Justiz ohne Not in der Defensive
Die gerichtliche Aufarbeitung des Milliardenskandals Cum-ex kommt voran, wenn auch in Tippelschritten. Am Montag starteten gleich zwei neue Prozesse vor dem Landgericht Bonn. Während sich das eine Verfahren mit den bereits hinlänglich bekannten Eigenhandelsgeschäften und Fonds der Warburg Bank befasst, wird jetzt auch ein weiterer Komplex aufgerollt. Es geht um den Caerus II Fonds der Hamburger Varengold Bank. Allein mit diesem Vehikel soll der deutsche Fiskus um 92 Mill. Euro geprellt worden sein.
Doch die rechtsstaatliche Bewältigung des Steuerbetrugs, an dem weite Teile der Bankenbranche in fast industriellem Ausmaß beteiligt waren, bleibt zäh. Das haben vor allem die vergangenen Wochen vor Augen geführt. In Düsseldorf hat der frühere NRW-Justizminister eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen Beamte eingereicht, die ihm vor weniger als einem Jahr noch unterstellt waren. Die Chefs der Kölner Staatsanwaltschaft sollen die Ermittlungen behindert haben. Und am Bonner Landgericht musste eine Strafkammer ihren eigenen Vorsitzenden für befangen erklären – und das ausgerechnet in einem Verfahren, das auch politisch hochbrisant ist. Es geht um den anstehenden Prozess gegen den Warburg-Miteigner Christian Olearius, dessen Treffen mit dem heutigen Kanzler Olaf Scholz eine ganze Nation mehr oder weniger stark beschäftigen.
Die Justiz ist in Sachen Cum-ex ohne Not in die Defensive geraten. Ihr zentrales Problem heißt Transparenz. Mehrere Fragen stehen drängend im Raum. Die wichtigste lautet: Warum brauchen die Anklageschriften so lange? Trotz vieler Staatsanwälte, die mittlerweile an dem Thema arbeiten, erscheint der Output wie ein Tröpfeln. Es mag gute Gründe geben, doch die sollten der Öffentlichkeit erläutert werden. Die Justiz täte gut daran, sich und ihre Arbeit besser zu erklären. Ähnliches gilt auch für das Bonner Landgericht. Die Weitergabe interner Mitschriften aus einem anderen Prozess mit demselben Thema – der Grund für den erfolgreichen Befangenheitsantrag – ist ein äußerst heikler Vorgang. Die Verteidiger der jetzt angeklagten Warburg-Manager haben gleich zu Prozessbeginn diese Steilvorlage dankbar aufgegriffen. Um den Verdacht oder den Eindruck auszuräumen, die verschiedenen Kammern am Bonner Landgericht folgten einer gemeinsamen Linie, braucht es mehr, als einen Richter abzulösen. Es würde nicht schaden, wenn sich die Leitung des Landgerichts einmal grundsätzlich zu der Problematik äußern würde. Sonst droht die immer noch dringend nötige Aufarbeitung von Cum-ex sich zum Teil auf Nebenschauplätze zu verlagern. Das wäre alles andere als angemessen.