Großbritannien

Zurück in die Zukunft mit Rishi Sunak

In Großbritannien sind nach dem Sturz von Liz Truss angeblich wieder die Erwachsenen am Ruder. Doch wirken sie erschreckend hilflos, was die Herausforderungen angeht, vor denen das Land steht.

Zurück in die Zukunft mit Rishi Sunak

In Großbritannien haben die Erwachsenen wieder das Regieren übernommen. So will es die Legende, seitdem Jeremy Hunt zum Schatzkanzler gemacht wurde. Die Zeit der Ideologen, die turbulente Phase, durch die das Land seit dem EU-Referendum ging, sei nun vorbei. So postulieren es zumindest prominente Politiker wie der ehemalige Außenminister William Hague. Jetzt gehe es wieder um Kompetenz. Die vom nicht gegenfinanzierten Wachstumsplan seines Vorgängers Kwasi Kwarteng in Aufregung versetzten Finanzmärkte beruhigten sich erstaunlich schnell. Doch Hunt ist nicht etwa besonders kompetent, wenn es um die öffentlichen Finanzen geht. Er macht lediglich das, was ihm von der Bank of England und den Experten des Schatzamts gesagt wird. Wachstum durch Steuersenkungen ist nicht mehr angesagt. Es geht nur noch darum, den minimalen Spielraum nutzen, der angesichts vermeintlich unentrinnbarer Zwänge noch bleibt. Kurz nach Hunts Ernennung durch Liz Truss wurde Rishi Sunak zu ihrem Nachfolger gekrönt. Er verströmt eine Professionalität, von der frühere Vertreter des politischen Managerismus nur träumen konnten. Nun wittern sie Morgenluft. Orthodoxie ist nichts mehr, was es zu überwinden gilt, sondern bekommt auf einmal einen positiven Klang. Doch übersehen sie, dass es kein Mandat der Wähler für eine Expertenregierung dieser Art gibt.

Neuwahlen sind so gut wie ausgeschlossen. Labour liegt in Meinungsumfragen um mehr als 30 Prozentpunkte vorn. So wie Truthähne nicht für Weihnachten stimmen würden, hat die übergroße Mehrheit der Tory-Abgeordneten kein Interesse daran, abgewählt zu werden. Doch die Hoffnung auf eine Einigung der sehr diversen Strömungen der Regierungspartei unter dem frischgebackenen Premierminister zerstob mit dem Beginn einer wütenden Kampagne gegen Innenministerin Suella Braverman, die der illegalen Zuwanderung über den Ärmelkanal ein Ende bereiten will. Sie wurde nicht von Labour losgetreten, sondern von Abgeordneten der eigenen Partei, die sich daran stören, dass der von Truss entlassene Liebling des rechten Flügels erneut im Kabinett sitzt. Europhile Tories trommeln derweil für eine engere Anbindung an die EU. Noch ist es wohl zu früh für eine Wiedereintrittskampagne, doch die Querelen deuten darauf hin, dass sich die Regierungspartei im Zustand der Selbstauflösung befindet. Ein weiterer Hinweis darauf ist, dass es der ehemalige Gesundheitsminister Matt Hancock attraktiver findet, ins Dschungelcamp des Fernsehsenders ITV einzuziehen, als weiter an seiner politischen Karriere zu feilen. Angesichts der anhaltenden allgemeinen Ungewissheit sollte es sich von selbst verbieten, einen Politikstil wieder aufleben zu lassen, der dem Populismus eines Nigel Farage erst so richtig Auftrieb verschafft hat.

Doch das Motto des wieder erstarkten politischen Zen­trums und des Apparats lautet offenbar „Zurück in die Zukunft“. Sunak hat nicht das Stehvermögen, ihm die Stirn zu bieten. Wer nicht zu Arztterminen kommt, ohne rechtzeitig abzusagen, werde eine Strafe von 10 Pfund bezahlen müssen, hatte er im Kampf um die Parteiführung angekündigt. Doch der Ärzteverband BMA stellte sich quer. Prompt gab Sunak das Vorhaben auf. Er wollte ursprünglich auch nicht am UN-Klimagipfel im ägyptischen Badeort Scharm el-Scheich teilnehmen. Kein Wunder, er hätte Wichtigeres zu tun – die gemeinsame Vorbereitung des Haushaltsentwurfs mit Hunt etwa. Schließlich soll das Budget am 17. November vorgelegt werden. Nachdem ihm nahegelegt wurde, wegen solcher Kleinigkeiten doch bitte die Weltenrettung nicht aus dem Auge zu verlieren, fliegt Sunak nun doch ans Rote Meer, um dort ein paar Plattitüden loszuwerden – anders als Greta Thunberg, die dem globalen Karrierebeamtenzirkus fernbleiben wird. Braverman, die ihr Amt schon bald zum zweiten Mal los sein dürfte, sollte nicht auf seine Unterstützung hoffen. Der für das Thema Zuwanderung zuständige Staatssekretär Robert Jenrick läuft sich bereits warm. Sein Spitzname „Robert Generic“ zeigt, dass von ihm keine kontroversen Ideen zu erwarten sind.

Ernsthaft regieren kann man so nicht. Die Briten stehen vor einer Streikwelle, wie es sie seit Jahrzehnten nicht mehr gegeben hat. Sie werden die anstehenden Steuererhöhungen und Leistungskürzungen nicht einfach schlucken, wenn ihnen keine Hoffnung auf eine bessere Zukunft geboten wird. Zudem erkennen immer mehr das ganze Ausmaß des Staatsversagens. Im Winter drohen nicht nur Blackouts. Es könnte auch nicht genug Gas zum Heizen vorhanden sein. Das öffentliche Gesundheitswesen befindet sich in einem katastrophalen Zustand. Die vermeintlich Erwachsenen wirken da erschreckend hilflos.

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.