TECHNISCHE ANALYSE

Zinswende wird immer deutlicher

Von Jörg Scherer *) Börsen-Zeitung, 26.6.2013 Die jüngsten Äußerungen von Fed-Chef Ben Bernanke in Bezug auf ein mögliches Ende des "Quantitative Easing 3" haben deutliche Spuren an den internationalen Zinsmärkten hinterlassen. Damit steht aus...

Zinswende wird immer deutlicher

Von Jörg Scherer *)Die jüngsten Äußerungen von Fed-Chef Ben Bernanke in Bezug auf ein mögliches Ende des “Quantitative Easing 3” haben deutliche Spuren an den internationalen Zinsmärkten hinterlassen. Damit steht aus charttechnischer Sicht mehr und mehr die drängende Frage im Vordergrund, ob aktuell der mehr als 30-jährige Superzyklus mit fallenden Renditen seit Anfang der 1980er Jahre zu Ende geht. Zur Beantwortung dieser Fragestellung wollen wir die zehnjährigen Zinssätze sowohl dies- als auch jenseits des Atlantiks sowie in Japan unter die (charttechnische) Lupe nehmen. Auflösung der KeilformationDie Auflösung einer klassischen Keilformation lieferte zu Jahresbeginn ein erstes Indiz für steigende Renditen in den USA. Mit der Rückeroberung der unteren Begrenzung des übergeordneten Baissetrendkanals seit Anfang der 1980er-Jahre (aktuell bei 2,02 %) bzw. des wichtigen Renditetiefs vom Dezember 2008 bei 2,04 % lieferte der Chartverlauf im Mai das nächste Ausrufezeichen. Besonders bemerkenswert ist dabei, dass das Überwinden des angeführten Widerstandskreuzes mittels eines “Bullish Engulfing” vollzogen wurde, das sogar die Körper der vier vorangegangenen Monatskerzen umschließt.Da der Aroon-Indikator jüngst zudem dem Beispiel des MACD (Moving Average Convergence-Divergence) gefolgt ist und ebenfalls ein neues Einstiegssignal generiert hat, muss inzwischen von einer nachhaltigen Rückkehr in den gut 30-jährigen Abwärtstrendkanal ausgegangen werden.In der Konsequenz stellt das Renditetief vom Juli vergangenen Jahres bei 1,38 % aller Voraussicht nach die klassische Übertreibung nach unten dar, wie sie regelmäßig in der Spätphase von reifen Baissetrends festzustellen ist. Per saldo muss damit von weiter steigenden Zinssätzen ausgegangen werden, zumal die nächste wichtige Widerstandszone aus verschiedenen Hoch- und Tiefpunkten im Bereich der Marke von rund 2,40 % bereits passiert wurde. Jenseits dieses Levels entsteht aus charttechnischer Sicht zusätzliches Aufwärtspotenzial, denn der nächste Zielbereich ergibt sich nun erst wieder durch ein Fibonacci-Cluster aus zwei unterschiedlichen Retracements (2,86 % bzw. 2,89 %).Für eine nachhaltige untere Zinsumkehr spricht zudem die aktuell vervollständigte inverse Schulter-Kopf-Schulter-Formation, die durch die Tiefpunkte bei 1,67 %, 1,38 % und 1,61 % definiert wird (siehe Chart). Aus der abgeschlossenen Bodenbildung lässt sich ein kalkulatorisches Anschlusspotenzial von rund 100 Basispunkten ableiten, was zu einem rechnerischen Rendite-Kursziel von 3,20 % führt. Das zuletzt genannte Level harmoniert dabei gut mit der 90-Monats-Linie (aktuell bei 3,31 %), die im Verlauf des 30-jährigen Zinszyklus in schöner Regelmäßigkeit als limitierender Faktor fungiert hat.Hilfreich ist in diesem Kontext auch der Blick nach Japan, wo die zehnjährigen Zinsen im April das 2003er-Tief bei 0,44 % nochmals temporär unterschritten, im Anschluss aber ein Reversal-Muster ausgeprägt wurde. Da das Umkehrmuster mittlerweile bestätigt ist, muss hier ebenfalls von der Ausprägung eines wichtigen Markttiefs ausgegangen werden.In Sachen Zinswende sind Japan und vor allem die USA zwar einen Schritt voraus, aber auch hierzulande zeichnet sich eine Bodenbildung immer deutlicher ab. So gelang der zehnjährigen Rendite in Deutschland zuletzt der Spurt über die seit Dezember 2011 bestehende Abwärtstrendlinie (aktuell bei 1,56 %). Das “Zu-den-Akten-Legen” dieser Trendlinie sorgt gleichzeitig für die Rückkehr in den Baissetrendkanal seit Sommer 2008 (untere Begrenzung aktuell bei 1,55 %). Erbitterter WiderstandAm Kreuzwiderstand aus den beiden angeführten Trendlinien hatten sich die Marktteilnehmer zuvor noch die Zähne ausgebissen. In diesem Zusammenhang lohnt der Blick auf den Quartalschart des zehnjährigen Zinsbarometers, wo sich ein sogenannten “Bullish Engulfing”, einer Kombination aus einer weißen und schwarzen Kerze, abzeichnet. Das Bemerkenswerte an diesem Candlestick-Umkehrmuster ist allerdings, dass es nicht nur den Körper der Vorperiodenkerze umschließt, sondern gleich die der drei Vorgänger. Selbst wenn man aufgrund des nahenden Halbjahreswechsels den entsprechenden Langfristchart zu Rate zieht, deuten die ausgeprägten Lunten der letzten drei Halbjahreskerzen auch hier ein sich wandelndes Kräfteverhältnis zwischen Bullen und Bären an.Per saldo ist ein Test der entscheidenden Widerstandszone wahrscheinlich, die in Form des Renditetiefs vom September 2011 bei 1,64 % ihren Ausgangspunkt nimmt und sich über weitere Hoch- und Tiefpunkte bis zu den jüngsten Verlaufshochs bei 1,73/1,74 % erstreckt. Ein Bruch dieser Schlüsselbarrieren würde den unteren Umkehrprozess seit April 2012 abschließen und ein kalkulatorisches Anschlusspotenzial bis in den Bereich von 2,25 % freisetzen. Eine wichtige Zwischenetappe auf dem Weg in diese Region stellt lediglich noch die Kombination aus dem Hoch vom März 2012 und dem Tief vom August 2010 bei 2,07 / 2,09 % dar. Alles in allem schreitet der Zinswendeprozess rund um den Globus voran, sodass das Ende des 30-jährigen Superzyklus sinkender Renditen eine reale Gefahr darstellt.—-*) Jörg Scherer ist Leiter der technischen Analyse bei HSBC Trinkaus.