VOR DER EZB-RATSSITZUNG

Allianz-Chefvolkswirt setzt auf neues Inflationsziel

Plädoyer für breitere Abgrenzung - Heise: Einfluss der Geldpolitik auf den Finanzzyklus berücksichtigen

Allianz-Chefvolkswirt setzt auf neues Inflationsziel

Von Alexandra Baude, FrankfurtDie Diskussion über das Inflationsziel der Europäischen Zentralbank (EZB) ist in vollem Gange: 2 %, eine Bandbreite zwischen 0 und 2 %, ein ausgleichendes Überschießen tolerieren oder nicht. Zumal sich bei der aktuellen Jahresteuerungsrate von 1,4 % die Frage stellt, ob die Geldpolitik der EZB nach der globalen Finanzkrise und der Euro-Schuldenkrise nun erfolgreich war oder nicht und welche Schlussfolgerungen für die Zukunft daraus zu ziehen sind.Bei einem Pressegespräch am Frankfurter House of Finance stellt sich heraus, dass die Ansichten aus Wissenschaft und Wirtschaft – vertreten durch Allianz-Chefökonom Michael Heise und Volker Wieland, geschäftsführender Direktor des IMFS sowie Mitglied der sogenannten Wirtschaftsweisen – nahe beieinanderliegen. In der Formulierung bestünden zwar leichte Unterschiede, in der Stoßrichtung sei man sich aber einig, so Wieland.So sehen beide das Inflationsziel der EZB kritisch. Heise setzt seine Hoffnung auf das Ende der Amtszeit von EZB-Chef Mario Draghi. Unter neuer Führung sollte ein neuer Denkansatz gelingen: weg von der rigiden Regelbindung an ein starres Preisziel, hin zu einer Berücksichtigung der Nebeneffekte der Handlungen der Notenbanken. Denn die Inflationsrate habe ein “ziemliches Eigenleben” – so seien “keine ganz klaren Effekte einzelner EZB-Maßnahmen auf die Inflationsrate zu sehen”.Ideen präsentiert er in seinem neuesten Buch “Inflation Targeting and Financial Stability”, das Ausgangspunkt des Gesprächs war. Heise schwebt vor, dass die Notenbanken das Ziel für die Preisstabilität anpassungsfähiger gestalten. Dazu gebe es diverse Optionen: Etwa den Zeitraum zu strecken, in dem eine Zentralbank tatsächlich das Inflationsniveau an ihren Zielwert heranführt. Dann habe man auch mehr Spielraum, um ein zeitweises über- oder unterschreiten der Zielwerte zu akzeptieren. Noch besser wäre aber eine breitere Abgrenzung des Inflationsziels. Dem harmonisierten Verbraucherpreisindex (HVPI), an dem sich die EZB orientiert, sollten weitere Variablen an die Seite gestellt werden. Heise kann sich vorstellen, dass ein neuer, zudem wesentlich weniger volatiler Preisindex kreiert wird, in dem unterschiedlich gewichtet zusätzlich die Kernrate oder die Inflationserwartungen enthalten sind. Um diesen könnten dann auch noch bestimmte Bandbreiten definiert werden. Wieland – aber auch die Wirtschaftsweisen, wie er betont – sähen es gerne, dass die EZB den Fokus auf ihr Mandat der Preisstabilität legt und nicht auf die von der EZB selbst gewählte spezielle Interpretation von nahe 2 %. Wieland ist dafür, sich weitere Inflationsmaße anzusehen, wie von Heise vorgeschlagen. Denn im HVPI etwa seien selbst genutztes Wohneigentum und Mieten nicht enthalten, die den Indikator im Schnitt etwas angehoben hätten.Aus Heises Sicht wäre es auch sehr wichtig, dem Einfluss der Geldpolitik auf den Finanzzyklus mehr Gewicht zu geben in der tatsächlichen Entscheidungsfindung. Eine Zentralbank solle versuchen, die Übertreibungen an den Finanzmärkten, die sich häufig in Spätphasen eines Zyklus ergäben, abzudämpfen und sie nicht etwa zu verstärken.