Kryptowährungen

Über den Hype hinaus

Was Anleger über Bitcoin, Ethereum und Co. wissen sollten und was den aktuellen Hype um die Kyrptowährungen befeuert.

Über den Hype hinaus

Bitcoin ist eine sogenannte Kryptowährung: eine neue Form einer digitalen Anlageklasse, die auf einer dezentralen Datenbank oder einem sogenannte Ledger basiert und über ein großes Netzwerk von Computern verteilt ist. Das Bitcoin-Netzwerk ist öffentlich, ohne Zulassung frei zugänglich und wird nicht durch Regierungen und Finanzinstitutionen kontrolliert. Es gibt keine physischen Bitcoins, sondern nur Datenbankeinträge, die transparent in einem öffentlichen Hauptbuch (Ledger) geführt werden, auf das jedermann über das Internet zugreifen kann. Die Datenbankeinträge werden in Blöcken aufgezeichnet, die einer unveränderlichen Kette von Blöcken, der Blockchain, hinzugefügt werden. Für Bitcoin-Transaktionen werden keine oder in der Regel nur sehr geringe Gebühren fällig. Jeder, der einen Internetzugang und eine sogenannte elektronische Geldbörse (E-Wallet) hat, kann jeder anderen Person auf der Welt einen beliebigen Bitcoin-Betrag „überweisen“, indem er einfach seinen Eintrag im Hauptbuch in das Eigentum der anderen Person überträgt.

Der jüngste sprunghafte Anstieg des Bitcoins

Viele Beobachter sagten Bitcoin voreilig den Untergang voraus, nachdem dessen Preis im Dezember 2017 einen Höchststand von 20089 Dollar erreicht hatte und dann im Dezember 2018 auf 3300 Dollar abstürzte. Doch seitdem die Weltwirtschaft aufgrund der Covid-19-Pandemie vor einem Jahr heruntergefahren wurde, sind Bitcoin und andere Kryptowährungen wieder im Aufwind. Mitte Februar stieg der Preis für einen Bitcoin auf über 55000 Dollar, und Bitcoin überschritt die Marke von 1 Bill. Dollar Marktkapitalisierung. Ende Februar rutschte der Preis in einem sehr volatilen Markt wieder unter die 50000- Dollar-Marke, bevor er am 15. März mit 61700 Dollar einen neuen Höchststand erreichen konnte.

Der jüngste Kryptowährungsboom wird durch die steigende Nachfrage von Privatpersonen und Institutionen getrieben, wobei mittlerweile auch Zahlungsdienstleister wie Paypal, Square und Mastercard auf den Zug aufgesprungen sind. Sogar der Autobauer Tesla hat 1,5 Mrd. Dollar in Bitcoin investiert und angekündigt, Bitcoin beim Kauf von Fahrzeugen als „Währung“ zu akzeptieren. Sogar traditionelle Banken wie BNY Mellon, die bisher einen weiten Bogen um Kryptowährungen gemacht haben, ziehen jetzt das Angebot von Bitcoin-Verwahrungsdienstleistungen in Betracht. Neue Investmentvehikel wie der kürzlich gestartete kanadische Purpose Investments Bitcoin ETF erleben Rekord-Kapitalzuflüsse. Die steigende Nachfrage trifft auf ein begrenztes Angebot, da immer mehr Menschen an ihren Bitcoins festhalten und auf weitere Preissteigerungen spekulieren.

Der Bitcoin-Boom: Befeuert von starken Narrativen?

Was treibt den volatilen Anstieg von Bitcoin? Robert J. Shiller, Wirtschaftswissenschaftler und Nobelpreisträger, erklärt in seinem jüngsten Buch „Narrative Economics“, dass die virale Ausbreitung populärer Narrative den Bitcoin-Boom antreibe. Shiller nennt fünf sich selbst verstärkende Narrative:

Das erste Narrativ dreht sich um Anarchismus. Kryptowährungen und Blockchains, die auf dezentralen Datenbanksystemen beruhen, sprechen Menschen an, die diese Währung als „den Katalysator für eine friedliche Anarchie in Freiheit“ sehen. Tatsächlich deutet der explizite Verweis auf die globale Finanzkrise 2007/08 und die staatlichen Bankenrettungen in England im ersten Bitcoin-Block darauf hin, dass Bitcoin von manchen auch als Reaktion auf angeblich korrupte Regierungen und ein marodes Finanzsystem verstanden wird.

Das zweite Narrativ entspringt der menschlichen Neugierde. Bis heute bleibt die Identität des Schöpfers von Bitcoin, Satoshi Nakamoto, ein Rätsel. Laut Bitcoin.org „verließ Satoshi das Projekt Ende 2010, ohne viel von sich preiszugeben“. Geheimnisse dieser Art beflügeln menschliche Fantasie und Neugierde.

Das dritte Narrativ, das Shiller beobachtet, hat mit der Stärkung der Selbständigkeit des Individuums zu tun. Dass Besitzer von Kryptowährungen anonym bleiben können, erscheint vielen attraktiv. Denn die Angst vor Ungleichheit und auch die Angst, dass Computer menschliche Arbeitskräfte ersetzen könnten und die finanzielle und soziale Ungleichheit in der Gesellschaft weiter zunehmen wird, lassen sich durch dieses Narrativ zerstreuen.

Das vierte Narrativ hängt mit einer Vision für die Zukunft zusammen. Bitcoin befriedigt hier den Wunsch, Teil von etwas Neuem und Aufregendem zu sein.

Das fünfte Narrativ schließlich entspringt dem Wunsch, ein Weltbürger zu sein. Viele sehen den Besitz von Bitcoin als Zeichen der Teilhabe an der Weltwirtschaft. Wie Shiller feststellt, „sind die Menschen an Bitcoin interessiert, gerade weil schon viele andere Menschen daran interessiert sind“.

Lassen wir die Narrative hinter uns und gehen den Dingen auf den Grund: Wie funktioniert Bitcoin? Ist Bitcoin eine echte Währung oder eher eine neue Art von Anlageklasse? Und welche neuen Risiken bringt Bitcoin für private und institutionelle Investmentportfolios mit sich?

Die technischen Details: Wie „entsteht“ ein Bitcoin?

Satoshi Nakamoto konzipierte Bit­coin ursprünglich als „A Peer-to-Peer Electronic Cash System“. Heute ist Bitcoin Core ein Open-Source-Projekt, das die Bitcoin-Client-Software pflegt und veröffentlicht. Dieses geht auf den ursprünglichen Bitcoin-Software-Client zurück, der von Satoshi Nakamoto 2009 veröffentlicht wurde. Dabei handelt sich um eine sogenannte Full-Node-Software zur Validierung der Blockchain sowie einer Bitcoin-E-Wallet. Alle Knoten („Nodes“) des Netzwerks werden über alle Transfers von Bitcoins von einer verschlüsselten E-Wallet zu einer anderen über das Internet informiert. Jeder Knoten sammelt neue Transaktionen in einem neuen Block und versucht, das mathematische Problem für diesen Block zu lösen. Das mathematische Problem besteht darin, einen Hashwert für die im Block aufgezeichneten Transaktionsdaten zu finden, der mit einer Mindestanzahl von Nullen beginnt. Je höher die Mindestanzahl von Nullen ist, desto schwieriger ist das Problem zu lösen. Konkret muss der Hashwert für die Kombination (i) aus dem Hashwert des vorhergehenden Blocks, (ii) der Wurzel („Root“) des sogenannten Merkle-Baums der Hashwerte aller Transaktionsdaten in dem Block und (iii) einem Zeitstempel berechnet werden. Dann kommt die Zufallszahl („Nonce“) ins Spiel, die solange verändert wird, bis ein Hashwert für den Block gefunden ist, der die geforderte Mindestanzahl von Nullen aufweist. Die Verkettung der Blöcke passiert also durch die Berechnung von Hashwerten, die wiederum aus anderen Hashwerten berechnet wurden usw. Jede Manipulation in den Transaktionsdaten der vorherigen Blöcke würde in dieser Verkettung sofort auffallen, was eine Blockchain (relativ zu der Komplexität des Hash-Algorithmus) fälschungssicher macht.

Der jeweils erste Knoten, der dieses mathematische Problem löst, wird mit Bitcoins belohnt – derzeit mit 6,25 Bitcoin pro Block. Die anderen Knoten akzeptieren den Block nur, wenn alle Transaktionen im Block gültig und nicht bereits abgespeichert sind. Sie zeigen ihre Akzeptanz, indem sie mit der Arbeit an einem neuen Block beginnen und den Hashwert dieses Blocks in das Feld für den Hashwert des vorherigen Blocks einsetzen. Um das mathematische Pro­blem zu lösen, setzen die Knoten spezielle „Mining“-Maschinen ein, die erhebliche Mengen an Strom verbrauchen. Da die Schwierigkeit des mathematischen Problems mit der Rechenleistung im offenen Netzwerk zunimmt, ist die Bitcoin-Blockchain mithin so kalibriert, dass etwa alle zehn Minuten ein neuer Block gefunden bzw. „geschürft“ wird. Da die Mining-Belohnung alle 210000 geschürften Blöcke, also etwa alle vier Jahre abnimmt, wird langfristig erwartet, dass die von den Bitcoin-Versendern gezahlten Mining-Gebühren letztendlich die Bitcoin-Belohnungen als Mining-Anreize ersetzen werden. Bislang wurden rund 18,7 Millionen Blöcke geschürft. Die Anzahl der Bitcoins insgesamt ist auf 21 Millionen begrenzt. Sie werden bis 2140 geschürft sein. Die tatsächlich verfügbare Anzahl dürfte allerdings geringer sein. Es wird geschätzt, dass 3 bis 4 Millionen Bitcoins in E-Wallets liegen, deren Schlüssel verloren wurden.

Größter Vertreter einer ­aufstrebenden Anlageklasse

Bitcoin ist keine Währung und keine neue Form von Geld. Denn damit sich etwas als Währung oder Geld-Form qualifizieren kann, muss es als Tauschmittel, Recheneinheit und Wertaufbewahrungsmittel funktionieren. Bitcoin kann diese Funktionen nicht erfüllen. Die Zahl der Unternehmen, die Bitcoin als Zahlungsmittel akzeptieren, ist vergleichsweise gering. Noch wichtiger ist, dass Bitcoins nicht den Status eines gesetzlichen Zahlungsmittels haben. Die hohe Preisvolatilität von Bitcoin macht ihn als Rechnungseinheit ungeeignet. Zudem sorgt der hohe Wert eines einzelnen Bitcoins dafür, dass Preise in „Satoshi“ oder 1/100000000 eines Bitcoins angegeben werden müssten.

Bitcoin wird jedoch zunehmend als Wertaufbewahrungsmittel verwendet, da sein Vorrat, ähnlich wie bei den Edelmetallen Gold oder Silber, mengenmäßig begrenzt ist, Bitcoins langlebig sind und auf E-Wallets und die Bitcoin-Blockchain von jeder Internetverbindung aus zugegriffen werden kann. Einige Beobachter sehen Bitcoin und andere Kryptowährungen als eine neue Anlageklasse, da sie ein eigenes Risiko-Ertrags-Profil haben und ihr Wert zeitweise weniger stark mit der Wertentwicklung von Immobilien, Anleihen, Aktien und Edelmetallen wie Gold korreliert.

Bitcoin bringt neue, idiosynkratische Risiken in die Portfolios von Investoren

Private und institutionelle Investoren sowie Leiter von Finanzabteilungen müssen sich der signifikanten neuen Risiken bewusst sein, die Bitcoin für ihre Portfolien mit sich bringt:

Das Bitcoin-Netzwerk ist anfällig für einen „51-Prozent-Angriff“, d.h. wenn jemand versuchen würde, die Mehrheit der Rechenleistung der Knoten zu kontrollieren, um die Transaktionshistorie neu zu schreiben.

Es besteht das Risiko der versteckten Zentralität. Was wäre, wenn 95% der Bitcoin-Entwickler sich mit der Mehrheit der Mining-Knoten verbünden würden, um das Protokoll zu ändern und die 21-Millionen-Obergrenze aufzuheben? In diesem Zusammenhang ist es auch wichtig zu wissen, dass die meisten anwendungsspezifischen integrierten Schaltkreise (ASICs), die zum Mining von Bitcoins verwendet werden, von Bitmain hergestellt werden. Bitmain gehört einem chinesischen Entwickler von Halbleitern, der selbst große Bitcoin-Mining-Farmen betreibt. Dies schafft einen offensichtlichen Interessenkonflikt in Bezug auf die Markteinführung und Zuteilung neuer, leistungsfähigerer ASIC-Maschinen. Es besteht zudem die Gefahr der Einflussnahme auf die Entwicklung des Open-Source-Protokolls von Bitcoin selbst.

Es gibt eine hohe Konzentration von Mining-Kapazitäten in Ländern mit niedrigen Strompreisen und schwacher Rechtsstaatlichkeit wie der Volksrepublik China oder der Ukraine.

Es besteht ein erhebliches Risiko, dass einflussreiche Institutionen wie das US-Finanzministerium, das US-Justizministerium oder die Europäische Zentralbank strengere Vorschriften für Kryptowährungen wie Bitcoin erlassen könnten. China hat den Handel mit Bitcoin bereits 2017 verboten, um die Umgehung von Kapitalverkehrskontrollen zu unterbinden. Sogar ein Verbot von Bitcoin-Mining wurde erwogen.

Der Bitcoin-Besitz ist in hohem Maße auf einige wenige Individuen, sogenannte Wale („Whales“) konzentriert, die in Ermangelung einer Bitcoin-Marktaufsicht mit sogenannten „Pump and Dump“-Schemata kurzfristig den Bitcoin Preis manipulieren können.

Kritiker weisen auch auf die Rolle von Tether als Einfallstor für Marktmissbrauch hin, dem Dollar-Stablecoin, der von Bitcoin-Investoren oft als Ein- und Ausstiegsmöglichkeit aus der Kryptowährung genutzt wird.

Technologische Risiken offenbaren sich in den häufigen Hacks von Bitcoin-Wallets an zahlreichen Kryptobörsen weltweit.

Ein Durchbruch im Quanten-Computing könnte die SHA-256-Verschlüsselung unbrauchbar machen.

Auch wenn die Natur der öffentlichen Blockchain es den Strafverfolgungsbehörden im Grundsatz erlaubt, Bitcoin-Transfers von E-Wallet zu E-Wallet zu verfolgen, wurde Bitcoin in der Vergangenheit häufiger für Geldwäsche und zur Finanzierung illegaler Aktivitäten missbraucht, was natürlich ein Reputationsrisiko darstellt.

Schließlich verbraucht das Bit­coin-Netzwerk etwa so viel Strom wie Chile und hat einen ökologischen Fußabdruck wie jenen Neuseelands. Das ist nicht mit nachhaltigem Investieren vereinbar, auch wenn mittlerweile fast 40% des für die Berechnung von Hashwerten verbrauchten Stroms bereits aus erneuerbaren Quellen stammen und Mining Farmen vermehrt in der Nähe erneuerbarer Energiequellen errichtet werden.

Nicht weniger bedeutend ist das Risiko, dass Bitcoin durch eine andere Kryptowährung ersetzt werden könnte. Denn es gibt nämlich mittlerweile mehr als 8700 andere Kryptowährungen. Viele von ihnen zeichnen sich durch höhere Skalierbarkeit und geringeren Energieverbrauch aus.

Es gibt aufgrund unterschiedlicher Regulierungen und Kapitalverkehrskontrollen immer noch erhebliche Preisunterschiede zwischen einzelnen Ländern und Regionen.

Da ein Bitcoin nur so viel wert ist, wie eine andere Gegenpartei bereit ist, dafür zu zahlen, könnten die Nachfrage nach Bitcoins und ihr Wert einbrechen, wenn solche Risiken schlagend und die Narrative untergraben werden.

Ethereum: Smart Contracts, dezentrale Anwendungen und Organisationen

Ether, der Coin von Ethereum, ist mit einer Marktkapitalisierung von rund 250 Mrd. Dollar Anfang April 2021 zwar die zweitgrößte Kryptowährung, hat aber bisher im Gegensatz zu Bit­coin kaum die Aufmerksamkeit der breiten Öffentlichkeit auf sich gezogen. Und das, obwohl die meisten Insider argumentieren, dass Ethereum die wichtigere dezentralisierte Plattform ist. Denn Ethereum ist eine universell programmierbare Blockchain, d.h. eine virtuelle Maschine, die dezentrale Anwendungen, auch „Dapps“ genannt, unterstützt. Das Ausführen von Dapps erfordert „Gas“, das nur mit Ether gekauft werden kann. Der jüngste Preissprung von Ether auf mittlerweile über 2100 Dollar hat die Kosten für den Betrieb von Dapps empfindlich erhöht, was Sponsoren dazu zwingt, private Side-Chain-Lösungen für die Zwischenverarbeitung und -aufzeichnung von Daten zu entwickeln.

Eine Dapp besteht aus einer Web-Frontend-Schnittstelle, dezentralen Speicher- und Nachrichten-Protokollen und sogenannten Smart Contracts. Smart Contracts sind Software-Algorithmen, die dazu dienen, die Ausführung der Vertragsverpflichtungen der Teilnehmer an einer Transaktion auf der Blockchain zu automatisieren. Mit anderen Worten: Sobald bestimmte Ereignisse oder Bedingungen auf der Blockchain aufgezeichnet werden, wird die Ausführung bestimmter vorher vereinbarter Aktionen ausgelöst. Auf diese Weise kann zum Beispiel ein gesamter „Order-to-Delivery-and-Payment-Zyklus“ (von der Bestellung bis zur Auslieferung und Bezahlung) dezentralisiert und vollständig automatisiert werden. Die Kombination mehrerer Smart Contracts könnte sogar eine ganze Organisation abbilden.

Im Gegensatz zu Bitcoin ist Ethereum inflationär. Bis zu 18 Millionen Ether können pro Jahr generiert werden, ohne dass es eine Obergrenze für die Gesamtsumme gibt, wobei Blöcke alle zehn bis zwanzig Sekunden „geschürft“ werden und mit zwei Ether pro Block belohnt werden. Das Ethereum-Netzwerk durchläuft seit kurzem einen mehrstufigen Übergang von einem Bitcoin-ähnlichen Proof-of-Work-System, das auf einem kompetitiven Wettlauf zur Lösung eines mathematischen Problems beruht, zu einem Proof-of-Stake-System, bei dem alle Ether-Token-Inhaber am Blockchain-Validierungsprozess teilnehmen können, sofern ein Mindestbetrag von 32 Ether hinterlegt wird. Die Umstellung auf Proof-of-Stake wird die Skalierbarkeit der Ethereum-Blockchain deutlich erhöhen und ihren CO2-Fußabdruck reduzieren, was ihre Position als erlaubnisfrei zugängliche Unternehmens-Blockchain-Plattform vermutlich stärken dürfte. Das vollständige Sichverlassen auf Softwarecodes und automatisierte Vertragsausführungen ist jedoch nicht ohne Fallstricke, wie der folgende Fall der ersten Dezentralen Autonomen Organisation (DAO) zeigt.

Die Lehren aus dem Scheitern der ersten Dezentralen Autonomen Organisation

Die Gebrüder Jentzsch, zwei Ethereum-Programmierer der ersten Stunde, starteten die erste Dezentrale Autonome Organisation im Sommer 2016. Die DAO enthielt nur 663 Zeilen Code, die auf insgesamt 860 Beiträgen von 18 Mitwirkenden basierten. Sie war so konzipiert, dass sie als dezen­traler, von Investoren gesteuerter Risikokapitalfonds funktionierte. Binnen weniger Tage nach ihrem Start hatte sie von ihren neuen Mitgliedern Ether im Wert von 150 Mill. Dollar eingesammelt, wofür diese 1,15 Milliarden DAO-Token erhielten. Die DAO-Token verliehen ihren Inhabern das Recht, Investitionsvorschläge zu machen und auch darüber abzustimmen sowie später Ausschüttungen zu kassieren. Kurz nach dem Start wurde die DAO Opfer eines anonymen Angriffs (Hack), der einen Fehler in der eingebauten Split-Funktion für DAO-Austritte nutzte, um Ether im Wert von damals 50 Mill. Dollar aus der DAO abzuzweigen. Als der Hackerangriff publik wurde, brach der Preis von Ether zusammen. Obwohl die junge Ethereum-Gemeinde zuvor das Mantra „der Code ist das Gesetz“ hochgehalten hatte, beschlossen die Jentzsch-Brüder unter aktiver Beteiligung von Vitalik Buterin und der Ethereum-Stiftung, eine sogenannte Hard Fork zu implementieren, die im Wesentlichen den Code der Ethereum-Blockchain neu schreibt und damit die von der DAO gestohlenen Ether ungültig macht.

Für Nutzer von öffentlichen, erlaubnisfrei zugänglichen Unternehmens-Blockchain-Plattformen wie Ethereum ergeben sich wichtige Lehren aus dem DAO-Fall:

Erstens, Anwendungsprogramme sind fast nie fehlerfrei. Einfachheit und rigoroses Testen und Prüfen des Software-Codes sind der Schlüssel zur Fehlerreduktion. In der Tat, die Sicherheit von Smart Contracts hat sich im Laufe der Zeit erhöht, was Ethereum zu einer der am gründlichsten getesteten Unternehmens-Blockchains macht.

Zweitens kann ein Fehler in einer Anwendung der Reputation der gesamten Plattform und aller anderen Anwendungen auf dieser Plattform schaden.

Drittens hatte die DAO zum Zeitpunkt des Hackerangriffs 15 Prozent aller verfügbaren Ether eingesammelt, was sie so für die Ethereum-Blockchain de facto „too big to fail“ machte.

Viertens zeigt die implementierte Hard-Fork-Lösung die Wirksamkeit von zentral gesteuerten Interventionen in einem scheinbar dezentralen Netzwerk auf, insbesondere wenn es um die Bewältigung unvorhergesehener Probleme geht.

Schließlich wirft der Hackerangriff im Hinblick auf Regulierung und Aufsicht die Frage auf, ob man sich auf einer Blockchain wirklich in einem rechtsfreien Raum befindet, in dem „nur“ der programmierte Code gilt.

Ethereum auf dem Weg zur führenden öffentlichen Enterprise-Blockchain-Plattform

Trotz dieser frühen Pannen hat sich Ethereum als die dominante öffentliche, frei zugängliche Enterprise-Blockchain-Lösung etabliert. Das Netzwerk besteht derzeit aus über 8500 Knoten, wobei ein Drittel in den Vereinigten Staaten und 20% in Deutschland angesiedelt sind, gefolgt von China, Singapur und Frankreich. Noch wichtiger ist, dass heute im Durchschnitt fast 2300 Entwickler aktiv zur Weiterentwicklung von Ethereum beitragen, eine Steigerung von über 200% im Vergleich zu vor drei Jahren. Über 3000 Dapps wurden in den letzten Jahren auf Ethereum implementiert, und viele große Unternehmen aus den unterschiedlichsten Branchen haben begonnen, Ethereum zu nutzen.

Ethereum könnte das Rückgrat eines dezentralen Internets werden und als solches aber auch selbst zu einer eigenen Risikoquelle werden. Nicht zuletzt ist Ethereum auch die Basis-Blockchain für die meisten Decentralized-Finance-(DeFi)-Anwendungen, ein Überbegriff für eine wachsende Zahl von experimentellen Protokollen, die darauf abzielen, Finanzintermediäre überflüssig zu machen.

Bitcoin und Ethereum stellen wichtige technologische Fortschritte dar

Bitcoin und, was noch wichtiger ist, Ethereum mit seiner eingebauten Anwendungsprogrammierplattform stellen wichtige technologische Fortschritte dar, die dazu beitragen könnten, kostengünstigere und sicherere Dienstleistungen und Produkte auf transparente Art und Weise anzubieten und die Grenzen zwischen Organisationen, Branchen und Märkten neu zu definieren.

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