimmungsindikatoren aus der Industrie einige Übertreibungen abdiskontiert, blieb doch eine Aufwärtsrevision der Wachstumserwartungen für dieses Jahr übrig. Solide AuftriebskräfteAnlass für diese Revision ist, dass sich zu den soliden binnenwirtschaftlichen Auftriebskräften in den Vereinigten Staaten sowie in Euroland jüngst wieder wirtschaftliche Lebenszeichen der Schwellenländer hinzugesellen, die ihre rohstoffpreisbedingten Rezessionen hinter sich gelassen haben. Zwar fallen die hieraus resultierenden Wachstumsraten von 1 bis 2 % in Euroland nicht rekordverdächtig aus. Allerdings bedeutet die mittlerweile mehrjährige Dauer des Erholungsprozesses im Euroraum, dass sich die Volkswirtschaften insgesamt langsam wieder einer normalen Auslastung ihrer wirtschaftlichen Kapazitäten annähern – zum ersten Mal seit dem Ausbruch der Finanzkrise vor einer Dekade.Und es ist wahrscheinlich, dass die konjunkturelle Aufwärtsentwicklung noch eine Weile anhält. Der jetzige Aufschwung sowohl in den USA als auch in Euroland ist nachfrageseitig durch die Binnenwirtschaft getrieben, genauer durch den privaten Konsum und die Staatsausgaben. Tritt einer solchen Dynamik nicht ein überwältigender Schock entgegen – etwa aus der Politik oder durch stark steigende Zinsen – dann läuft sie solange weiter, bis sie sich gewissermaßen von ihrem eigenen Erfolg verschluckt, etwa in Gestalt neuer Kreditübertreibungen oder dem Ausbruch von Inflation. Die wesentliche Botschaft dieser Entwicklung für die Zinsmärkte lautet: Eine ultraleichte Geldpolitik ist bei einer Fortdauer dieser Umstände durch nichts mehr zu rechtfertigen.Wenngleich das Reflationsszenario unter den Marktteilnehmern mittlerweile akzeptiert wird, ist alles andere als klar, welche Art von Inflationsregime in den kommenden Jahren herrschen wird. Ist es ein Regime der “Lowflation”, bei dem ein aus verschiedenen Gründen schwaches langfristiges Wachstum am Ende dann doch keine anhaltende Inflationsfantasie entfachen kann? Es könnte allerdings auch sein, dass wir die Rückkehr in eine Welt hoher Inflationsraten erleben, in der sich die Notenbanken mit ihrer jetzigen Extrempolitik hoffnungslos hinter die Kurve fallen lassen und eine Welle von Protektionismus alle inflationsdämpfenden Effekte der vergangenen Globalisierungswelle wieder zurücknimmt. Schaut man auf Marktindikatoren, wie etwa langfristige Zinssätze, dann rechnen die Akteure gegenwärtig allenfalls mit ersterem Szenario. Allerdings sind diese Marktindikatoren nicht mehr sehr informationshaltig in einer Welt, die durch extreme Markteingriffe der Zentralbanken am Anleihemarkt verzerrt ist. Tatsächlich kann diese Frage zurzeit niemand beantworten. Nach jahre- wenn nicht gar jahrzehntelangem Rückgang des Zinsniveaus ist der Markt auf der Suche nach neuen Erklärungsmodellen. In solchen Umbruchphasen steigt die Gefahr vermehrter Schwankungen an den Rentenmärkten. Hohe UngewissheitDie Notenbanken sind gegenwärtig dabei, sich in diesem Nebel der Ungewissheit pragmatisch von einer Haltestange zu nächsten zu tasten. In den USA und in Euroland galt bislang als oberstes Gebot, nur ja nicht das Erreichte zu gefährden. Unabhängig davon, ob die Abfederung der Finanzkrisenfolgen auch langfristig als Erfolg zu werten ist, gilt die gegenwärtige Stabilisierung von Wirtschaft und Finanzen doch als Verdienst der Notenbanken, die sie auf keinen Fall durch einen zu leichtfertigen Straffungskurs aufs Spiel setzen wollen. Daher rührt die sehr behutsame Art der geldpolitischen Wende, die in den USA noch unter dem Fed-Chef Ben Bernanke im Jahr 2013 eingeleitet wurde. Ginge die Europäische Zentralbank (EZB) von jetzt an mit der gleichen Geschwindigkeit zu Werke, dann ist mit dem ersten Zinsschritt, der auch auf dem Sparbuch ankommt, etwa im Jahr 2020 zu rechnen.In den vergangenen Wochen kam denn auch an den Zinsmärkten eine Diskussion darüber auf, ob die EZB angesichts des gegenwärtigen Konjunktur- und Inflationsumfeldes ihren Ausstiegskurs nicht beschleunigen und zumindest den negativen Einlagensatz noch vor der Beendigung der Anleihekäufe zurücknehmen müsste. Möglich wäre dies, wenngleich auch nicht sehr wahrscheinlich. Denn der spektakuläre Anstieg der Inflation im Euroraum ist vorbei. Damit wird in den kommenden Wochen der Druck auf die Notenbank nachlassen. Allerdings wird auch innerhalb des Zentralbankrates künftig vermehrt über Art und Timing des Ausstiegs diskutiert werden. Dies gibt den Marktakteuren viel Spielraum, um Zinsspekulationen loszutreten und die Volatilität an den Zinsmärkten zu befeuern.Es bleibt dabei, dass die Zinswende, die im vergangenen Jahr ausgerufen wurde, so sanft wie möglich gestaltet wird. Auf diese Weise wird sie für die Finanzmärkte nicht nur verkraftbar, sondern sogar als Signal der Normalisierung und damit der Stärke interpretiert. Am Geldmarkt wird der Zinsauftrieb erst ab kommendem Jahr spürbar sein, die Kapitalmarktrenditen werden bereits im Lauf dieses Jahres weiter nach oben tendieren, was insgesamt eine weiterhin steile Kurve hervorruft. Die realen Zinsen bleiben auf diese Weise allerdings auch in den kommenden Jahren noch sehr niedrig: Zwar steigen die nominalen Renditen an, da allerdings die Inflation weiterhin in der Region von 2 % erwartet werden kann, bleiben die realen Erträge mager. Anleiheinvestoren bleibt wie bisher nichts anderes übrig, als durch die Übernahme von Risiken zusätzliche Prämien zu vereinnahmen und durch Markttiming die Kursschwankungen an den Bondmärkten zur Aufbesserung der Jahresperformance zu nutzen.—-*) Ulrich Kater ist Chefvolkswirt der der DekaBank.