Mailand

Moderne Wege­lagerei oder Reisen bildet

Ob mit dem Auto von München nach Mailand oder mit dem Zug innerhalb von Italien: Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erzählen.

Moderne Wege­lagerei oder Reisen bildet

Die Bahnverbindung zwischen Mailand und München hat sich in den letzten 50 Jahren nicht verbessert. Im Gegenteil: Direktzüge gibt es – mit Ausnahme der kürzlich aufgenommenen Nachtzugverbindung mit zwölf Stunden Reisezeit – nicht mehr. Die normale Tagesreisezeit mit mindestens einmaligem Umsteigen beträgt siebeneinhalb bis acht Stunden – wenn alles gut geht. Mit dem Auto dauert es nur fünfeinhalb bis sechs Stunden – sofern nicht österreichische Verkehrspolizisten als moderne Wegelagerer für Verzögerungen sorgen.

Auf einer nur knapp 500 Kilometer langen Strecke geht es durch vier Länder. Im deutschen Streckenabschnitt bis Lindau ist die Verkehrsdichte groß. Es wird viel gedrängelt, gerast und aufgefahren. Das Verhalten der Verkehrsteilnehmer ist ruppig.

Im österreichischen Vorarlberg ist es deutlich entspannter, doch Vorsicht: Die Verkehrspolizisten lauern nur darauf, deutschen Autofahrern saftige Geldbußen für Vergehen aufzubrummen, die häufig gar keine großen Verkehrsdelikte sind. Der Großteil der Verstöße sind kleine Geschwindigkeitsüberschreitungen. Eine besondere Erfahrung machte kürzlich der Verfasser dieser Zeilen. Trotz peinlich genauer Beachtung der Verkehrsregeln wurde er herausgewunken. Das Vergehen: Der Verkehrsteilnehmer sei 15 Kilometer unter der erlaubten Höchstgeschwindigkeit von 130 km/h geblieben, habe das Fahrzeug auf der rechten Spur „zu langsam“ überholt und so den Verkehr behindert. Nach längerer Diskussion ließ der Polizeibeamte gegen eine Zahlung von 20 Euro von einer Anzeige ab. Auf der Quittung findet sich nur der Vermerk „Straßenverkehrsordnung“, eine euphemistische Umschreibung moderner Wegelagerei.

Erst die stets entspannte Fahrt durch die landschaftlich herrliche Schweiz ließ den Zorn über das Verhalten der Österreicher verrauchen. Nach dem Passieren des Grenzübergangs Chiasso-Como beginnt zwar wieder die Raserei und vor den Mautstellen stauen sich die Fahrzeuge. Doch spätestens nach dem ersten Kaffee in Mailand ist die Laune wieder bestens. Es sei denn, ein argloser Reisender hat übersehen, dass in Mailand und immer mehr italienischen Städten die Zufahrt in die Innenstädte stark reguliert wird.

So dürfen in Mailand Benziner der Schadstoffklassen 0 bis 2 und Dieselautos der Klassen 0 bis 5 gar nicht mehr in die deutlich erweiterte „Area C“ – das ist fast das gesamte Stadtgebiet – hereinfahren. Für alle anderen Fahrzeuge muss von Montag bis Freitag von 7.30 Uhr bis 19.30 Uhr eine Tagesmaut von 5 Euro bezahlt werden, die man entweder in Tabakläden, Zeitungskiosken und bei den öffentlichen Verkehrsbetrieben zahlt oder telefonisch beziehungsweise online. Wer sich nicht daran hält und von einer der vielen Überwachungskameras erfasst wird, muss im Nachhinein innerhalb von sieben Tagen eine erhöhte Tagesgebühr von 15 Euro entrichten. Oder es drohen saftige Strafen.

Auch Städte wie Bologna, Palermo und Genua schränken die Zufahrten von Pkw in die Innenstadt immer mehr ein. Hintergrund ist die starke Luftverschmutzung, nicht nur, aber vor allem in der Po-Ebene zwischen Turin und Venedig, die zu den Gebieten in Europa mit der stärksten Schadstoffbelastung zählt. Die „Pianura Padana“ ist extrem dicht besiedelt, der energetische Zustand vieler Häuser ist katastrophal und es gibt viel Industrie und Verkehr.

Staus sind fast der Normalfall. Denn das Bahnhochgeschwindigkeitsnetz Italiens ist zwar vorbildlich. Der Ausbau und Unterhalt der Regionalverbindungen ist aber sträflich vernachlässigt worden. Für die Strecke Genua-Turin etwa brauchte man vor 30 Jahren 95 Minuten, heute 111 Minuten.

In anderen Landesteilen ist es teilweise noch schlimmer. Für die 300 Kilometer von Trapani nach Catania in Sizilien muss man mit neun Stunden rechnen, so lang wie für den Flug von Rom nach New York. Aber auch nur dann, wenn alles gut geht. Der niederländische Fotograf Sanne Derks, der auf der Suche nach dem Charme von früher mehrere solcher Strecken abfuhr, kam erst Stunden später am Ziel an und verbrachte zwischendurch viel Zeit an heruntergekommenen Provinzbahnhöfen oder im Schienenersatzverkehr. Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erzählen.

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.