IM BLICKFELD

Amerika muss bald einen Kompromiss finden

Von Peter de Thier, Washington Börsen-Zeitung, 15.5.2013 Die USA rutschen immer tiefer in die roten Zahlen. Seit über 4 Jahren hat der Senat kein Haushaltsgesetz mehr verabschiedet, und ein Kompromiss im Streit um die Sanierung der Staatsfinanzen...

Amerika muss bald einen Kompromiss finden

Von Peter de Thier, WashingtonDie USA rutschen immer tiefer in die roten Zahlen. Seit über 4 Jahren hat der Senat kein Haushaltsgesetz mehr verabschiedet, und ein Kompromiss im Streit um die Sanierung der Staatsfinanzen ist in weiter Ferne. Doch jene Panik, die im Sommer 2011 durch das historische Downgrade von US-Staatsanleihen rasches Handeln nahelegte, ist zwischenzeitlich lässigem Phlegma gewichen. Anstatt sich der eigenen Schuldenmisere zu widmen, schimpfen Politiker in Washington wieder auf die Europäer. Die Verdrängungstaktik birgt aber Risiken.Eine knappe Dekade später scheint die markante Parole des früheren Vizepräsidenten Dick Cheney, wonach “Defizite nichts ausmachen”, wieder Gültigkeit erlangt zu haben. Dabei ist es gar nicht so lange her, dass Demokraten und Republikaner hoch und heilig versprochen hatten, sich zusammenzuraufen, um die Staatsfinanzen wieder ins Lot zu bringen. Ende Juli 2011 hatten die USA ein weiteres Mal das staatliche Schuldenlimit erreicht. Seit der Jahrtausendwende hatte der Kongress achtmal die gesetzlich festgelegte Grenze völlig unbemerkt angehoben.Doch aus der Pflichtübung wurde diesmal ein bitteres Tauziehen, das die Republikaner nutzen wollten, um Obamas Ausgabenpolitik an den Pranger zu stellen. Die Strategie entfaltete aber einen Bumerang-Effekt: Zum ersten Mal in der Geschichte stufte eine führende Ratingagentur US-Staatstitel herab. Die Märkte reagierten panisch, der Dollar brach ein und beide Parteien verpflichteten sich, bis Ende des Jahres 1,2 Bill. Dollar an Sparmaßnahmen zu verabschieden. Damit sollte unter anderem verhindert werden, dass es im Kongress alle paar Monate wieder zum kontraproduktiven Streit um die Verschuldungsgrenze kommt.Doch bei dem guten Vorsatz ist es geblieben. Das Unvermögen, einen Kompromiss zu schließen, führte Ende 2012 zur gefürchteten Fiskalklippe, deren Folgen lediglich durch einen faulen Kompromiss abgefedert werden konnten. Dann griffen Anfang März gesetzlich vorgeschriebene Einsparungen, ebenfalls eine Folge der nicht eingelösten Versprechen. Wenige Wochen danach drohte ein Stillstand des staatlichen Verwaltungsapparats. Mit Flickwerk ist es gelungen, die Deadline nun bis Oktober aufzuschieben.So lange dürfte es auch dauern, bis sich Demokraten und Republikaner wieder ernsthaft der Schuldendebatte annehmen. Denn die Fronten sind festgefahrener denn je. Obama will auf 10 Jahre verteilt mit 1,8 Bill. Dollar an Einsparungen und Steuererhöhungen den Schuldenberg abtragen, während die Republikaner mehr als das Doppelte verlangen. Sie wollen 4,6 Bill. Dollar sparen. Dazu wollen sie Obamas Gesundheitsreform wieder aufschnüren, gesetzliche Ausgabenprogramme wie Medicare und Medicaid von Grund auf umkrempeln und im Gegensatz zum Präsidenten Steuern um keinen Preis erhöhen, sondern durch eine Vereinfachung des Einkommenssteuersystems die Abgabenlast sogar verringern. “Weiter könnten die Seiten nicht auseinander sein” erklärt der Nationalökonom Desmond Lachman vom American Enterprise Institute. “Für die Zukunft der Haushaltsverhandlungen verheißt das nichts Gutes.”Bis zum Ultimatum im Herbst werden die Staatsfinanzen weiter außer Kontrolle geraten. Selbst das Office of Management and Budget (OMB), die Haushaltsbehörde des Weißen Hauses, erwartet trotz der Sparmaßnahmen 2013 nur einen geringfügigen Rückgang der Defizitquote von 7,0% (2012) auf 6,0% und prognostiziert eine Neuverschuldung von fast 1 Bill. Dollar. Die Verschuldungsquote nähert sich der Marke von 105%. Die Politiker aber trösten sich damit, dass das Tempo der Neuverschuldung zwar weiter hoch ist, sich aber zwischenzeitlich wenigstens etwas verlangsamt hat.Mit ihrer hartnäckigen Verdrängung der nüchternen fiskalischen Realität geben sich Regierung und Opposition einer gefährlichen Illusion hin, dass nämlich der Rest der Welt stillschweigend das Ausufern der US-Staatsschulden dulden wird. “Pleite haben wir dann gemacht, wenn Anleger unsere Anleihen nicht mehr wollen”, erklärt Fred Bergsten, der Gründer und ehemalige Präsident des Peterson Institute for International Economics (PIIE). “Dabei übersehen viele, dass wir an diesem Punkt schon fast angelangt sind”. Während China, Japan und andere Länder den Anteil der Treasury Bills an ihrem Portfolio weiter zurückfahren, ist laut Bergsten “mittlerweile die Fed der mit Abstand beste Kunde”. Für deren Anleihenkaufprogramm seien aber die Tage gezählt. Schwillt der Schuldenberg weiter an, das glaubt nicht nur Bergsten, dann sind mittelfristig ein Kursverfall des Dollar und daraus resultierende Inflation, die wiederum die Fed zu einem Kurswechsel zwingen könnte, die unausweichlichen Folgen.Diese Realität aber wollen Politiker nicht wahrhaben und schieben stattdessen Partnerländern den schwarzen Peter zu. Während seines Antrittsbesuches in Europa im vergangenen Monat legte der neue US-Finanzminister Jack Lew seinen Amtskollegen nahe, von der Sparpolitik wieder Abstand zu nehmen und mit wachstumsorientierter Wirtschaftspolitik jeweils ihre Binnennachfrage anzukurbeln. Dagegen hatte es doch lange Zeit geheißen, man solle jenseits des Atlantik kräftig sparen, um die Euro-Krise in den Griff zu bekommen.Die widersprüchliche Aufforderung beschreibt exakt jenes Dilemma, in dem auch Obama steckt: Er will die Konjunktur stimulieren und den Arbeitsmarkt beleben, muss aber gleichzeitig versuchen, das Defizit abzubauen. Seit über 2 Jahren hat ihm die Notenbank geholfen, diesen Konflikt zu lösen. Doch selbst Fed-Chef Ben Bernanke hat gesagt, dass “Geldpolitik kein Allheilmittel ist”, und ohne ernsthafte Kompromissbereitschaft zwischen Demokraten und Republikanern ist für Amerikas eigene Schuldenkrise keine Lösung in Sicht.