Bundesbank rätselt über Tiefe der Rezession
ms Frankfurt
Trotz der positiven Wachstumsüberraschung im Sommerquartal wird die deutsche Wirtschaft nach Einschätzung der Bundesbank im Winterhalbjahr in eine Rezession schlittern. Wie schlimm diese wird, ist nach Ansicht der Notenbank aber offen. Das Ausmaß der Rezession sei „äußerst unsicher“, schreiben die Bundesbankökonomen in ihrem heute veröffentlichten Monatsbericht November, in dem es schwerpunktmäßig um die Wirtschaftslage in Deutschland im Herbst geht. Ungeachtet der konjunkturellen Schwächephase erwarten sie aber weiter hohen Inflationsdruck.
Vor wenigen Wochen hatten sich die Warnungen vor einer schweren Rezession gemehrt – insbesondere wegen der Energiekrise infolge des Ukraine-Kriegs und eines drohenden Mangels an Gas. Im Sommerquartal hatte die deutsche Wirtschaft dann aber mit einem Wachstum um 0,3% statt der erwarteten Schrumpfung überrascht. Auch einige Stimmungsindikatoren waren zuletzt besser ausgefallen als gedacht. Das hat Hoffnungen geschürt, dass ein schwerer Einbruch verhindert werden kann.
Die Unsicherheit ist auch für die Politik und die Europäische Zentralbank (EZB) ein großes Problem, weil sie es schwerer macht, über die angemessene fiskal- und geldpolitische Reaktion zu entscheiden. Bei einer eher milden Rezession könnten sich beispielsweise die beschlossenen Maßnahmen der Ampel gegen die Energiekrise als zu weitreichend erweisen – und womöglich die ohnehin zu hohe Inflation befeuern. Dagegen würde eine schwere Rezession womöglich ein Umdenken beim zuletzt recht aggressiven Zinserhöhungskurs der EZB erfordern.
Gasversorgung entscheidend
Die Bundesbank schreibt nun in ihrem Bericht, dass ein Rückgang des Bruttoinlandsprodukts (BIP) im Winter absehbar sei. „Im laufenden Winterhalbjahr dürfte die deutsche Wirtschaftsleistung deutlich sinken“, heißt es an einer Stelle. Grund seien insbesondere die hohen Energiekosten für die Unternehmen und der inflationsbedingt sinkende Privatkonsum. Grundsätzlich heißt es aber über die drohende Rezession. „Deren Ausmaß ist äußerst unsicher.“ Eine Gasmangellage könne nach derzeitigem Stand wahrscheinlich vermieden werden. Voraussetzung dafür seien jedoch unter anderem ausreichende Gaseinsparungen – „welche gerade bei den privaten Haushalten stark von der Temperatur abhängen“. Die Bundesbank warnt: „Sollte es doch zu einer Gasmangellage kommen, fiele der Rückgang des realen BIP stärker aus.“
In jedem Fall rechnet die Bundesbank weiter mit einer viel zu hohen Inflation. Im Oktober war die deutsche Teuerung nach EU-Berechnung auf 11,6% geklettert. „Die Inflationsrate könnte auch über den Jahreswechsel hinaus zweistellig bleiben“, so die Bundesbankexperten jetzt. Bei der kommenden Gaspreisbremse sei noch unklar, wie sich diese auf die Inflationsrate auswirken werde.
Mit Blick auf die jüngsten Tarifabschlüsse argumentieren die Experten, dass diese „vermehrt kräftig“ ausgefallen seien. Insbesondere die Lohnsteigerungen in der Chemieindustrie von auf Zwölfmonatsbasis umgerechnet 6% und in der Metall- und Elektroindustrie von 5,25% seien „deutlich höher als in den Branchen üblich“. Das Risiko von Zweitrundeneffekten sei gestiegen. Auch deswegen fordert Bundesbankpräsident Joachim Nagel weiter entschlossene Zinserhöhungen der EZB und einen raschen Beginn des Abbaus der aufgeblähten EZB-Bilanz.