Allgemeinwohl oder Autonomie?
jsc
Für die Bonitätsschätzung gilt in der Tendenz: Je mehr Daten, desto genauer die Prognose. Die Schufa erhebt als Auskunftei längst nicht nur, ob ein Mensch mit einem Zahlungsausfall aufgefallen ist. Angaben zu Konsumkrediten, Girokonten und Kreditkarten, zu Immobilienfinanzierungen und Wohnortwechseln fließen neben anderen Daten ebenfalls mit ein.
Damit geht ein Zielkonflikt einher: Einerseits funktionieren Kreditmärkte besser, wenn zuverlässige Informationen zur Bonität von Privatpersonen verfügbar sind. Günstige Kredite für zuverlässige Kunden sind dadurch ebenso möglich wie der vorsorgliche Ausschluss oder ein höherer Zinssatz für Menschen mit höherem Ausfallrisiko – das Geld wird also effizienter zugeteilt. Andererseits können Kunden einer Auskunftei die Daten nicht einfach vorenthalten, da es für sie nur selten eine Alternative gibt. Die Souveränität über die eigenen Daten büßen sie auf diese Weise ein. Im Geschäftsmodell einer Auskunftei liegt ein Zielkonflikt.
Es ist auch ein Streit zwischen ethischen Prinzipien: Der Appell an das Allgemeinwohl, also an den in Summe größtmöglichen Nutzen aller Menschen, spricht für eine umfassende Datenerhebung, wenn Banken dadurch Kreditrisiken noch besser einschätzen können und im Gegenzug viele günstige Kredite ausreichen. Der Appell an die Autonomie der Einzelnen legt hingegen ein strengeres Regelwerk nahe. Es ist zwar legitim, wenn ein Geldgeber von einem Schuldner eine ehrliche Auskunft über etwaige Zahlungsschwierigkeiten in der Vergangenheit verlangt. Doch ob eine Bank über eine Auskunftei auch viele weitere Merkmale heranziehen darf, die auch zu einer Schätzung zuungunsten eines Kunden führen können, ist aus dieser Sicht alles andere als klar. Über die Verwendung der Daten haben die Betroffenen nur wenig Kontrolle, und Details der Bonitätsbewertung bleiben im Dunkeln.
Die Schufa argumentiert für ihr Geschäft stark mit der Kategorie des Allgemeinwohls: Sie präsentiert sich als Instanz, die Kreditgeschäft in der Breite überhaupt erst möglich macht. Sie will ihr Geschäft aber auch als vereinbar mit Prinzipien der Autonomie verstanden wissen, wenn sie etwa auf eine freiwillige Meldung von Daten zielt und auf die Entscheidungsfreiheit der Kunden verweist. Verbraucher- und Datenschützer sind aus ihrer Position heraus um die Autonomie von Privatleuten besorgt. Das Gewinnstreben der privatwirtschaftlich organisierten Schufa sehen sie tendenziell skeptisch.
Besonders sensible Daten wie Alter und Geschlecht, Nationalität und Religion wertet die Schufa nicht aus. Wie eng darüber hinaus ihre Grenzen gesteckt sein sollten, ist auch eine Prinzipienfrage.
(Börsen-Zeitung,