Wirtschaftskriminalität

Zieht die Cum-ex-Anwälte zur Verantwortung!

Die schleppende Aufarbeitung des Cum-ex-Komplexes durch die hessischen Gerichte unterminiert das Vertrauen in den Rechtsstaat. Es wird Zeit, die Rolle der Wirtschaftskanzleien zu hinterfragen.

Zieht die Cum-ex-Anwälte zur Verantwortung!

Wenn in den kommenden Wochen die Strafkammern der Landgerichte Wiesbaden und Frankfurt ihre Urteile gegen die auf hochvermögende Privatkunden spezialisierten HVB-Berater und gegen das ehemalige Management der Maple Bank fällen, dürfte ihnen die Aufmerksamkeit eines großen Teiles der Finanzbranche und der ihnen als Dienstleister verbundenen Steuerberater sicher sein. Bundesweit wird wegen der von zahlreichen Banken und anderen Investoren betriebenen Cum-ex-Geschäfte gegen eine vierstellige Zahl von Verdächtigen ermittelt, ist von den Staatsanwaltschaften zu hören. Darunter sind gewiss viele Banker, Prüfer, Anwälte und Steuerspezialisten, die nur peripher mit den akkurat geplanten Geschäften zu Lasten der Steuerkasse zu tun hatten. Etwa weil sie aufgrund ihrer Funktion Alarm hätten schlagen müssen – wenn sie von den Kreisgeschäften mit Aktien denn gewusst und diese denn auch in Gänze durchdrungen hätten. Daher wird am Ende gewiss nur ein Bruchteil dieser Ermittlungen tatsächlich zur Anklage wegen schwerer Steuerhinterziehung führen. Doch auch das mulmige Gefühl, vielleicht doch noch zur Rechenschaft gezogen zu werden, und sei es nur im Rahmen einer Zeugenaussage, kann Lebensqualität kosten. Und das in den meisten Fällen schon seit Jahren, wurde die erste Anklage in Sachen Cum-ex doch bereits 2018 erhoben.

Es ist bemerkenswert, dass diese damals von der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt erhobene Anklage erst jetzt in einem Urteil münden wird. Warum es so endlos gedauert hat, bis das Landgericht Wiesbaden die Anklage zuließ, bleibt schleierhaft. Auch dass die Terminierung so immens lange gedauert hat, verwundert. Ja, die Frage nach der Strafbarkeit von Cum-ex war unter Juristen lange umstritten – nicht zuletzt aufgrund der Untätigkeit und Unfähigkeit des Gesetzgebers, der gerade zu billigend in Kauf nahm, wie Banken und Investoren mit denen als Steueroptimierungsgeschäften verbrämten Handelsstrukturen die Steuerkasse plündern konnten. Und ja, beim Ausbruch der Corona-Pandemie war es ein Wagnis, ein Verfahren von so hohem öffentlichen Interesse durchzuführen. Annähernd 150 Kilometer entfernt hat das Landgericht Bonn aber vorgemacht, dass diese Hindernisse überwindbar waren. Obgleich im Falle der dort angeklagten Händler und des Prokuristen der Hamburger M.M.Warburg später Anklage erhoben wurde, haben die beiden Urteile bereits den Bundesgerichtshof (BGH) passiert und sind somit rechtskräftig, während jetzt die beiden Kundenberater noch darauf hoffen, den Gerichtssaal am Dienstag als freie Männer verlassen zu können. Bei allem Verständnis dafür, dass die Rahmenbedingungen und die handelnden Personen unterschiedlich sein können, muss man sich vor allem beim Landgericht Wiesbaden, aber auch sein Frankfurter Pendant darüber im Klaren sein, dass es einen schalen Beigeschmack hat, dass sich die strafrechtliche Aufarbeitung des Cum-ex-Prozesses ausgerechnet in dem Bundesland mit der höchsten Bankendichte derart in die Länge zieht. Der Verdacht, dass dies auch dem Versuch geschuldet sein könnte, die Banken und den Finanzplatz zu schützen, liegt auf der Hand – und gefährdet das Vertrauen in den Rechtsstaat.

Mit Blick auf die öffentliche Wirkung ist es ebenso unglücklich, dass es zumindest in Wiesbaden zwei Randfiguren sind, denen zuerst der Prozess gemacht wird. Die glaubwürdig vorgetragene Beflissenheit, mit der die beiden HVB-Berater dem hochvermögenden Investor Rafael Roth jeden Wunsch von den Augen abzulesen versuchten, um ihn nur als Kunden zu halten, erinnert an eine Redensart von den Kleinen, die man fängt und den Großen, die man laufen lässt. Das ist ungerecht, weil die Kammer keine Schuld daran trägt, dass einer der Großen noch vor der Anklageerhebung verstarb und zwei andere sich ins Ausland absetzten, um der strafrechtlichen Verfolgung zu entkommen. Umso wichtiger ist es, dass es den Staatsanwaltschaften Frankfurt und Köln gelungen ist, sich mit der Schweiz auf die Auslieferung Hanno Bergers zu verständigen. Es ist ein positives Signal, dass sich auch Berger, der prominente Steueranwalt und ehemals ranghöchste Beamte der Frankfurter Finanzbehörden, vor Gericht dafür verantworten muss, dass er seine schwerreiche Klientel auf die Idee brachte, sich Steuern doppelt erstatten zu lassen. Es wäre wünschenswert, dass das Beispiel Schule macht. Wenn die in der übernächsten Woche erwarteten Urteile gegen die Manager des inzwischen geschlossene Brokerhauses Maple Bank verkündet sind, sollte rasch Anklage erhoben werden gegen die hochbezahlten Anwälte, deren rechtliche Einschätzung es mutmaßlich waren, die den Cum-ex-Gaunereien den quasilegalen Anstrich verpassten.

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.