Energieträger

Deutschland ist nicht bereit für Wasserstoff

Wasserstoff gilt als Energieträger der Zukunft. Die Bundesregierung will deshalb die Produktion deutlich erhöhen. Allerdings ist Infrastruktur für Produktion und Verteilung des grünen Wasserstoffs in Deutschland noch Mangelware. Ausbau und Nachrüstung vorhandener Netze werden Milliarden kosten.

Deutschland ist nicht bereit für Wasserstoff

Von Lisa Schmelzer, Frankfurt

Das Problem zeigt sich bereits im Kleinen: In der Stadt Bad Homburg kamen kürzlich Überlegungen zum Testbetrieb mit Wasserstoffbussen auf. Die Debatte war schnell beendet. Denn der zuständige Bürgermeister musste mitteilen, der Einsatz solcher Fahrzeuge sei derzeit nicht möglich, da es in Bad Homburg und Umgebung keine Tankmöglichkeiten für diese Art von Bussen gebe.

Die Geschichte aus dem Hochtaunuskreis wirft ein Schlaglicht auf das Problem, mit dem ganz Deutschland gerade zu kämpfen hat. Ideen für mehr Nachhaltigkeit gibt es in Massen, es hakt allerdings an der Umsetzung und dabei am häufigsten an der notwendigen Infrastruktur. In Ge­sprächen zum Thema Nachhaltigkeit wird häufig auf solcherlei Probleme nur am Rand oder gar nicht eingegangen.

Nur 417 Kilometer

Beispiel Luftfahrt: Noch ist nicht klar, wo die Reise in Sachen umweltfreundlicher Antrieb hingeht, aber Wasserstoff ist auch hier durchaus eine Möglichkeit. Sollten sich Wasserstoff-Flugzeuge durchsetzen, „müssten wir an die großen Überlandnetze angeschlossen werden“, sagte beispielsweise kürzlich der Chef des Frankfurter Flughafens, Stefan Schulte, im Interview der Börsen-Zeitung. Hört sich einfach an, ist es aber nicht. Denn das Wasserstoff-Leitungsnetz beträgt in Deutschland aktuell gerade mal 417 Kilometer. Und der Einsatz des um ein Vielfaches größeren Erdgasnetzes für Wasserstoff ist umstritten. Es müsse die Frage gestellt werden, ob die bestehende Infrastruktur angesichts der chemischen Eigenschaften von Wasserstoff sicher genug sei, sagte kürzlich etwa der Chef der Prüforganisation Dekra, Stan Zurkiewicz, der Nachrichtenagentur dpa. „Ich würde sagen: noch nicht.“

Hochexplosiv und aggressiv

Für einen breit angelegten Einsatz von Wasserstoff sei die Infrastruktur in Deutschland noch nicht bereit. „Wasserstoff ist eine hochexplosive Chemikalie. Und es ist eine Chemikalie, die die Behälter, in denen sie transportiert wird, sehr aggressiv angreift“, sagte Zurkiewicz. Die Materialien könnten verspröden und Gas könne austreten. Aus diesem Grund müssten die Leitungen zumindest auf den Betrieb mit dem flüchtigen Gas umgerüstet werden. Alternativ müsste Deutschland eine eigene Wasserstoff-Infrastruktur aufbauen – unter hohen Kosten und mit großem Zeitaufwand.

Auch die LNG-Import-Terminals, für die gerade viele Milliarden investiert werden, sind wohl nicht ohne Nachrüstung für den Wasserstoff-Einsatz geeignet. Das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung (ISI) hat untersucht, was notwendig wäre, damit diese Anlagen künftig statt Erdgas auch grünen Wasserstoff aufnehmen können. Das Ergebnis der im Auftrag der European Climate Foundation (ECF) erstellten Studie ist ernüchternd: Es sei nicht ausgeschlossen, dass die LNG-Terminals zu einem Milliardengrab werden. „Derzeit ist unklar, ob die Terminals mit ihren hohen Investitionskosten in Zukunft weiter nutzbar sind“, sagte Matia Riemer, Co-Autorin der Studie. Die Stähle, die verbaut werden sollen, müssten beispielsweise eine große Breite von Temperaturen aushalten können. Denn verflüssigtes Erdgas ist −163 °C kalt, Wasserstoff wird erst bei −253 °C flüssig. Die Anlagen müssen auch verschiedenen Sicherheitsanforderungen gerecht werden, denn Wasserstoff macht das Material spröde und birgt ein hohes Explosionsrisiko. Es sei nicht möglich, „die entsprechenden Terminalkomponenten gleichzeitig mit verschiedenen Energieträgern zu betreiben oder flexibel von einem zum anderen zu wechseln ohne Anpassungen“.

Diesen Details zum Trotz gilt Wasserstoff als Energieträger der Zukunft. Die Bundesregierung fordert und fördert die Produktion von mehr grünem Wasserstoff. Wird das Gas aus erneuerbaren Energien wie Wind- oder Sonnenenergie hergestellt, ist es klimaneutral. Es kann zudem verbrannt werden, um Wärme für Industrieprozesse oder in Haushalten zu spenden. Außerdem lässt es sich in Brennstoffzellen für die Stromerzeugung nutzen. Damit ist Wasserstoff vielseitig einsetzbar, lässt sich speichern und auch klimaneutral erzeugen – ideal eigentlich zur Bewältigung der Energie- und Klimakrise.

Zu wenig grüner Strom

Wegen der erwarteten großen Bedeutung von Wasserstoff als künftigem Energieträger hat Eon kürzlich auf Grundlage von Daten des Energiewirtschaftlichen Instituts der Universität zu Köln (EWI) die aktuelle Lage der Technologie in Deutschland analysiert. Die Auswertung ergab, dass Deutschland einige der bis 2030 gesteckten Ziele mit den aktuellen Bemühungen wahrscheinlich nicht erreichen kann. Weder reiche die inländische Erzeugungskapazität von grünem Wasserstoff aus, noch könne der deutsche Importbedarf gedeckt werden. Außerdem mangelt es an der Infrastruktur, um Wasserstoff zu den Kunden zu bringen, so das Fazit von Eon.

Die Bundesregierung hat es sich zum Ziel gesetzt, bis 2030 die Produktionskapazitäten von Wasserstoff auf 10 Gigawatt zu erhöhen. Im Juli 2022 betrug die Gesamtkapazität hierzulande nur rund 65 Megawatt (0,065 Gigawatt). Unter Berücksichtigung aller geplanten Produktionsvorhaben bis 2030 ist nach Auswertung der Daten des EWI mit einer Gesamtleitung von nur 5,6 Gigawatt am Ende dieses Jahrzehnts zu rechnen, wodurch das Ziel um fast die Hälfte unterschritten wird. Gründe dafür sind, dass es in Deutschland einerseits an genügend grünem Strom mangelt. Andererseits gibt es auch zu wenig Elektrolyseure, also Anlagen, die mit diesem grünen Strom dann Wasser aufspalten, um Wasserstoff zu erzeugen.

Alternativ kann grüner Wasserstoff aus dem Ausland zugekauft werden. Gerade schmieden Spanien und Portugal unter Beteiligung von Frankreich Pläne für eine neue Pipeline unter dem Mittelmeer, durch die grüner Wasserstoff in Richtung Resteuropa fließen soll. Auch aus Dänemark, den Niederlanden oder Norwegen mit ihrem üppigen Windkraftangebot könnte grüner Wasserstoff nach Deutschland fließen. Allerdings stellt sich bei all dem wiederum die Frage nach der für die Verteilung benötigten Infrastruktur. Zudem bliebe Deutschland stark abhängig von ausländischen Lieferanten und das will eigentlich nach der Erfahrung mit russischem Gas niemand mehr.

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