LEITARTIKEL

Abenteuerlich

Es scheint so sicher wie das Amen in der Kirche, dass die Europäische Zentralbank (EZB) am Donnerstag ihre ohnehin bereits sehr expansive Geldpolitik weiter lockern wird. Zu eindeutig die Signale aus der Notenbank, zu groß der Druck von außen. Es...

Abenteuerlich

Es scheint so sicher wie das Amen in der Kirche, dass die Europäische Zentralbank (EZB) am Donnerstag ihre ohnehin bereits sehr expansive Geldpolitik weiter lockern wird. Zu eindeutig die Signale aus der Notenbank, zu groß der Druck von außen. Es geht allenfalls noch um die Frage, wie (umfangreich) die Lockerung ausfällt, und nicht mehr darum, ob sie (überhaupt) kommt. Es scheint aber mehr als zweifelhaft, ob das für die Euro-Wirtschaft ein großer Segen sein wird.Es ist sicher unumstritten, dass sich die Konjunktur in Euroland stärker als erwartet abschwächt. Das Gefühl mindestens der meisten Euro-Hüter, dem nicht tatenlos zusehen zu können, ist da teils verständlich. Es besteht aber auch kein Grund zur Panik. Aktuell spricht wenig für eine Rezession oder gar Deflation. Natürlich sind auch die Risiken wie die Handelskonflikte und der Brexit exorbitant. Aber es ist noch unklar, wie das ausgehen wird. Bei positiven Lösungen kann sich die recht düstere Stimmung an den Märkten und in der Wirtschaft schlagartig drehen. Die Lage rechtfertigt jedenfalls nicht den Einsatz ultimativer Kriseninstrumente, wie breiter Anleihekäufe (Quantitative Easing, QE). Noch mehr gilt das für Ideen, Aktien zu kaufen oder “Helikoptergeld” einzusetzen, also Geldgeschenke an alle zu verteilen. Im aktuellen (Konjunktur-)Umfeld sind solche Vorschläge schlicht irrwitzig.Was andere, konventionellere Instrumente betrifft, gilt es indes, überzogene Erwartungen zu dämpfen. Zum einen hat die aktuelle Konjunkturschwäche eben vor allem externe Gründe, an denen eine noch lockerere EZB-Politik nichts ändern kann. Solange die Ursachen fortbestehen, wird die EZB auch die Stimmung kaum aufhellen können. Im Gegenteil: Übertriebener geldpolitischer Aktionismus kann selbst Krisenängste schüren. Zum anderen sind die Finanzierungsbedingungen in Euroland aktuell so günstig wie seit der Finanzkrise nicht, nach manchem Maßstab sogar so günstig wie nie. Noch niedrigere Zinsen werden da kaum noch große realwirtschaftliche Wirkung entfalten. Mehr noch: Sie könnten sich sogar als kontraproduktiv erweisen. Diese Gefahr droht insbesondere beim negativen Einlagenzins. Es ist nicht abwegig zu fragen, ob die EZB-Zinsen nicht langsam ein Niveau erreicht haben, bei dem bei einer weiteren Zinssenkung die nachteiligen Folgen die positiven wirtschaftlichen Effekte überwiegen – in der Theorie bestens bekannt als Konzept des “Umkehrzinses”. Die EZB darf davor nicht die Augen verschließen.Es reicht jedenfalls nicht, wenn sich die EZB hinstellt, auf ihr Mandat und Inflationsziel pocht und quasi im Luther’schen Sinne erklärt: Hier stehe ich und kann nicht anders! Natürlich sollte die EZB bei einer Zielverfehlung nicht fatalistisch die Hände in den Schoß legen. Aber das tut sie auch nicht: Die Geldpolitik ist ja bereits extrem expansiv. Andererseits sollte sie aber auch nicht auf Teufel komm raus versuchen, die 2 % möglichst schnell zu erreichen, wenn sie durch die Wahl der Mittel langfristig gewaltige Risiken kreiert. Genauso wenig sollte sie übrigens leichtfertig an der Zieldefinition herumdoktern, nur um einen Vorwand für eine noch lockerere Geldpolitik zu finden. Das kann schnell nach hinten losgehen.Darin offenbart sich aber auch ein strukturelles Manko im Zusammenspiel von Geld- und Wirtschafts-/Finanzpolitik: Während Zentralbanken ein klares Mandat haben, an dem sie gemessen werden, ist das für die Wirtschaftspolitik nicht der Fall. Die Politik weiß, dass wenn sie nichts tut, die Zentralbank mehr tun muss, vor allem im Notfall. Das verstärkt die Tendenz der Politik, untätig zu bleiben. Das ist so bedenklich wie gefährlich. Im Euroraum sollte die Fiskalpolitik endlich eine stärkere Rolle spielen – ohne dass das in blindwütigem Schuldenmachen endet.Fast schon abenteuerlich wird es indes, wenn EZB-Granden nun wieder argumentieren, sie könnten nicht die Markterwartungen ignorieren oder enttäuschen. Natürlich dürfen die Zentralbanken die Marktsignale nicht ausblenden, die aktuell eine erhöhte Rezessionsangst spielen. Sie müssen das als weitere Informationsquelle nutzen. Die Signale gilt es aber genau zu prüfen – zumal die Märkte häufig zu Übertreibungen neigen. Und natürlich kann die Notenbanken die Lage an den Finanzmärkten nicht kaltlassen. Geldpolitik wird über die Märkte transportiert; die ganze Transmission funktioniert über die Finanzierungsbedingungen. Die Zentralbanken dürfen aber auch nicht zu Gefangenen der Märkte werden. In den vergangenen Jahren ist die EZB mitunter zu stark den Markterwartungen gefolgt. Wer das Primat der Notenbanken ernst nimmt, muss überbordende Markterwartungen auch einmal enttäuschen. ——Von Mark SchrörsDie EZB wird ihre Politik weiter lockern. Tatsächlich hat sie aber ihre Grenzen erreicht. Die Gefahr ist real, dass mehr Lockerung nun mehr schadet als nützt.——