IM INTERVIEW: STEVEN MAJOR, HSBC

"Zu viel Aufmerksamkeit für Tapering"

Bond-Research-Chef: Auswirkungen der reduzierten Anleihekäufe werden nur ein Tropfen in einem Ozean sein

"Zu viel Aufmerksamkeit für Tapering"

Die Staatsanleihemärkte bereiten den Investoren derzeit Kopfzerbrechen. Durch die in absehbarer Zeit beginnende Reduzierung der Anleihekäufe der US-Notenbank Fed, so eine weit verbreitete Befürchtung, könnte es zu einem deutlicheren Anstieg der Anleiherenditen kommen. In die gleiche Richtung könnten eine wirtschaftliche Beschleunigung und zunehmende Risiken wirken. Die Börsen-Zeitung hat den Leiter des weltweiten Bond-Research von HSBC, Steven Major, zu seiner Einschätzung der Anleihemärkte befragt.- Herr Major, es wird vielfach behauptet, dass es zu einem erheblichen Anstieg der Treasury-Renditen kommen wird, sobald die US-Notenbank Fed beginnt, ihre Anleihekäufe zu reduzieren. Was erwarten Sie? Wo wird die zehnjährige US-Staatsanleiherendite Ihrer Meinung nach in zwölf Monaten liegen?Dem Thema Tapering wird zu viel Aufmerksamkeit gewidmet. Angesichts der Tatsache, dass die Zentralbanken Überschussliquidität von 10 Bill. Dollar geschaffen haben, werden die Auswirkungen der Reduzierung der Anleihekäufe nur ein Tropfen in einem Ozean sein. Die Renditen der Treasuries werden von der Fed vorausschauend gedeckelt. Unterstellt, dass die Prognose der Fed für den Leitzins im Jahr 2016 glaubwürdig ist und es zu einem weiteren Anstieg auf 4 % bis Ende 2018 kommt, wird die zehnjährige Treasury-Rendite nicht über 3 % steigen; dies hängt mit der stärkeren Bedeutung von kurzfristigen Cash-flows, die zum extrem niedrigen Satz abgezinst werden, zusammen. Ist das Potenzialwachstum des amerikanischen Bruttoinlandsprodukts etwas niedriger als von der Fed vorausgesagt, würden wir die zehnjährigen US-Renditen im dritten Quartal 2014 bei 2,1 % erwarten.- Gibt es falsche Vorstellungen im Markt?Konsensprognosen haben durchgängig eine ökonomische Erholung erwartet, zu der es nicht gekommen ist. Die meisten Analysten verwenden zur Voraussage von Anleiherenditen Modelle, die das nominale BIP einbeziehen. Diese Vorgehensweise resultiert typischerweise in einer Erhöhung der Laufzeitenprämie. Meiner Einschätzung nach lag diese Laufzeitenprämie in den zurückliegenden fünf Jahren zwischen 0 und minus 200 Basispunkten. Sie muss daher abgezogen werden.- Wie definieren Sie die Laufzeitenprämie?Die Laufzeitenprämie ist die Unsicherheit darüber, was wir zu kennen glauben. Prognosen von Anleiherenditen erfolgen auf Basis von Erwartungen für Realzinsen und die Inflation sowie der Unsicherheiten um diese beiden Faktoren. Unserer Meinung nach überschätzen Analysten beide Variablen und erkennen nicht, dass Anleiherenditen wegen der negativen Laufzeitenprämie, die oftmals als positive Restgröße betrachtet worden ist, unterhalb des Bruttoinlandswachstums liegen.- Warum ist die Laufzeitengröße negativ?Sie ist wegen des Bestandseffekts der Zentralbankkäufe negativ. Unsere Analysen zeigen, dass auch die Volatilität und die Korrelation zum Aktienmarkt eine Rolle spielen. Rund 70 % der amerikanischen Treasury-Bestände werden vom öffentlichen Sektor gehalten; 20 % von der Fed und die übrigen 50 % von ausländischen Institutionen, bei denen es sich vor allem um Notenbanken handelt.- Wie sieht der jüngste Ausverkauf im historischen Vergleich aus?Der Renditenanstieg von Mai bis August wurde von der Laufzeitenprämie getrieben, deren Wert von einem deutlich negativen auf ein weniger negatives Niveau stieg. Haupttreiber war dabei die Sorge über reduzierte Anleihekäufe der Fed, wobei die Rückkehr der Zinsvolatilität zum Mittelwert zeitlich mit einer weniger negativen Laufzeitenprämie zusammentraf. Unserer Meinung nach haben die Märkte reduzierte Anleihekäufe mit einem Verkauf der Wertpapierbestände der Fed verwechselt. Es hat fünf Jahre gedauert, die Bilanz der Fed auszuweiten, und es wird mindestens sieben Jahre dauern, sie wieder runterzufahren.- Ist eine Reduzierung oder eine komplette Einstellung der Anleihekäufe wirklich ein Problem?Nein, das ist wie gesagt ein Tropfen im Ozean. 100 Mrd. Dollar würden lediglich 1 % der gesamten Überschussreserven von 10 Bill. Dollar darstellen. Monat für Monat fügen die Bank of Japan und die Fed 160 Mrd. Dollar durch Anleihekäufe hinzu, und die Europäische Zentralbank wird möglicherweise weitere Liquidität durch noch mehr langfristige Refinanzierungsgeschäfte hinzufügen. Eine Reduzierung der Anleihekäufe um 10 bis 20 Mrd. Dollar monatlich sollte daher im Kontext der weiter steigenden G 4-Zentralbankenliquidität gesehen werden.- Was bedeutet Tapering für die Schwellenländeranleihen, und warum wurden die Emerging Markets nach den Äußerungen des Fed Chairman Ben Bernanke so stark gedrückt?Die Märkte werden vor allem bei den Ländern mit hohen Leistungsbilanzdefiziten vorsichtig sein. Anscheinend hat die drohende Liquiditätsreduktion einen stärkeren Effekt auf die Länder gehabt, die diese Liquidität am dringendsten benötigen. Wir glauben, dass der Ausverkauf in Indien und Brasilien Ähnlichkeiten mit der Euroland-Peripherie in den Jahren 2010 bis 2012 aufwies. Diese Länder waren von billiger Liquidität aus den Kernstaaten abhängig und, anders als zuletzt die Schwellenländer, nicht in der Lage, Anpassungen durch Währungsabwertung vorzunehmen.- Hat das Schuldendrama das Potenzial, den Treasuries und/oder ihrem Top-Status erheblichen Schaden zuzufügen?Es besteht die Gefahr, dass es im Februar 2014 zu einer Wiederholung der Ereignisse vom vergangenen Monat kommt. Die Auswirkungen sollten jedoch minimal sein, weil die Märkte erkennen, dass das größte Risiko in einer Zahlungsverzögerung und nicht in einem Zahlungsausfall besteht. Längerfristig wird dies aber nur den Diversifizierungsdruck verstärken, der bereits vorher bestanden hat. Denkbare Alternativen für den Dollar sind der Yen, der Euro und der Renminbi, aber ihnen fehlt zumindest ein Teil der Kerneigenschaften einer “erfolgreichen” Reservewährung. Bei den beiden Letztgenannten wären das tiefe Kapitalmärkte und fiskalische Integration.- Wie wird die hohe Verschuldung der Industrienationen die Wirtschaft und die Anleihemärkte beeinflussen?Die hohe Verschuldung ist eine Wachstumsbremse. Wenn die Gesamtverschuldung (Staat, Haushalte, Finanzsektor und Unternehmen) bei fast 300 % des Bruttoinlandsprodukts liegt, wird es für zyklische Treiber schwierig sein, sich durchzusetzen. Geldpolitik ist in der Tat wirkungslos, wenn die am stärksten Verschuldeten ihre Schulden abbauen wollen – egal wo das Zinsniveau liegt.- Befinden sich die Vereinigten Staaten und Europa in einer Lage wie Japan in den zurückliegenden Jahrzehnten?Die Liste der Gemeinsamkeiten wird immer länger. Es ist nicht mehr angebracht zu behaupten, dass Japan anders war, wenn es den überschuldeten westlichen Industrienationen fünf Jahre lang nicht gelungen ist, sich deutlich zu erholen.- Werden die Abenomics funktionieren?Nun, die neue japanische Wirtschaftspolitik hat bereits mehr Erfolg erzielt, als die meisten für möglich gehalten hatten. Das Wachstum Japans ist mit 4 % das höchste unter den entwickelten Volkswirtschaften und höher als in manchen Schwellenländern.- Bildet sich an den Aktienmärkten eine Blase? Wie beurteilen Sie ihre Bewertung?An den Anleihemärkten, bei Treasuries oder im Bund-Markt, gibt es keine Blase. Es ist unwahrscheinlich, dass die großen Treasury-Positionen, die der öffentliche Sektor aufgebaut hat, in absehbarer Zeit abgebaut werden. Eine Blase würde große spekulative Long-Positionen voraussetzen. Der Markt kann eine Blase auch nicht vor ihrem Platzen erkennen. Aber wir können festhalten, dass überzeichnete Börsengänge oftmals einen Zenith am Aktienmarkt anzeigen. Zudem sollten Kreditmärkte, die Unternehmen die Kreditaufnahme zu extrem niedrigen Zinsen zur Restrukturierung ihrer Bilanzen ermöglichen, ein Warnsignal sein.—-Das Interview führte Christopher Kalbhenn.