Amerikas ängstliche Internetsurfer
Ist der Orwell’sche Überwachungsstaat nun perfekt? Zunächst löste der Spähskandal um die National Security Agency (NSA) bei den Amerikanern helle Empörung aus. Nach der jüngsten Wende im ausufernden Skandal ist sie einer neuen Emotion gewichen: Angst. Internetbenutzer sind zunehmend besorgt, dass denjenigen, die sich auf den Websites von Medienorganisationen kritisch zu den Überwachungs- und Abhörmethoden der NSA äußert, unangenehme Konsequenzen drohen. Damit wären in den USA die Pressefreiheit und das von der Verfassung garantierte Recht auf freie Meinungsäußerung faktisch am Ende.Ausgelöst wurde die jüngste Facette in der Debatte um die NSA durch die Entscheidung des E-Mail-Providers Lavabit, seine Dienste einzustellen. Der Firma drohte offenbar eine Anklage wegen Beihilfe zum Staatsverrat, weil ihr prominentester Kunde, Edward Snowden, Lavabits verschlüsselte Kommunikationsdienste genutzt hatte, um sich dem Zugriff der NSA zu entziehen. Im Internet beherrschte das Thema die Schlagzeilen, und in führenden US-Medien, von Yahoo über AOL bis hin zu den Onlineausgaben traditionsreicher Zeitungen wie der “Washington Post” und der “New York Times”, beobachteten Experten einen bemerkenswerten Trend: Es wurden im Gegensatz zu früher deutlich weniger Kommentare abgegeben. Insbesondere hielten sich Leser mit kritischen Anmerkungen zurück. Zu dem Kommentar eines prominenten Kolumnisten der CNN etwa, mit dem Leser sonst in einen regen Online-Dialog treten, hatten sich weniger als ein halbes Dutzend Leser geäußert, ein absolutes Rekordtief.Der Medienwissenschaftler Seth Anderson hat eine simple Erklärung parat: “Die Leute haben mittlerweile Angst, dass öffentliche Kritik dazu führt, dass sie ins Visier der Geheimdienste geraten und ihre E-Mails, SMS, Internetverkehr und andere elektronische Kommunikation dann noch gründlicher überwacht werden.” Die Privatsphäre wenigstens einigermaßen zu schützen, davon ist eine Mehrheit der Experten überzeugt, sei den meistern Internetsurfern in der Endabrechnung immer noch wichtiger, als auf ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung zu beharren. *Es ist eine bemerkenswerte Ironie: Während der Rezession lebten die Menschen in der US-Hauptstadt Washington D.C. und den angrenzenden Staaten auf einer Insel der Seligen. Überall zog die Arbeitslosenquote dramatisch an. In den Staaten Maryland, Virginia und der Hauptstadt selbst trat aber das Gegenteil ein. Das antizyklische Fiskalverhalten der Regierung von Barack Obama, sprich staatliche Ausgabenprogramme um die Konjunktur zu beleben, schlug vor allem in Washington und Umgebung positiv zu Buche. Rüstungsunternehmen, Finanzdienstleister, Consulting-Firmen, “Think Tanks”, Forschungsinstitute und Bauunternehmen erhielten Megaaufträge. Mit einer Arbeitslosenquote von etwa 5 % herrschte in Virginia praktisch Vollbeschäftigung.Nun aber erholt sich der Arbeitsmarkt in weiten Teilen der USA, und in der “D.C. Metro Area”, wie die Gegend genannt wird, verlieren immer mehr Menschen ihre Jobs. Grund für den gegenläufigen Trend sind die gesetzlich vorgeschriebenen Zwangseinsparungen. Im Vormonat verzeichneten Washington und die beiden angrenzenden Staaten einen erneuten Anstieg der Arbeitslosenquote. Öffentlich Bedienstete wurden entlassen, die Regierung hat kein Geld mehr und erteilt zudem weniger Aufträge an die zahlreichen in der Region ansässigen IT-Firmen, Baukonzerne und anderen Unternehmen. “Der Sequester ist wie eine Infektion”, erklärt der Nationalökonom Stephen Fuller von der George Mason Universität. “Am lokalen Arbeitsmarkt sind jetzt die ersten Symptome zu beobachten, während der kommenden Monate wird sich der Ansteckungseffekt aber beschleunigen.” Ein Beispiel hierfür liefert das Consultingunternehmen Booz Allen Hamilton, das begonnen hat, langjährige Mitarbeiter zu entlassen. “Angesichts der aktuellen Auftragslage in der Region um Washington hatten wir keine Wahl, als mit Kündigungen auf die Kostenbremse zu treten”, sagte ein Firmensprecher.