Hartz-IV-Reform

Ökonomen begrüßen Bürgergeld

Der Kompromiss von Ampel-Koalition und Union zum Bürgergeld löst ein breites Echo aus. Unter die überwiegend positive Resonanz bei Volkswirten mischt sich Kritik von anderer Seite.

Ökonomen begrüßen Bürgergeld

rec Frankfurt

Der Kompromiss zum Bürgergeld stößt bei Ökonomen überwiegend auf positive Resonanz. Der Chefvolkswirt der Privatbank Berenberg, Holger Schmieding, spricht von einer positiven Überraschung. Sie stelle sicher, dass Errungenschaften früherer Arbeitsmarktreformen nicht zurückgedreht werden. Andere Volkswirte heben ebenfalls positive Aspekte hervor. Da­gegen kritisiert der Sozialexperte Christoph Butterwegge, aus der versprochenen größten Sozialreform seit 20 Jahren sei auf Betreiben der Union „eine Reformruine geworden“.

Nach langem Ringen und einer Nachtsitzung hatte sich die Ampel-Koalition mit den Unionsparteien auf einen Kompromiss zum Bürgergeld verständigt. Deshalb galt die nötige Mehrheit im Vermittlungsausschuss von Bundestag und unionsdominiertem Bundesrat am Mittwochabend als wahrscheinlich. Dann kann das Bürgergeld zum 1. Januar starten. Es ersetzt das umstrittene Hartz-IV-System in der Arbeitslosenversicherung.

„Hartz IV bleibt Hartz IV“

Zustimmung für den Kompromiss signalisiert auch Marcel Fratzscher, der als Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts DIW eher dem linken Lager zugeordnet wird: „Man kann sicherlich noch einiges verbessern, aber der Gesetzesentwurf ist ein guter Schritt in die richtige Richtung.“ Daran änderten die von CDU/CSU erwirkten Änderungen kaum etwas. Die Union hat beispielsweise durchgesetzt, dass die Regelungen zu Schonvermögen und Karenzzeiten strikter ausfallen als ursprünglich geplant. Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger begrüßt deshalb den Kompromiss. Er stelle sicher, dass „das bewährte Prinzip des Förderns und Forderns in der Arbeitsmarktpolitik wieder stärker in den Blick genommen“ werde.

Bei Sozialverbänden sorgt das wiederum für Empörung. Der Paritätische Wohlfahrtsverband bezeichnet den Kompromiss als „absolut enttäuschend“. Dessen Chef Ulrich Schneider schäumt: „HartzIV bleibt HartzIV.“ Auch der Politikwissenschaftler Butterwegge, einer der führenden Armutsforscher, moniert, Hartz IV werde nicht überwunden, sondern nur abgeschwächt. „Zwar gibt es auch nach dem Kompromiss einige Verbesserungen und Erleichterungen für die Transferleistungsempfänger“, sagte Butterwegge der Börsen-Zeitung. Für die meisten Hartz-IV-Empfänger und Langzeitarbeitslosen ändere sich aber wenig bis nichts. „Außerdem haben Gutqualifizierte einen Vorteil, die ich zur Laufkundschaft der Jobcenter zähle.“

Dagegen hält Berenberg-Chefvolkswirt Schmieding, der sich seit Jahrzehnten mit Arbeitsmarkt und Wachstumsperspektive der deutschen Wirtschaft beschäftigt, den Kompromiss für einen Segen. Er argumentiert, dass frühere Reformen am Arbeitsmarkt unter dem Rubrum Agenda 2010 Millionen Beschäftigte in sozialversicherungspflichtige Jobs gebracht haben (siehe Grafik). Schmieding fürchtete deshalb eine Ab­kehr von tragenden Elementen von HartzIV. „Das ist nun verhindert worden.“

Prinzip Fördern und Fordern

„Es ist nicht wirklich das Ende von HartzIV“, bestätigt Clemens Fuest. Der Chef des Münchner Ifo-Instituts begrüßt ebenfalls, dass das Prinzip des Förderns und Forderns grundsätzlich beibehalten werde. Bedauerlich sei allerdings, dass Ampel und Union bei den sogenannten Anrechnungsregeln keine bessere Lösung gefunden hätten. Das Bürgergeld schaffe so eher Anreize, einen Teilzeitjob anstatt eine Vollzeitbeschäftigung anzunehmen. Bei entsprechenden Änderungen hätten nach Fuests Auffassung etwa 200000 Vollzeitjobs herausspringen können. „Und den Staat hätte das am Ende nichts gekostet“, sagte Fuest der Nachrichtenagentur Reuters.

Etwas anders sieht man das freilich in der SPD. Mit der Umwandlung zum Bürgergeld „lassen wir HartzIV tatsächlich hinter uns“, sagte SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert. HartzIV hatte zu schweren Zerwürfnissen bei den Sozialdemokraten geführt. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz verteidigte den Kompromiss und ging auf die Union los: „Wir sorgen dafür, dass Arbeit sich mehr lohnt als zu jedem Zeitpunkt einer CDU-geführten Bundesregierung.“

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