Folgen des Krieges

Der Staat als neuer Krisenmanager der Energiebranche

Der Krieg in der Ukraine hat in der EU zu einer nicht vorstellbaren Energiekrise und zu massiven Umbrüchen in den Strom- und Gasversorgungsstrukturen geführt. Die Bundesregierung musste systemrelevante Konzerne retten – will aber auch die Energiewende künftig stärker als Unternehmer mitgestalten.

Der Staat als neuer Krisenmanager der Energiebranche

Von Andreas Heitker, Berlin

Der russische Gaslieferstopp hat nicht nur zu explodierenden Preisen geführt und die Gasverbraucher viel Geld gekostet. Auch die Bundesregierung musste etliche Milliarden zur Sicherung der Versorgungssicherheit in die Hand nehmen: Deutschlands größter Gasimporteur Uniper wurde verstaatlicht, ebenso die frühere deutsche Tochter des russischen Gazprom-Konzerns, Gazprom Germania, die sich mittlerweile Sefe (Securing Energy for Europe) nennt. Hinzu kam der rasche Aufbau einer LNG-Infrastruktur, damit Deutschland künftig auch auf Flüssiggas zurückgreifen kann. Die neue bundeseigene Deutsche Energy Terminal GmbH (DET), die die fünf staatlich angemieteten schwimmenden LNG-Terminals in Wilhelmshaven, Brunsbüttel, Stade und Lubmin betreiben wird, hat im Januar ihr Geschäft aufgenommen.

Da sowohl Uniper als auch Sefe als systemrelevant angesehen werden, hielt sich die Kritik an den Entscheidungen der Regierung in Grenzen. Allerdings verwies Claudia Kemfert, Energieexpertin des DIW Berlin, darauf, dass schon seit Jahren klar gewesen sei, dass fossile Geschäftsmodelle dauerhaft keine Zukunft hätten. „Nun müssen sie quasi in einer fossilen Bad Bank aufgefangen werden – mit Steuergeld, das uns dann an anderer Stelle fehlt.“

Das Bundeswirtschaftsministerium unter der Leitung von Robert Habeck (Grüne) scheint aber durchaus Gefallen daran gefunden zu haben, nicht nur in der Krise am Lenkrad der wichtigen Versorger zu sitzen, sondern auch die nun anstehende beschleunigte Energiewende stärker unternehmerisch voranzutreiben.

Mit dem Netzbetreiber Tennet laufen Gespräche zur Übernahme seiner deutschen Hoch- und Höchstspannungsstromnetze. Die Niederländer scheinen nicht mehr gewillt zu sein, die hohen Investitionskosten der nächsten Jahre zu tragen. Und auch den Aufbau eines neuen Wasserstoff-Leitungsnetzes – ebenfalls zentral für die Energiewende – soll eine neue Gesellschaft mit staatlicher Beteiligung managen, so die Vorstellung des Ministeriums. Habeck selbst kündigte vor einigen Tagen an, auch stille Beteiligungen an Solar- oder Windenergieunternehmen zu erwägen, um die Produktionskapazitäten dieser Branchen wieder verstärkt nach Deutschland zu holen.

Wird die große Liberalisierung in der deutschen Strom- und Gaswirtschaft vor knapp einem Vierteljahrhundert wieder ein Stück weit zurückgedreht? Viele Linke würde es freuen. Und selbst der bayerische Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) hatte die Privatisierung der Energiewirtschaft in einem Interview kürzlich schon als einen „Fehler“ bezeichnet. Die meisten Ökonomen reagieren allerdings skeptisch: „Dies ist kein grundsätzliches Marktversagen“, sagt etwa Henning Vöpel, Vorstand der Stiftung Ordnungspolitik und Direktor des Freiburger Thinktanks Centrum für Europäische Politik (Cep). Der Staat nehme die Krise zum Anlass, durch Verstaatlichung und Marktintervention selbst die Versorgungssicherheit zu bezahlbaren Preisen herzustellen. „Den Marktpreis für Versorgungs­sicherheit kennt er jedoch nicht“, so Vöpel. „Durch die Verstaatlichung nimmt der Staat vielmehr die Anreize zu Investitionen und Innovationen, die für eine effiziente Energiewende jedoch essenziell sind.“

Bremst Habeck damit die Energiewende, anstatt sie zu beschleunigen? Diese Gefahr wird auch in der Branche selbst durchaus so gesehen: Eine Verstaatlichung des Gasnetzes hätte nach Einschätzung von EnBW-Chef Andreas Schell beispielsweise zur Folge, „dass sich Netzbetreiber ebenfalls erheblichen Unsicherheiten gegenübersehen und Investitionsanreize in die Wasserstoffwelt leiden“.

Der Energieexperte und Rechtsanwalt Peter Rosin verweist ebenfalls darauf, dass die Privatwirtschaft im Regelfall flexibler sei, wenn die richtigen und erforderlichen Regulierungsanreize geboten würden. „Dies ist ein Grund mehr, zum Beispiel bei der angedachten – teilweisen – Verstaatlichung der Wasserstoffinfrastruktur sehr zurückhaltend zu agieren und sich auf klare, eindeutige rechtliche Vorgaben und deren engagierte Überwachung zu beschränken“, so der Geschäftsführer der Rosin Büdenbender Rechtsanwaltsgesellschaft.

Die Deutsche Energie-Agentur (Dena) hat ebenfalls schon einen Vorschlag vorgelegt, wie der Aufbau eines Wasserstoffnetzes gelingen kann. Von staatlichen Beteiligungen ist dabei keine Rede. Die Dena rät Habecks Ministerium vielmehr, dass die Netzbetreiber mit Eigenmitteln in Vorleistung gehen sollten, und der Staat lediglich die Investition absichert – mit einem langfristigen Rentabilitätsversprechen.

Versorgungsstabilität, betont der Ökonom Vöpel, sei eine Systemdienstleistung, die durch entsprechende Anreizregulierung von privaten Akteuren und Investoren effizient bereitgestellt werde. Wie dies gelingen könne, sei im übrigen Gegenstand der Reform des europäischen Strommarktdesigns, die Mitte März von der EU-Kommission veröffentlicht werde.

Und was wird dann aus Uniper oder Sefe, die sich jetzt in staatlichen Händen befinden? Rechtsexperte Rosin rät, die Unternehmen so frühzeitig wie möglich wieder an den Markt zu bringen und am besten an regionale Anteilseigner zu verkaufen, die langfristig orientiert und nicht nur renditeorientiert agierten.

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