Thomas Lemke

„Wir sehen uns als Frontrunner“

Der Krankenhausbetreiber Sana Kliniken hat mit einer Schuldscheinplatzierung 410 Mill. Euro eingesammelt. Wie Vorstandschef Thomas Lemke im Interview erläutert, ist es der erste in der Branche mit ESG-Komponente. Konkrete M&A-Ziele hat der Konzern an der Angel.

„Wir sehen uns als Frontrunner“

Sabine Wadewitz.

Herr Lemke, Sana ist mit einem Schuldschein in den Markt gegangen. Vermutlich nicht gerade der beste Zeitpunkt für eine Finanzierung?

Wir sind in den Markt gegangen, um fällige Schuldscheine zu ersetzen. Viele haben uns gewarnt: Finger weg! Es sei keine Liquidität im Markt, die Risiko-Spreads viel zu hoch. Trotzdem haben wir es gewagt und nun die mit Abstand beste Schuldscheintransaktion seit vielen Monaten durchgeführt. Wir haben 410 Mill. Euro platziert – weit über unserer ursprünglichen Erwartung.

Wer hat zugegriffen?

Es sind zwei Dinge, die uns sehr positiv stimmen. Wir konnten eine Reihe ausländischer Investoren für Sana begeistern, Adressen aus Europa und Asien. Sana ist zudem das erste Unternehmen der Branche, das einen ESG-linked-Schuldschein begeben hat. Wir sehen uns als Frontrunner, der mit innovativen Finanzierungsinstrumenten vorangegangen ist.

An welche ESG-Ziele ist der Schuldschein gekoppelt?

Es geht um CO2-Reduktion und um Lieferantenmanagement – Sana ist der größte Einkaufsverbund in der Branche. Das dritte ESG-Ziel stellt auf Antibiotika und Patientensicherheit ab, das halten wir für einen sehr innovativen Nachhaltigkeitsaspekt. Wir wollen den Einsatz von Antibiotika gesteuert reduzieren, weil viele Patienten heutzutage nicht mehr auf diese Medikamente gegen Bakterien ansprechen. Das hat einen riesigen Impact, das will man gar nicht glauben.

Setzt dieses Ziel denn das richtige Signal aus einem Klinikkonzern? Die Patienten erhalten weniger Arznei, damit ein Zinsvorteil in der Finanzierung entsteht?

Auf jeden Fall! Schauen Sie sich die Forderungen der Ärzte oder auch der diversen Initiativen für Patientensicherheit an. Dort werden die Gefahren aus der Überversorgung mit Antibiotika klar beschrieben. Viele treibt die Sorge um, dass Patienten eine dringende Behandlung benötigen, sich aber kein passendes Antibiotikum mehr finden lässt, weil in der Vergangenheit ohne eindeutige Indikation zu viel davon verabreicht wurde. Hier geht es nicht um Menge, sondern allein um Wirksamkeit. Wir wollen Antibiotika gezielt einsetzen und Medizin nicht mit der Gießkanne verteilen. Damit folgen wir einer klaren Forderung der Patientenschützer.

Was macht die ESG-Orientierung im Kupon aus?

Einige Basispunkte im einstelligen Bereich. Über die sehr hohe Nachfrage nach unserem Schuldschein sind wir am unteren Ende vom Credit-Spread angelangt. Die Zahl kann ich nicht nennen. Anfang des Jahres hat Sana angesichts der wachsenden Unsicherheit zudem ein großes Zinssicherungsgeschäft abgeschlossen. Wir laufen mit unseren variablen Tranchen und der Zinssicherung so zusammen, dass wir die aktuelle Finanzierung weit unter Marktverzinsung abgeschlossen haben. Wir sind stolz auf die Transaktion, weil sie auch die Gewinn-und-Verlust-Rechnung nicht in dem Maße belastet wie erwartet.

Wozu brauchen Sie das Geld? Das Volumen übersteigt die abzulösenden Schuldscheine ja deutlich?

Wir benötigen einerseits Liquidität, um unser Working Capital abzusichern. Derzeit sind die Kliniken nicht vollumfänglich in der Lage, Budgets mit den Kostenträgern abzuschließen. Die Branche finanziert gegenwärtig Milliardensummen an Kosten vor. Die Abrechnungsstrukturen haben sich verändert. Zudem wollen wir unsere Investitions- und Wachstumsstrategie absichern.

Sana hat unlängst den Mehrheitserwerb am Berliner Paulinenkrankenhaus bekannt gegeben sowie die Übernahme der Sanitätshausgruppe OTS Schadock. Beim Kartellamt ist die Aufstockung an der Radiologiekette Med 360 Grad angemeldet. Was ist noch in der Pipeline?

Durch die Presse getragen wird noch ein großes Projekt in Koblenz. Hier geht es um das Gemeinschaftsklinikum Mittelrhein, ein Zusammenschluss von fünf Krankenhäusern mit über 4 000 Beschäftigten und rund 330 Mill. Euro Umsatz – der größte Versorgungsverbund in Rheinland-Pfalz. Hier führen wir Gespräche darüber, ob Sana aus der Rolle des Krankenhausmanagers in die Position des Gesellschafters geht. Der Prozess wird aktuell allerdings von vielen Interessenvertretern nicht gerade befördert, um das höflich zu umschreiben.

Welchen Transaktionswert hat man sich hier vorzustellen?

Es geht hauptsächlich um Investitionszusagen in dreistelliger Millionenhöhe für ein neues Klinikzentrum in Koblenz, das zwei alte Standorte ersetzen würde. Darüber hinaus geht es um ein Entschuldungspaket in zweistelliger Millionenhöhe. Das ist unser Angebot.

Welchen finanziellen Spielraum hat Sana insgesamt für Investitionen und Akquisitionen?

Dank des stabilen Gesellschafterkreises verfügt Sana noch über ein genehmigtes Kapital von 100 Mill. Euro. Im Jahr 2020, in der tiefsten Coronakrise, haben die Eigentümer dem Unternehmen 200 Mill. Euro neue Eigenmittel eingeräumt. Das war ein starkes Zeichen. Aus dem Volumen haben wir 100 Mill. Euro gezogen, die gleiche Summe steht noch aus. Wenn man das etwa mit Faktor drei hebelt, bekommen Sie eine Vorstellung über unseren Spielraum.

Sana hat in den vergangenen Jahren im Portfolio stark diversifiziert und in Geschäftsfelder rund um das Krankenhaus investiert, bis hin zu betrieblichen Präventionsprogrammen für Unternehmen. Wird das weiterhin die Expansion prägen, oder steht hier das klassische Klinikgeschäft im Vordergrund?

Die Entwicklung des Portfolios folgt der klaren Strategie, ein umfassendes Angebot für Patienten und die uns anvertrauten Menschen zu schaffen. Diese Gruppen fordern schlichtweg Gesundheitsangebote aus einer Hand. Es gibt so viele redundante Prozesse im Gesundheitswesen, das muss im Sinne der Patientenzufriedenheit behoben werden. Das politische Umfeld macht es indes sehr schwierig, Innovationen und Transformation nach vorne zu bringen. Dennoch: Die stationäre Versorgung bleibt die Seele der Sana, keine Frage. Gleichzeitig liegen die Wachstumsopportunitäten aber woanders.

Wo hakt es?

Die Politik ist immer stärker darauf aus, Gesundheitsversorgung zentralistisch von Berlin aus mit immer mehr Regeln zu organisieren. Es wird immer schwieriger, bei diesen politischen Vorgaben Innovationen voranzubringen, auch wenn sie zwingend notwendig sind. Im Krankenhaussegment laufen derzeit mit dramatischer Geschwindigkeit die Insolvenzzahlen hoch. Hier müssen wir sehen, wie Markt und Politik auf diese Entwicklung reagieren. Das könnte schnell zum Flächenbrand werden.

Gibt es aber nicht in der Tat eine Überversorgung in Ballungsgebieten?

Ja, darüber besteht Einigkeit in der Branche. Die Frage ist aber, wie man den Umbau orchestriert – etwa über kalten Strukturwandel? Um es planvoll zu gestalten, müsste sich der Regulator mit den Krankenhausträgern an einen Tisch setzen. Dazu fehlt es an politischem Willen. Somit müssen wir befürchten, am Ende einer disruptiven Veränderung nicht die für den Bedarf notwendigen Krankenhausstrukturen zu bekommen, sondern ein Zufallsbild an Versorgungsangebot.

Wo sollte die Politik ansetzen?

Die Politik sollte zunächst mal mit den Akteuren im Gesundheitswesen in den Dialog treten. Der Dialog findet derzeit kaum statt, das hängt mit der aktuellen Führung in Berlin zusammen. Wir brauchen dringend ein neues Anreizsystem, um das Thema Ambulantisierung, von dem alle sprechen, voranzubringen. Dazu ist ein hybrides System notwendig, das ambulant und stationär besser verzahnt. Nur so können Patienten in Krankenhäusern ambulant schnell und kostengünstig behandelt werden.

Fehlt denn insgesamt Geld in dem Marktsegment?

Die Transformation des Krankenhausmarktes muss mit einem finanziellen Rahmen abgesichert werden. Es kann sonst nicht gelingen, nach der Schließung von Häusern neue Versorgungsstrukturen zu schaffen.

Es gibt doch aber öffentliche Fördermittel für Krankenhäuser?

Es gibt Fördermittel für Baumaßnahmen, aber sorry, die reichen bei weitem nicht aus und wurden seit Einführung der DRG sukzessive durch die Länder zurückgefahren. Wir benötigen Fördermittel für die Transformation des Klinikmarktes. Hier geht es um neue Infrastruktur, Personalanpassung und neue medizinische Konzepte. Das kann der normale Krankenhausträger aus seinem Betrieb alleine nicht finanzieren.

Kommen wir zur Ertragslage der Sana. Es fällt auf, dass die Ebitda-Marge seit 2018, also schon vor Corona, rückläufig ist. Ist das ein Resultat der Diversifizierung?

Im Gegenteil. Die Margen sind ausschließlich im stationären Klinikgeschäft rückläufig, wo uns regulatorische Eingriffe und die Kostenentwicklung in den Krankenhäusern belasten und damit die Investitionsfähigkeit einschränken. Die neuen, nicht regulierten Aktivitäten tragen dagegen mehr und mehr dazu bei, den Margenrückgang im Kerngeschäft zu kompensieren. Menschen und Unternehmen sind ja gewillt, privat mehr für Prävention und Wohlbefinden zu tun.

Der Geschäftsbetrieb ist nach den Corona-Ausnahmejahren noch nicht zur Normalität zurückgekehrt?

Nein. Ich würde sogar die steile These wagen, dass wir das gewohnte Normale aus der Zeit vor Corona nicht mehr erleben werden. Es wird immer weniger Patienten im klassischen stationären Klinikgeschäft geben, der Trend hat sich ja schon verstetigt. Das ist aus medizinischer Sicht die richtige Entwicklung. Darüber hinaus werden die Krankenhauskapazitäten derzeit regu­latorisch zurückgefahren. Das be­kommt der Normalbürger nur rudimentär mit, die betroffenen Patienten aber sehr wohl. Da vergeht manchmal viel Zeit, bis in Notfällen ein aufnahmefähiges Krankenhaus gefunden wird.

Was werfen Sie dem Regulator vor?

Der Regulator hat schon seit Jahren in die Kapazitätsplanung zum Be­trieb von Kliniken eingegriffen, in die Personalausstattung. Dazu kommen die Belastungen aus Corona und Infektionsschutz. Das führt derzeit dazu, dass im Krankenhaussektor bundesweit nur noch knapp 60% der Kapazitäten am Netz sind. In letzter Konsequenz entstehen daraus Versorgungsengpässe. Das wird sich verschärfen, wenn das System weiter herunterreguliert wird. Die Dramatik wird ja derzeit an der Überbelegung der Kinderkliniken deutlich. Es ist keine Frage der Bettenzahl, es ist eine Frage der Personalstärke und der fehlenden Möglichkeit einer flexiblen Steuerung.

Hatte Sana auch eine hohe Fluktuation während der Pandemie?

Nein. Die Fluktuation war in der Zeit sogar niedriger als in den Jahren davor. Das Personal war natürlich auch in den Sana-Kliniken in der Coronazeit hohen Belastungen ausgesetzt, was den Krankenstand erhöht hat. Das ist die Realität.

Haben die Coronahilfen die Zusatzkosten kompensiert?

Der erste Rettungsschirm 2020 war so konstruiert, dass die Klinikbetreiber ihre ausgebliebenen Erlöse halbwegs ausgleichen konnten. Danach mussten wir sukzessive höhere Eigenanteile tragen. Was auf der Erlösseite kompensiert wurde, lag zudem um 2% unter dem Wert von 2019, das hatte jedes Krankenhaus aus sich heraus zu verkraften. Die letzten staatlichen Hilfen sind Ende Juni 2022 geflossen, seitdem haben wir das toxische Gemisch aus Inflation, hohen Energiekosten und rückläufigen Fallzahlen allein zu bewäl­tigen.

Können Sie die Preise nicht erhöhen?

Der staatlich festgelegte Preisdeckel liegt in diesem Jahr bei 2,3%, im nächsten Jahr bei 4,3% – das reicht bei zweistelliger Inflationsrate nicht aus.

Wie stark schlagen die Energiekosten bei Sana ins Kontor?

Im laufenden Jahr erhöhen sich die Energiekosten um einen mittleren einstelligen Millionen-Euro-Betrag, das ist ein prozentual knapp zweistelliger Anstieg. Beim Ebit sollten wir ohne Sondereffekte dennoch leicht unter Vorjahr ankommen. Wir profitieren von unserem langfristigen Lieferantenmanagement, werden aber auch weniger von der Gas- und Strompreisbremse profitieren als Unternehmen, die sich zu hohen Preisen an den Spotmärkten ein­decken.

Der Gesundheitsmarkt scheint attraktiv zu bleiben, es suchen immer mehr Private-Equity-Häuser nach Zielen. Sind das Investments, die für Strategen nicht interessant sind, oder steht man in hartem Bieterwettstreit?

Wie sich diese Engagements am Ende rechnen sollen, ist für mich in vielen Fällen nicht nachvollziehbar – da muss ich wohl noch mal die Schulbank drücken. Ein strategisch ausgerichtetes Unternehmen wie Sana geht mit anderer Motivation an Transaktionen heran, wir wollen eine langfristige Versorgung sicherstellen und nicht über Buy-and-Build Geld verdienen. Unser Weg ist vermutlich beschwerlicher als der eines Finanzinvestors, wir halten ihn langfristig aber für nachhaltiger.

Das Interview führte

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