Kräftiges Bestellplus zum Jahresende reißt es nicht raus
Flugzeuge sorgen für starkes Bestellplus
Großaufträge verzerren das Bild – 2023 bringt deutscher Industrie erneuten Auftragsrückgang
Der unerwartet starke Auftragseingang der deutschen Industrie im Dezember hat nicht gereicht, das Jahresergebnis herauszureißen. Ungewöhnlich viele Flugzeugbestellungen verzerren das Bild. Aber auch andere Details im Zahlenwerk zeigen, dass die Misere vorerst weitergeht.
ba Frankfurt
Die deutsche Industrie hat zwar zum Jahresende überraschend viele Neubestellungen eingesammelt, im Gesamtjahr 2023 ist der Auftragseingang dennoch geringer als im Vorjahr ausgefallen. Nachdem das Orderplus erneut nur auf den volatilen Großaufträgen beruht, ist eine Wende zum Besseren für die angeschlagene Industrie weiter nicht in Sicht. Angesichts der mauen Weltkonjunktur wird die Nachfrage im verarbeitenden Gewerbe vorerst schwach bleiben. Die erneut gesunkenen Industrieumsätze lassen einen weiteren Produktionsrückgang erwarten. Damit wird immer deutlicher, dass die deutsche Wirtschaft wohl auch im Startabschnitt schrumpfen wird.
Im November doch nur Stagnation
Laut dem Statistischen Bundesamt (Destatis) hat die heimische Industrie im Dezember preis-, saison- und kalenderbereinigt 8,9% mehr Aufträge generiert als im Vormonat. Ökonomen hatten dagegen einen weiteren Rückgang erwartet, und zwar um 0,2%. Allerdings ist der November doch nicht so günstig verlaufen wie zunächst gemeldet: Statt eines Bestellplus von 0,3% ergibt sich nun eine Stagnation nach dem Rückgang um 3,8% im Oktober.
Großaufträge bewahren erneut vor Minus
Erneut waren es die volatilen Großaufträge, die für die positive Überraschung sorgten. Allerdings haben sie kurzfristig kaum Einfluss auf die Produktion und daher wenig Aussagekraft für die Konjunktur. Bleiben diese unberücksichtigt, sind die Bestellungen um 2,2% geringer als im November ausgefallen. "Insbesondere wurden außergewöhnlich viele Flugzeuge bestellt", erklärten die Wiesbadener Statistiker. "Airbus profitiert von der Misere bei Boeing", präzisiert Thomas Gitzel, Chefvolkswirt der VP Bank. Im Bereich des sonstigen Fahrzeugbaus, zu dem neben Flugzeugen auch Schiffe und Züge zählen, waren die Aufträge mehr als doppelt so hoch wie zuvor ( 110,9%). Weitere Großaufträge gab es bei den Produzenten von Metallerzeugnissen ( 18,0%) und Herstellern von elektrischen Ausrüstungen ( 38,7%). In den gewichtigen Bereichen Automobilindustrie (–14,7 %), Maschinenbau (–5,3 %) und chemische Industrie (–3,7 %) ging der Auftragseingang hingegen zurück.
"Dass ohne Großaufträge nicht viel los ist, unterstreicht die unterliegende Schwäche der Industrie", betonte Alexander Krüger, Chefvolkswirt der Hauck Aufhäuser Lampe Privatbank.
Wichtige Branchen im Minus
Im vierten Quartal insgesamt fiel der Auftragseingang allerdings nur um 0,1% höher aus als im Vierteljahr zuvor. Für das Gesamtjahr 2023 ergibt sich Destatis zufolge damit ein kalenderbereinigter Rückgang um 5,9% gegenüber dem Vorjahr. Dabei war der Bereich Sonstiger Fahrzeugbau der einzige, der dank außergewöhnlich hoher Großaufträge in den Monaten Februar, Juni und Dezember ein Plus binnen Jahresfrist verzeichnete – und zwar von 34,7%. Sorgen bereitet, dass in den beiden größten Investitionsgüterbranchen Automobilindustrie (–4,5%) und Maschinenbau (–11,9%) die Auftragseingänge überdurchschnittlich sanken.
Reaktionen positiv, aber mit Einschränkungen
ING-Chefökonom Carsten Brzeski mahnte, die Dezemberdaten trotz der ersten Begeisterung "mit einer großen Prise Salz zu nehmen": Betrachte man den längerfristigen Trend, sei die Auftragslage in den letzten zwei Jahren weiter rückläufig und es bedürfe "noch vieler weiterer positiver Daten, um eine deutliche Erholung der Wirtschaft zu signalisieren". Einen Blick in die Zukunft wirft Jörg Angelé, Senior Economist beim Assetmanager Bantleon. "Wenig erbaulich sind auch die Perspektiven für den Auftragseingang im Januar." Er rechnet mit einer ähnlichen Entwicklung wie im Juli 2023, als die Bestellungen nach zwei durch Sondereffekte nach oben verzerrten Zuwächsen in sich zusammengebrochen waren.
Die am Mittwoch anstehenden Produktionsdaten dürften einen Rückgang um 0,5% zeigen, nachdem auch hier die weiteren Aussichten mau blieben. Dafür spricht auch der Umsatz im verarbeitenden Gewerbe, der im Dezember preis-, saison- und kalenderbereinigt 0,1 % niedriger als im Vormonat war. Auf Jahressicht ergibt sich ein kalenderbereinigter Anstieg um 0,3%.
"Eine Zahl wie ein verspäteter Silvesterböller", lobt LBBW-Ökonom Jens-Oliver Niklasch die Dezemberdaten. Allerdings stelle sich die Frage, warum angesichts dieser Auftragsflut die Frühindikatoren zum Jahresende nochmals gesunken waren. "Die Lage scheint definitiv besser als die Stimmung.“ Auch das Bundeswirtschaftsministerium verweist auf die Stimmungsindikatoren, die "derzeit auf eine schwache Entwicklung der Industriekonjunktur im ersten Quartal hindeuten". Im weiteren Jahresverlauf dürfte dann aber eine schrittweise konjunkturelle Erholung im Zuge einer binnenwirtschaftlichen Belebung einsetzen.
"Die Hoffnungen ruhen derweil auf den zu erwartenden Zinssenkungen der EZB und auf einer anziehenden Auslandsnachfrage", analysiert Gitzel: Sollte die US-Wirtschaft eine Rezession vermeiden können und sollte auch China mithilfe staatlicher Unterstützung einen neuen Wachstumsimpuls bekommen, wären die Weichen für anziehende Bestellungen aus dem Ausland gestellt. Im Dezember kamen aus dem Ausland 8,5% mehr Bestellungen. Vor allem die Länder aus dem gemeinsamen Währungsraum orderten fleißig – hier meldet Destatis ein Plus von 34,5%. Die Inlandsaufträge legten um 9,4% zu.
Wie sehr der Auftragsmangel die hiesige Konjunktur belastet, zeigt die jüngste Ifo-Umfrage: Im Januar berichteten 36,9% der Industriefirmen von fehlenden Aufträgen. Im Oktober waren es noch 36,0%, im vergangenen Dezember 20,9%. Vor allem den energieintensiven Branchen fehlt der Ordernachschub. „Der Auftragsmangel hat sich im letzten Jahr merklich verschärft. Kaum eine Branche bleibt davon verschont“, sagt Klaus Wohlrabe, Leiter der Ifo-Umfragen. „Zudem schmelzen die Auftragsbestände.“