Wohnungsmarkt in Nöten
Trendwende bei den Preisen für Wohnimmobilien: Ob Mehrfamilienhäuser oder Eigentumswohnungen – erstmals seit vielen Jahren geht es nicht mehr aufwärts, sondern leicht abwärts, melden Finanzierungsvermittler, Banken und Verbände. Man mag sich noch trefflich darüber streiten, ob die jüngsten Preisabschläge tatsächlich signifikant sind – oder ob es sich nicht vielmehr um eine Stabilisierung des Preisniveaus handelt. Und man wird auch noch jede Menge Objekte finden, für die aufgrund ihrer besonderen Lage oder Ausstattung der Preistrend weiterhin nach oben zeigt. Aber: Die Zeiten stetiger und quasi automatischer Preisanstiege für Wohnimmobilien sind vorbei, seit die Notenbanken der Welt die Leitzinsen nach oben gesteuert haben und an den Anleihemärkten wieder ein risikoloser Zins erhältlich ist.
Eigentlich ist es ja erfreulich, dass der Preisboom für Häuser und Wohnungen endlich ein Ende findet – oder zumindest eine Unterbrechung. Wohlgemerkt: eigentlich. Aber bedauerlicherweise spricht vieles dafür, dass die Preisrally nicht etwa deshalb zum Halt kommt, weil sich der Markt auf der Angebotsseite entspannt. Sondern, ganz im Gegenteil, weil sich auf der Nachfrageseite neue Verspannungen auftun. So haben viele private Hauskäufer ihre Pläne vorerst auf Eis gelegt. Immerhin haben sich die Zinsen für zehnjährige Immobilienkredite seit Jahresbeginn vervielfacht. Zudem beäugen die finanzierenden Banken – nicht zuletzt wegen der nahenden Rezession – die langfristige Zahlungsfähigkeit der Kreditnehmer kritischer. Und außerdem sind die Kosten der Fertigstellung in die Höhe geschossen, egal ob für Betonstahlmatten oder Bauholz. Und was institutionelle Immobilieninvestoren angeht: Hier ist der Transaktionsmarkt zunächst in eine „Schockstarre“ gefallen. Wer derzeit nicht verkaufen müsse, der tue es nicht, berichten Investmentprofis. Es werde wohl noch einige Zeit dauern, bis Anbieter und Nachfrager ihre Preisvorstellungen wieder synchronisiert haben.
Kurzum: Dass der langjährige Preisauftrieb unterbrochen wurde, hat weniger mit einer neuen Balance zu tun als vielmehr mit einem Attentismus der Akteure in Reaktion auf extrem schnelle und gravierende Kehrtwenden an den Zinsmärkten – und damit mit der abwartenden Haltung der Beteiligten in einer Zeit großer Verunsicherung.
Aus Sicht der Mieter stellt sich die Marktentwicklung anders dar. Die Mieten sind auch 2022 weiter gestiegen – und zwar fast überall noch etwas schneller als ein Jahr zuvor. Das gilt bemerkenswerterweise nicht nur für die Ballungszentren, sondern auch für das Umland. Vor allem im sogenannten zweiten Speckgürtel – aus Frankfurter Sicht beispielsweise Hintertaunus, Wetterau oder Odenwald – wird Wohnen teurer. Immobilienprofis begründen dies mit den neuen Möglichkeiten, drei oder vier Tage pro Woche von zu Hause aus zu arbeiten und nur noch ein- oder zweimal pro Woche in die Großstadt pendeln zu müssen. Das erleichtere vielen die Entscheidung für eine Wohnung im Umland auch ohne S-Bahn-Anschluss, Hauptsache das WLAN funktioniere leistungsstark.
Die aus Sicht der Mieter und vor allem der Wohnungssuchenden beunruhigendste Entwicklung ist derzeit freilich nicht der Preisauftrieb, sondern die Zurückhaltung im Neubau. 400 000 Wohnungen hatte die Bundesregierung als Zielmarke gesetzt. Es dürften in diesem Jahr am Ende wohl nur 250 000 werden – und für übernächstes Jahr scheint sogar das Überschreiten der Schwelle von 200 000 Fertigstellungen ambitioniert. Die Spitzenverbände der Bau- und Immobilienwirtschaft schlagen Alarm und sprechen von einer „absolut besorgniserregenden Situation“. In der Tat sprechen die Entwicklungen von Zinsen und Kosten dafür, dass sich die Flaute bei Neubauten verstetigt, was sich als Verschärfung der Wohnungsnot übersetzen dürfte.
Die Aussichten für die Immobilien- und Wohnungsmärkten sind daher aus Sicht sehr unterschiedlicher Stakeholder – Bauunternehmen, Immobilieninvestoren, Kreditinstitute und Mieter – aktuell eher trübe. Wenigstens einen erfreulichen Trend gibt es derweil auch zu vermelden. Die Käufer von Immobilien und auch die Mieter von Wohnungen differenzieren vor dem Hintergrund hoher Energiepreise und aus Angst vor „stranded assets“ immer stärker zwischen energetisch sanierten und schlecht gedämmten Objekten. Es zeichnet sich daher ab, dass Wohnimmobilien auch künftig zu knapp und zu teuer sein werden. Aber die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass sie nicht mehr so viel Energie verschwenden wie in der Vergangenheit.