LEITARTIKEL

Als wäre nichts passiert

Auf den ersten Blick hat sich die mit dem Brexit verbundene Unsicherheit etwas gelegt. Vor einem Jahr stellte die britische Premierministerin Theresa May den Austrittsantrag nach Artikel 50 des Vertrags von Lissabon. Die Bevölkerung ist in dieser...

Als wäre nichts passiert

Auf den ersten Blick hat sich die mit dem Brexit verbundene Unsicherheit etwas gelegt. Vor einem Jahr stellte die britische Premierministerin Theresa May den Austrittsantrag nach Artikel 50 des Vertrags von Lissabon. Die Bevölkerung ist in dieser Frage so gespalten wie vor zwei Jahren, als wäre seitdem nichts passiert. Nun aber haben sich beide Seiten im Prinzip auf einen Übergangszeitraum geeinigt, in dem sich so gut wie nichts ändern wird, außer dass die Briten bei Entscheidungen der Staatengemeinschaft nicht mehr mitbestimmen dürfen. Angesichts der Zugeständnisse, die Großbritannien dafür gemacht hat, ist man in Brüssel und Berlin vermutlich heute noch in Champagnerlaune. Aber wehe, wehe, wehe, wenn ich auf das Ende sehe, heißt es schon bei Wilhelm Busch. In Großbritannien fragt man sich, welche Absprachen es wohl zwischen der Regierung und den nordirischen Unionisten sowie EU-Gegnern innerhalb der konservativen Partei gegeben hat, um diese zum Stillhalten zu bewegen. Ohne die Stimmen der Democratic Unionist Party kann Theresa May nicht regieren, von den zahlreichen Mitgliedern der parteiinternen European Research Group, in der sich die Befürworter eines klaren Schnitts mit der EU zusammengeschlossen haben, ganz zu schweigen. Die Übereinkunft dürfte ihnen so verkauft worden sein, dass man lediglich Chaos nach dem Austrittstermin im März 2019 vermeiden, dafür aber keine rechtsverbindlichen Garantien abgeben wollte. Der britische Verhandlungsführer David Davis vermied es bei Bekanntgabe der als Durchbruch gefeierten Einigung nicht ohne Grund, sich auf den von den Juristen der EU-Kommission entworfenen Text für einen Austrittsvertrag zu beziehen. Zur Frage der künftigen Gestaltung der EU-Außengrenze in Irland sagte er sogar ausdrücklich, dass man sich nicht auf die darin enthaltenen Formulierungen geeinigt habe. Aber selbst bei so einer mehr oder weniger unverbindlichen Einigung steckt der Teufel im Detail: EU-Fangflotten sollen vorerst weiter Zugang zu britischen Fischgründen haben, denn auch die gemeinsame Fischereipolitik soll für die Dauer des Übergangszeitraums fortbestehen. Schottische Fischer, die für den Brexit gestimmt hatten, weil sie mit den subventionierten Rivalen aus Resteuropa nicht mithalten können, waren außer sich. Daraufhin schrieben 14 konservative und unionistische Abgeordnete, unter ihnen Jacob Rees-Mogg, der Wortführer der Brexiteers, an die Premierministerin und drohten, den Deal im Parlament nicht abzunicken. Damit ist das Kalkül der Regierung, die vergrätzten Fischer würden bei den nächsten Wahlen schon nicht für Labour stimmen, nicht aufgegangen. Die Abstimmungsniederlage droht schon viel früher.In den kommenden Monaten dürfte der Umstand an Bedeutung gewinnen, dass der zuletzt verkündete Deal nicht rechtsverbindlich wird, bevor die EU dem Austrittsvertrag – sollte man sich je auf einen einigen können – zugestimmt und ihn ratifiziert hat. Man darf gespannt sein, ob die 26 anderen Staaten Resteuropas Spanien erlauben werden, eine Übereinkunft wegen seiner Territorialansprüche auf Gibraltar zu Fall zu bringen. Dem Affenfelsen in den Richtlinien des Europäischen Rats für die Brexit-Verhandlungen eine Sonderstellung einzuräumen war eine Dummheit, wie man sie nicht einmal dem Londoner Trio Infernale aus David Davis, Außenminister Boris Johnson und Umweltminister Michael Gove zutrauen würde. Madrid strebt zumindest die gemeinsame Kontrolle des Flughafens und eine Steuerharmonisierung an und dürfte damit noch für reichlich Unterhaltung sorgen. Noch dramatischer wäre ein Veto Irlands gegen eine Einigung, sobald sich abzeichnet, dass die französischen Bauern eine befestigte Außengrenze der Zollunion, die sie vor günstigeren landwirtschaftlichen Produkten aus aller Welt schützt, einer Sonderlösung für Nordirland vorziehen. Viel hängt nun davon ab, wie schnell sich die von manchen Volkswirten bereits erwartete Abkühlung der Weltkonjunktur vollziehen wird. Die Bank of England ist nicht ohne Grund darauf bedacht, ihren Spielraum für geldpolitische Stimuli durch einen weiteren Zinsschritt im Mai auszuweiten. Die nächste Krise kommt so sicher wie das Amen in der Kirche. Die Eurozone ist darauf nicht vorbereitet. Der Ausgang eines zweiten Referendums, auf das man in Brüssel hofft, wäre vorgezeichnet, wenn die Schwächen des europäischen Projekts in einem Abschwung klar zutage träten. —-Von Andreas HippinDie Einigung auf einen Übergangszeitraum nach dem Brexit ist noch nicht in trockenen Tüchern. Irland und Spanien könnten querschießen.—-