Absage an Vertiefung der Eurozone

Sachverständigenrat fordert Insolvenzordnung für Staaten - Sondervotum von Bofinger

Absage an Vertiefung der Eurozone

Die Wirtschaftsweisen warnen vor einer Vergemeinschaftung von Schulden ohne entsprechenden Souveränitätsverzicht. Deshalb lehnen sie mehrheitlich die Einführung einer europäischen Arbeitslosenversicherung ebenso ab wie ein Euro-Budget oder die Installation eines Euro-Finanzministers. Stattdessen fordern sie die Einführung einer Insolvenzordnung für Staaten. Das soll die Fiskaldisziplin erhöhen.lz/ms Frankfurt – Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (Wirtschaftsweise) hat sich mehrheitlich für die Etablierung einer Insolvenzordnung im Euro-Währungsgebiet ausgesprochen, wodurch die in den europäischen Verträgen festgelegte Nichtbeistandsklausel erst glaubwürdig werde.”Eine dauerhaft fehlende Kooperationsbereitschaft eines Mitgliedstaats kann die Stabilität der Währungsunion bedrohen”, schreiben sie in einem Sondergutachten und halten den Ausschluss des die Regeln verletzenden Staates aus der Eurozone für zwingend. Da Gläubiger von Staatsanleihen durch eine Staateninsolvenz Verluste befürchten müssen, rechnen die Wirtschaftsweisen auch mit einer starken Disziplinierungskraft einer solchen Regelung, da Anleger künftig die Ausfallrisiken von Staatsanleihen genauer abschätzen müssten und die Regierungen mit höheren Zinsen rechnen müssten.Allerdings trägt das Ratsmitglied Peter Bofinger wesentliche Teile des Gutachtens nicht mit (siehe Interview). Für ihn gehen von den Vorschlägen seiner Kollegen zur Etablierung einer Insolvenzordnung eher Stabilitätsgefahren aus.Angesichts der noch fehlenden Bereitschaft in Europa zu weiterem Souveränitätsverzicht warnen die Wirtschaftsweisen zudem vor weiteren Integrationsschritten wie einem eigenen Haushalt der Eurozone, einer Wirtschaftsregierung, einem europäischen Finanzministerium oder einer gemeinsamen Arbeitslosenversicherung. Die Verschuldungsproblematik lasse sich nicht dadurch lösen, dass man sie einfach auf eine höhere Ebene transferiere, betonte der Wirtschaftsweise Lars Feld.Das Institut der deutschen Wirtschaft lobte das Sondergutachten als eine “klare Kante gegen eine Transferunion”. Die einzelnen Mitgliedstaaten würden eine Währungsunion ohnehin nur dann auf Dauer akzeptieren, wenn wieder die nationale Verantwortung für solide Staatsfinanzen und die Koordinierung der Wirtschaftspolitik gestärkt würde.Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) Marcel Fratzscher kritisierte die Wirtschaftsweisen scharf und warnte vor ihrer Marktgläubigkeit. “Gerade die globale Finanzkrise 2008 und die europäische Krise der vergangenen Jahre zeigen, dass Investoren und Finanzmärkte eher die Ursache und nicht die Lösung von Finanzkrisen sind”, sagte er. Die Etablierung eines Austrittsmechanismus aus der Eurozone sei “höchst gefährlich und kontraproduktiv”. Enttäuscht von der Haltung der Wirtschaftsweisen zeigte er sich auch von ihrer Ablehnung weiterer Maßnahmen zur Vertiefung der europäischen Integration.Denn die Politik diskutiert derzeit verstärkt weitere Schritte zur Integration, wie sie im “Fünf-Präsidenten-Papier” Ende Juni zum Ausdruck gebracht wurden, wo die Chefs von EU-Kommission, Europäischem Rat, Europäischer Zentralbank (EZB), Eurogruppe und Europaparlament Schritte aufzeigten für die Zukunft der Währungsunion bis 2025. Sie beinhalten die Etablierung einer Finanz- und Fiskalunion sowie einer Politischen Union.EZB-Präsident Mario Draghi hatte bei der Vorstellung des Berichts einen “Quantensprung in der europäischen Integration” gefordert. EZB-Direktoriumsmitglied Benoît Coeuré warnte am Montag auch davor, den Integrationsprozess zu stoppen. Das würde “ein permanentes Klima der Unsicherheit über die Integrität der Wirtschafts- und Währungsunion” kreieren und belaste Investitionen und den Aufbau von Arbeitsplätzen.Die EZB sieht es als zentral an, dass es künftig – anstelle des aktuellen Systems basierend auf Koordinierung und Regeln – auf EU-Ebene mehr gemeinsame Entscheidungsprozesse mit gemeinschaftlichen Institutionen gibt. Das intergouvernementale Prozedere sei nicht mehr angemessen, sagte Coeuré. Das habe der jüngste Griechenland-Kompromiss gezeigt. Die EZB plädiert für eine stärkere Integration bei der Wirtschaftspolitik, hat aber auch Sympathie für einen Euro-Finanzminister.Was den Vorschlag der Wirtschaftsweisen betrifft, eine Möglichkeit für einen Euro-Austritt zu schaffen, dürfte dieser in der EZB auf große Skepsis stoßen. Draghi hatte sich unlängst indirekt bereits gegen den Vorschlag eines “Grexit auf Zeit” gestellt. Viele Notenbanker fürchten, dass die Eurozone dann nicht mehr als irreversible Währungsgemeinschaft, sondern nur noch als festes Wechselkurssystem gesehen werden könnte – mit negativen Konsequenten. Den Vorschlag einer Insolvenzordnung für Euro-Staaten unterstützt vor allem auch die Bundesbank. Die EZB hat sich in der Frage öffentlich noch nicht klar positioniert.