Kein Zurück zur alten Normalität
Die frohe Botschaft des Chefvirologen Christian Drosten erreichte die Nation noch vor Weihnachten: Die Pandemie könnte bald vorbei sein. Wenn kein Mutationssprung des Virus auftauche, werde es nur noch kleine Covid-19-Wellen in Deutschland geben, so die Hoffnung, die von vielen Medizinern geteilt wird. Der Optimismus basiert auf der Beobachtung, dass sich das Virus abgeschwächt hat und inzwischen praktisch alle Menschen hierzulande eine Immunität aufgebaut haben – durch Impfungen und Infekte. Mit dem Übergang von der Pandemie zur Endemie ist Corona gleichwohl nicht vorbei, auch darin besteht Einigkeit. Sars-CoV-2 wird absehbar nicht verschwinden, es wird auch künftig Infektionswellen geben, so wie man sie von der Grippe kennt. Mit weiterhin zirkulierenden Covid-19-Erregern sollte nach Einschätzung der Fachleute die erreichte Grundimmunität in der Bevölkerung gleichwohl aufrechterhalten werden. Die Häufigkeit der Infektionen übers Jahr hinweg sollte abnehmen, die Krankheitsverläufe dürften milder werden. Eine gute Nachricht nach weltweit statistisch erfassten 667 Millionen bestätigten Covid-19-Fällen und 6,7 Millionen Coronatoten.
Für die Pharmaindustrie kann es so schnell keine Rückkehr zur Normalität geben, dafür sind die Lehren aus der Coronazeit zu gravierend. Mit den Impfstoffpionieren AstraZeneca, Biontech und Moderna haben sich Arzneimittelhersteller und speziell die Biotechindustrie weltweit höchste Anerkennung verschafft. Dass ein Prozess wie die Herstellung von Impfstoffen, wofür früher von der Virusanalyse bis zur Zulassung mindestens 15 Jahre anzusetzen waren, in Rekordzeit gelungen ist, wird als Zeitenwende in die Annalen eingehen. Geholfen hat hier zwar, dass Coronaviren für die Wissenschaft keine Unbekannten waren. Aber nicht alle potenziellen Coronaimpfstoffe haben eine Immunantwort erzeugen können, die Entwicklung der Vakzine war alles andere als ein Selbstläufer. Das gilt genauso für die Entwicklung von Coronamedikamenten, die auch in einer Endemie gefragt sein werden.
Am Ende sollte nicht vergessen werden, welches Potenzial in kleinen Biotechfirmen steckt, selbst wenn man sie noch eher in der Grundlagenforschung angesiedelt hatte. Wegweisend für künftige medizinische Herausforderungen dürfte zudem bleiben, dass globale Kooperationen zwischen jungen und etablierten Unternehmen genauso wie mit Forschungseinrichtungen und Behörden mit entscheidend waren für die Impfstoffentwicklung in Lichtgeschwindigkeit. Diese Bereitschaft zur Zusammenarbeit wird hoffentlich Bestand haben, denn das nächste Virus kommt bestimmt. Es steht zu hoffen, dass diese positiven Erfahrungen aus im wahrsten Sinne des Wortes grenzüberschreitender Initiative zudem wegweisend sind für weitere medizinische Herausforderungen, etwa im Kampf gegen Antibiotika-Resistenzen oder die Covid-19-Langzeitfolgen.
Die Pandemie hat indes auch strukturelle Defizite im Gesundheitswesen offengelegt. Mit den Lockdowns speziell in China trat unmissverständlich zutage, wie vulnerabel die Lieferketten sind – und hier geht es nicht um vermeintlichen Notstand von Fiebersaft, sondern um die Versorgungssicherheit für lebenswichtige Medikamente gegen Krebs oder schwere bakterielle Infektionen. Die Abhängigkeiten von asiatischer Produktion speziell von patentfreien Pharmawirkstoffen war lange bekannt. Auch Lieferprobleme sind nichts Neues und werden auch in Zukunft aus den unterschiedlichsten Gründen immer wieder auftreten. Aber dass die Versorgung mit bestimmten Medikamenten in Europa am Wohl und Wehe einzelner asiatischer Hersteller hängt, ist bei lebenswichtigen Medikamenten fatal. Zwar geht es den führenden westlichen Arzneimittelkonzernen primär um innovative Produkte mit neuem therapeutischem Nutzen, für die Patientenversorgung in der Breite braucht es aber auch den Zugang zu bewährter Arznei, die ihre Wirksamkeit über lange Zeit unter Beweis gestellt hat, die aber zuletzt in europäischen Kosten- und Preisstrukturen leider nicht mehr rentabel herzustellen war.
In den vergangenen Jahren gab es global und hierzulande immer wieder tiefe Einschnitte im Gesundheitswesen, um Kosten zu senken, darunter Zwangsrabatte und Preismoratorien für Arzneimittel. Diese Sparmaßnahmen hatten ihre Berechtigung, haben aber in Teilen falsche Anreize gesetzt. Aus den Erfahrungen in Pandemiezeiten gilt es zu lernen, was im Sinne von Patientenwohl, Versorgungssicherheit, Finanzierbarkeit und Innovationskraft zu tun ist. Das sollte für alle Beteiligten Ansporn sein.