13 entscheidende Wochen

Schlussphase der Brexit-Gespräche: EU sieht Londons Weißbuch skeptisch und rüstet sich für einen No Deal

13 entscheidende Wochen

Der Countdown bis zum nächsten EU-Gipfel, auf dem das Brexit-Abkommen gebilligt werden soll, läuft. Trotz des von London vorgelegten Weißbuches sind noch zahlreiche Fragen zum Austritt und zu den künftigen Beziehungen offen. Ein Scheitern der Brexit-Verhandlungen ist keinesfalls mehr unwahrscheinlich.Von Andreas Heitker, BrüsselDas Austrittsabkommen zwischen Großbritannien und der EU-27 ist zwar schon zu 80 % fertig verhandelt. Aber das verbliebene offene Fünftel des Rechtstextes hat es noch in sich: Hier geht es um die Irland-Frage, um Gibraltar und um Governance-Fragen, also die Zuständigkeiten des Europäischen Gerichtshofes. Beim EU-Gipfel im Oktober soll das Abkommen eigentlich zusammen mit einer politischen Erklärung zu den zukünftigen Beziehungen – die dann noch im Detail ausgehandelt werden muss – verabschiedet werden. Es sind 13 entscheidende Wochen bis dahin. Die Sommerpause für beide Verhandlungsteams wurde bereits gestrichen.Die Zeit drängt, weil das Austrittsdatum 29. März 2019 näher rückt und das Austrittsabkommen noch vom Europaparlament und vom britischen Parlament ratifiziert werden muss. Es gibt daher kaum noch zeitliche Flexibilität. In Brüssel machen schon Spekulationen über einen Sondergipfel im November die Runde. Aber EU-Chefunterhändler Michel Barnier stellte jetzt auch klar, wo für ihn das Limit liegt: Spätestens im Dezember müsse ein “No Deal” festgestellt werden, wenn es bis dahin keine Verständigung gebe, betonte der Franzose nach Beratungen mit den Europaministern der EU-27 in Brüssel. Der Countdown läuft.Eigentlich könnte der Austrittszeitpunkt noch einmal verschoben werden und die Verhandlungen auf Antrag Großbritanniens bei einem einstimmigen Beschluss damit noch einmal verlängert werden. Brüsseler Diplomaten halten dies allerdings für wenig zielführend, da es bei den fehlenden 20 % des Abkommens auf politische Entscheidungen ankommt, die theoretisch schnell getroffen werden könnten. Außerdem stehen im nächsten Mai die Europawahlen vor der Tür. Einen Monat vorher hat das aktuelle EU-Parlament seine letzte Sitzung. Eine rasche spätere Ratifizierung ist kaum möglich. Dass die britische Regierung nach langen internen Querelen jetzt ein Weißbuch mit eigenen Positionen auf den Tisch gelegt hat, wird auf EU-Seite mit Beifall bedacht. Nach einem ersten Austausch der Europaminister wurde aber schnell klar: Neben einigen positiven Ansätzen – zum Beispiel im Bereich der Sicherheits- und Verteidigungspolitik – sehen viele Länder offene Fragen. Ohnehin, so wird in Brüssel immer wieder in Richtung London betont: Verhandelt werde nicht das Weißbuch, sondern ein Kompromiss auf Grundlagen der Leitlinien, die die EU-27 im März verabschiedet haben. Und in einigen wichtigen Punkten sind Weißbuch und Leitlinien einfach nicht kompatibel.Barnier sieht ebenso wie zahlreiche EU-Minister nämlich die Integrität des Binnenmarktes mit seinen vier Grundfreiheiten in Gefahr. Der britische Ansatz, sich bei einem Zukunftsabkommen auf den Warenaustausch einschließlich landwirtschaftlicher Produkte zu konzentrieren und sowohl die Dienstleistungen als auch die Personenfreizügigkeit außen vor zu lassen, halten nicht wenige Diplomaten wieder für einen Versuch der “Rosinenpickerei”, dem man so schwer zustimmen kann. Barnier verwies auch darauf, dass eine Einigung einfach umsetzbar sein müsse und zum Beispiel in Zollfragen keine große zusätzliche Bürokratie aufgebaut werden müsse. Außerdem müsse eine Einigung schlicht auch im wirtschaftlichen Interesse der EU liegen.Angesichts der schwierigen 13 Wochen werden die Aufforderungen mittlerweile immer lauter, sich auch auf einen No Deal vorzubereiten. Das Thema stand am Freitag erstmals auch auf der Agenda der Europaminister. Auch in Deutschland wird hinter den Kulissen schon seit Monaten ein Paket mit Gesetzesänderungen vorbereitet, mit dem auf einen Ausstieg ohne Abkommen – und damit auch ohne Übergangsperiode – reagiert werden soll. Die EU-27 sei offen für viele Lösungen, betonte Barnier. “Aber wir müssen uns jetzt auch auf alle Szenarien einstellen.”