LÄNDERREPORT: NIGERIA

Afrikanischer Ölriese auf Reformkurs

Krise im Bankensektor ist überwunden - Mittelklasse als Wachstumstreiber - Debüt am internationalen Anleihemarkt

Afrikanischer Ölriese auf Reformkurs

Von Marion Mühlberger *)Die zweitgrößte Volkswirtschaft des afrikanischen Kontinents hat bis 2020 Großes vor. Innerhalb der nächsten acht Jahre will Nigeria zum Club der 20 größten Volkswirtschaften der Welt aufsteigen. Zudem hat die Ratingagentur Fitch Nigeria kürzlich mit Ländern wie Indonesien, Aserbaidschan oder Russland verglichen, die innerhalb von acht Jahren zu Investment-Grade-Ländern geworden sind. Ob es sich hierbei eher um Visionen oder um realistische Zukunftsprognosen handelt, hängt entscheidend vom zukünftigen Ölpreis, aber auch vom Reformeifer der nigerianischen Regierung ab.Die derzeitigen Raten des Wirtschaftswachstums bringen Nigeria dem angestrebten Ziel Schritt für Schritt näher. Nach einem Plus von 7,4 % im vergangenen Jahr wird die nigerianische Wirtschaft auch 2012 wieder real um rund 7 % expandieren. Die Hauptwachstumstreiber sind weiterhin die Landwirtschaft und der Groß- und Einzelhandel. Obwohl der direkte Einfluss der Ölindustrie auf Nigerias Wachstum gering ist, darf der indirekte Einfluss nicht unterschätzt werden. Öl- und Gasexporte machen rund 90 % aller Ausfuhren aus und bringen 77 % aller Staatseinnahmen. Ein prognostizierter Ölpreis von rund 117 Dollar pro Barrel Öl sollte sich im laufenden Jahr aber ebenfalls positiv auf das nigerianische Wachstum auswirken. Magere ErsparnisseNachdem die Ersparnisse im Ölstabilisierungsfonds Nigerias Ende 2010 fast vollständig aufgebraucht waren, belaufen sie sich derzeit auf immer noch nur magere 3,6 Mrd. Dollar. Da Nigeria nach wie vor von den Öl- und Gaspreisen sehr abhängig ist, ist das weitere Auffüllen dieses Sicherheitspuffers wichtig, um bei einem neuerlichen Ölpreisschock gegensteuern zu können. Die geplante Überführung der Ersparnisse in einen neuen Staatsfonds (Sovereign Wealth Fund) wird voraussichtlich frühestens im Mai erfolgen. Der neue Staatsfonds soll das Management der Öleinnahmen verbessern und sowohl zur Finanzierung von Infrastrukturvorhaben und als auch als Sicherheitspuffer gegen Ölschocks dienen.Die Tatsache, dass trotz sprudelnder Öleinnahmen die Währungsreserven nur minimal wachsen, wirft weiterhin Fragen hinsichtlich einer möglichen Überbewertung des Naira auf. Die letzte Änderung des Wechselkurses von 150 Naira je Dollar auf 155 Naira je Dollar fand im vergangenen November statt. Die Schwankungsbreite von +/- 3 % wurde beibehalten, wobei die Währung bis Jahresende eher am schwächeren Ende des Bandes notieren dürfte.Die Ernennung der international anerkannten Volkswirtin Ngozi Okonjo-Iweala als nigerianische Finanzministerin ist sehr positiv zu werten. Sie hat sich seit Ihrem Amtsantritt im vergangenen Frühjahr einen strikten fiskalischen Konsolidierungskurs auf die Fahnen geschrieben. Statt der kompletten Streichung der Benzinsubventionierung gelang ihr Anfang des Jahres wegen landesweiter Proteste und Streiks zwar nur eine Halbierung der Sub ventionen. Aber ihr gesamtstaatliches Defizitziel von 3 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für dieses Jahr bleibt weiterhin in Reichweite. Der niedrige Schuldenstand von rund 18 % des BIP lässt Nigeria gerade im Lichte der europäischen Schuldenkrise positiv dastehen. Die anstehende Revision der BIP-Berechnung, bei der das Basisjahr von 1990 auf 2008 geändert werden soll, könnte ähnlich wie in Ghana 2010 zu einem erheblichen Anstieg des BIP führen. Dies hätte eine weitere Reduktion der Schulden- und Defizitquoten zur Folge.Mit einer Produktion von rund 2,4 Mill. Barrel pro Tag bleibt Nigeria unter den Top 15 der weltweiten Ölproduzenten und verteidigt Platz 1 als Afrikas größter Ölproduzent vor Angola und Algerien. Allerdings liegt die Produktion immer noch unter den Höchstständen von 2005 von 2,7 Mill. Barrel pro Tag. Das 2008 angestoßene Reformgesetz namens “Petroleum Industry Bill”, das mehr Transparenz und Zurechenbarkeit in den Öl- und Gassektor bringen sollte, wird gerade erneut revidiert und kann somit frühestens in der zweiten Jahreshälfte in Kraft treten. Die internationalen Ölkonzerne müssen also weiterhin mit den Unsicherheiten bezüglich des Arbeitsumfelds im Öl- und Gassektor leben, was Investitionsentscheidungen verzögern dürfte. Zudem verursachen Sabotage und Öldiebstahl weiterhin erhebliche Produktionseinbrüche. Weitreichende ReformenAuch in der Landwirtschaft, die immer noch fast die Hälfte des BIP ausmacht, sind weitreichende Reformen geplant. Hauptziel ist die Abkehr von der Subsistenzwirtschaft hin zu moderner Landwirtschaft. Der Hauptfokus der Reform liegt daher auf Produktivitätssteigerungen mittels der Schaffung von Wertschöpfungsketten von Düngemitteln bis zur Lebensmittelverarbeitung, mittels der Verbesserung der Bewässerung und der Optimierung von Transportnetzwerken.Trotz aller Reformbemühungen bleibt die mangelnde Infrastruktur aber ein großer Hemmschuh für Nigerias mittelfristiges Wachstum. Laut Weltbank hat Nigeria nur ein Zehntel der Stromerzeugungskapazität Südafrikas und das bei einer dreimal so großen Bevölkerung. Die Regierung plant die Stromerzeugungskapazität innerhalb der nächsten zwei Jahre zu verdoppeln und möchte dies vor allem mit einer stärkeren Einbindung privater Investoren bewerkstelligen.Mit einem Pro-Kopf-Einkommen von rund 1 600 Dollar ist Nigeria ein Niedrigeinkommenland. Allerdings zählen laut einer Schätzung der Afrikanischen Entwicklungsbank mittlerweile 10 % der nigerianischen Bevölkerung zur Mittelklasse. Bei einer Gesamtbevölkerung von 155 Millionen Menschen bedeutet dies einen potenziellen Absatzmarkt für Konsumgüter von rund 16 Millionen Konsumenten. Außerdem sorgt die kürzliche Verdreifachung des Mindestlohnes für höhere Kaufkraft in der breiten Bevölkerung, was der Telekommunikationsbranche und dem Einzelhandel zugutekommen sollte. Beispielsweise stieg die Zahl der Handynutzer im Februar auf 58 % der Gesamtbevölkerung und hat sich somit seit 2007 mehr als verdoppelt.Die Bankenkrise, die dem Finanzzentrum Westafrikas 2009 schwer zugesetzt hat, ist größtenteils ausgestanden. Fünf der acht Banken, die 2009 mit Kapitalspritzen und Liquiditätshilfen der Zentralbank gerettet wurden, haben Fusions- bzw. Rekapitalisierungsabkommen mit anderen Banken bzw. Finanzdienstleistern unterzeichnet. Die restlichen drei Banken wurden verstaatlicht und werden nun von der Bad Bank Amcon, die im Juli 2010 gegründet wurde, für insgesamt drei Jahre geführt. Zusätzlich hat Amcon mit dem Kauf fauler Kredite in der Höhe von 20 Mrd. Dollar maßgeblich zur Bereinigung der Bankbilanzen beigetragen und arbeitet nun an der Restrukturierung dieser Kredite. So verzeichnet der nigerianische Bankensektor nach einer halbjährigen Schrumpfungsphase seit Juli 2011 wieder positives Kreditwachstum, was dem privaten Sektor zusätzliche Wachstumsimpulse verleiht. Innerhalb der vergangenen drei Jahre wurde auch die Bankenaufsicht erheblich gestärkt. Vor Ende Juni plant die Zentralbank einen weiteren Stresstest, um kontinuierlich die Gesundheit des Bankensektors zu überprüfen. Polarisierung der BevölkerungDer amtierende Präsident Goodluck Jonathan hat die Wahl im vergangenen Jahr mit knapp 60 % der Stimmen klar für sich entschieden. Trotz einiger Unruhen im Norden galt die Wahl laut internationalen Beobachtern als eine der fairsten und transparentesten in der nigerianischen Geschichte. Allerdings zeigen die Wahlresultate eine deutliche Polarisierung zwischen dem islamisch dominierten Norden und dem christlich dominierten Süden auf. So bereitet das Erstarken der gewalttätigen islamistischen Sekte Boko Haram der Regierung zunehmend Sorgen. Nach Schätzungen der Regierung hat die Sekte mittlerweile rund 10 000 Mitglieder und zeichnet sich verantwortlich für diverse tödliche Anschläge im Norden Nigerias und der Hauptstadt Abuja. Die ungleiche Verteilung der Öleinnahmen zwischen den ärmeren nördlichen Bundesstaaten Nigerias und den reicheren ölproduzierenden Bundesstaaten im Süden, trägt sicherlich zur wachsenden Gewaltbereitschaft einer Minderheit bei.Die Pläne für eine Erstemission am internationalen Anleihemarkt 2008 waren im Rahmen der globalen Finanzkrise erst einmal auf Eis gelegt worden. Nun wagte Nigeria Ende Januar 2011 als fünfter sogenannter afrikanischer Frontiermarkt den Schritt. Nigeria platzierte eine in Dollar denominierten Anleihe im Umfang von 500 Mill. Dollar. Die derzeitige Umlaufrendite liegt mit rund 5,4 % unter der von Ghana oder Senegal. Die hohe Mindeststückelung von 200 000 Dollar zielt auf institutionelle Investoren ab. Die staatlichen Auslandsschulden Nigerias haben sich durch diese Erstemission nur geringfügig erhöht und liegen bei 2,5 % des BIP. Dies ist ganz im Sinne der nigerianischen Regierung, die seit dem Schuldenerlass 2005/2006 stark darauf bedacht ist, die öffentliche Auslandverschuldung so gering wie möglich zu halten.Der heimische Anleihemarkt hingegen verzeichnet schon seit Jahren ein kontinuierliches Wachstum und dient der Finanzierung von Nigerias Budgetdefiziten. Die Summe der ausstehenden Staatsanleihen belief sich im September auf 24 Mrd. Dollar, was rund 10 % des BIP ausmacht.Der nigerianische Aktienmarkt ist nach Südafrika mit Abstand der zweitgrößte im subsaharischen Afrika. Er verzeichnete in Euro gemessen seit Beginn des Jahres ein mageres Plus von 1,4 % und bleibt somit nahe an den Tiefständen nach der Lehman krise. Da Banken rund ein Drittel der Marktkapitalisierung ausmachen, könnte der Abschluss der Bankenkrise auch der Startschuss für eine Erholung am nigerianischen Aktienmarkt darstellen.Generell bleibt aber abzuwarten, ob und wann das enorme wirtschaftliche Potenzial Nigerias als Rohstoffproduzent mit großem Konsumentenmarkt ausgeschöpft werden kann. Von Platz 40 in der Rangfolge der größten Volkswirtschaften bis zu Platz 20 ist bis zum Jahr 2020 noch ein gutes Stück Weg mit viel Reformarbeit zurückzulegen.—-*) Marion Mühlberger ist Senior Economist für Osteuropa und Afrika bei DB Research, Frankfurt.