BaFin nimmt Abhängigkeiten unter die Lupe
Von Sabine Wadewitz, Frankfurt
In ihren Prüfungen zur Qualität der Rechnungslegung will sich die Marktaufsicht BaFin 2023 schwerpunktmäßig die Geschäftsbeziehungen zwischen nahestehenden Unternehmen und Personen vorknöpfen. Das Thema ist aus Sicht der Bundesanstalt für Finanzmarktaufsicht seit vielen Jahren ein Dauerbrenner in Bilanzkontrollverfahren. Es stelle zudem eine besonders relevante Information für Anleger dar.
Die zentrale Regelung über Beziehungen zu nahestehenden Personen und Unternehmen gibt der internationale Bilanzstandard IAS24 vor. Die verlangten Angaben sollen es den Bilanzadressaten ermöglichen, sich ein Bild über die möglichen Konsequenzen von Abhängigkeiten im Firmennetzwerk zu machen. Die Anleger sollen mit Anwendung des IAS24 darüber informiert werden, welche nahestehenden Parteien es gibt, welche Transaktionen mit diesem Kreis stattfinden und wie sich dies auf die Vermögens-, Ertrags- und Finanzlage des Unternehmens auswirkt. Entscheidend ist, dass es in dem Kreis keine Gefälligkeiten gibt.
Die Konzerne müssen transparent machen, ob die Transaktionen zu marktüblichen oder davon abweichenden Konditionen durchgeführt worden sind. Auch mögliche Einflussnahme zum Beispiel über Beraterverträge soll offengelegt werden. Durchblick soll auch geschaffen werden über die Hintergründe von Geschäften mit nahestehenden Firmen.
Bei den potenziellen Fehlerquellen warnt die BaFin vor einer zu engen Auslegung des Kreises an potenziell nahestehenden Unternehmen und Personen. Kritisch sei es auch, wenn die Erläuterungen zu Geschäftsvorfällen und ausstehenden Salden fehlen oder unzureichend sind. Angemahnt werden auch umfassende Aufzeichnungen zur Prüfung von „Nahestehenden-Verhältnissen“. Es müsse nachvollziehbar sein, wie sich ein Unternehmen mit diesem Themenbereich auseinandersetze.
Europäische Vorgaben
Die Wahl des Prüfungsschwerpunktes könnte auch von Erkenntnissen aus dem Fall des Immobilienunternehmens Adler Real Estate motiviert worden sein. Hier gibt es nach früheren Angaben der BaFin Anhaltspunkte, dass nicht vollständig im Sinne des IAS24 bilanziert worden ist. Auch in ihrem ersten Jahr in der neuen Rolle als Bilanzpolizei hatte die BaFin bei Festlegung der Prüfungsschwerpunkte auf einen aktuellen Fall Bezug genommen. Die Pleite des Lieferkettenfinanzierers Greensill gab Anlass, Reverse Factoring in der Bilanzkontrolle 2022 gezielt in den Fokus zu nehmen. Das Augenmerk sollte dabei vor allem darauf liegen, wie solche Transaktionen in den Bilanzen und den Kapitalflussrechnungen dargestellt werden.
In der weiteren Fokussierung für das laufende Jahr orientiert sich die BaFin zudem an Vorgaben der EU-Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde ESMA. In den europäischen Prüfungsschwerpunkten sollen im kommenden Jahr erneut klimabezogene Risiken beleuchtet werden und zudem die Auswirkungen des Krieges in der Ukraine sowie des makroökonomischen Umfelds.
Mit Blick auf klimabezogene Sachverhalte hebt die ESMA hervor, dass Konsistenz in den Angaben das Risiko des Greenwashing vermeiden soll. Die Emittenten hätten umfassend über Klimarisiken zu berichten sowie über Ermessensentscheidungen und Schätzungen, die in den Jahresabschluss eingegangen sind. Klimarisiken seien auch im Wertminderungstest von nichtfinanziellem Vermögen zu berücksichtigen.
Szenarien gefordert
Bei der Darstellung der geschäftlichen Folgen des Ukraine-Krieges warnt die ESMA die Unternehmen vor einer separaten Darstellung der Auswirkungen in der Gewinn-und-Verlust-Rechnung. Stattdessen fordert die Marktaufsicht die Konzerne auf, im Anhang des Jahresabschlusses ausführlich zu informieren. Es müsse Transparenz über Bewertungsannahmen und Ermessensentscheidungen hergestellt werden. Beim Wertminderungstest seien Energiepreisszenarien offenzulegen.
Auch der dritte Prüfungsschwerpunkt der ESMA zum makroökonomischen Umfeld wird im Markt als große Herausforderung bezeichnet. Hier geht es um die bilanziellen Auswirkungen von Inflation, Zinsanstieg, geopolitischen Risiken, Pandemie und verschlechtertem Geschäftsklima. Die Emittenten sind aufgefordert, sich über die Fähigkeit zur Fortführung des Betriebs zu äußern und zu den Auswirkungen hoher Energiekosten. In Wertminderungstests soll Transparenz über Zinseffekte geschaffen werden und Klarheit darüber, welche Volatilitäten und Preissteigerungen in Cashflow-Prognosen berücksichtigt sind.
Mehr Schlagkraft
Von juristischer Seite wird Unternehmen geraten, sich auf das Enforcement ihrer Zahlenwerke durch die BaFin vorzubereiten. Bilanzkontrolle sei keine Frage des „Ob,“ sondern nur des „Wann“. Dazu gehöre es, die Prüfungsschwerpunkte von ESMA und BaFin im Blick zu behalten und die entsprechenden Themen vorzubereiten.
Die Bilanzkontrolle hat seit 2021 mehr Schlagkraft bekommen, ist sie doch nach Bekanntwerden des Wirecard-Skandals gesetzlich neu geordnet worden. Seitdem ist die Fehlersuche hoheitlich bei der BaFin angesiedelt, die zuvor nur in zweiter Stufe tätig wurde. Auf erster Stufe war zuvor die privatwirtschaftlich organisierte Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung (DPR) in der Verantwortung. Mit dem Gesetz zur Stärkung der Finanzmarktintegrität (FISG) ist die BaFin in alleiniger Zuständigkeit.
Ziel des Gesetzgebers war es, in einem hoheitlichen Verfahren fehlerhafte Rechnungslegung und damit auch Bilanzmanipulation möglichst früh zu identifizieren und strafrechtlich relevante Sachverhalte gemeinsam mit der Staatsanwaltschaft aufzuklären, wie die BaFin den Übergang zum einstufigen Verfahren darstellt. Die Mitwirkung der Unternehmen an den Verfahren zur Bilanzkontrolle ist unter der Regie der Marktaufsichtsbehörde nun auch nicht mehr freiwillig.
Die BaFin hat in der Begutachtung der Zahlenwerke kapitalmarktorientierter Unternehmensabschlüsse deutlich mehr Befugnisse bekommen als die ehemalige Bilanzpolizei. Dabei wird sie wie die Vorgängerorganisation tätig, wenn konkrete Anhaltspunkte für Verstöße gegen Rechnungslegungsvorschriften vorliegen, nimmt die Bilanzen aber auch stichprobenartig und nach Ermessen unter die Lupe.
Das Verfahren ist mit der gesetzlichen Neuordnung deutlich transparenter geworden. So kann die BaFin bereits die Öffentlichkeit darüber informieren, dass sie in Verdachtsfällen ein Bilanzkontrollverfahren eingeleitet hat. So geschehen etwa in dem aufsehenerregenden Fall von Adler Real Estate. Im Februar 2022 gab die BaFin hier den Hinweis, dass sie die Abschlüsse der Jahre 2019 und 2020 unter die Lupe nehmen wird. Begründet wurde der Fahndungsbeginn damit, dass „konkrete Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen Rechnungslegungsvorschriften“ vorlägen.
Im Juni wurde es mit Blick auf Adler Real Estate detaillierter, als mitgeteilt wurde, dass nun bei dem Immobilienkonzern auch die Prüfung von Konzernabschluss und Lagebericht des Jahres 2021 eingeleitet worden sei. Nun verwies die BaFin darauf, es gebe Anhaltspunkte, dass Beziehungen und Geschäftsvorfälle mit nahestehenden Personen oder Unternehmen nicht vollständig und richtig erfasst und abgebildet worden seien. Zudem sei man durch den Versagungsvermerk des damaligen Konzernabschlussprüfers KPMG auf den Plan gerufen worden. Erste Fehlerfeststellungen der BaFin aus der Prüfung von Konzernabschluss und Lagebericht 2019 des Immobilienunternehmens folgten am 1. August und 17. November – mit dem Hinweis, dass die Prüfung der Rechnungslegung zum Bilanzstichtag 31. Dezember 2019 andauere.
Mehr Transparenz
Im Zuge der erweiterten Transparenz hat die BaFin die Möglichkeit, über wesentliche Verfahrensschritte und zentrale Erkenntnisse zu informieren und auch sukzessive über festgestellte Fehler zu berichten. Sie muss nicht wie früher bis zum Abschluss des gesamten Prüfungsverfahrens warten, um auf Mängel in der Rechnungslegung hinzuweisen. Neu ist auch, dass enthüllt werden kann, wie sich die Rechnungslegung ohne den Fehler dargestellt hätte – damit wird das Ausmaß der Fehlbilanzierung erkennbar.
Die BaFin hatte nach Auflösung der Deutschen Prüfstelle für Rechnungslegung im fliegenden Wechsel deren laufende Verfahren übernommen. Ein Teil der Fehlermeldungen stammt somit noch aus den von der DPR eingeleiteten Prüfungen. Im vergangenen Jahr hat die BaFin für acht Unternehmen Bilanzfehler veröffentlicht – von Eon bis Voltabox.