LEITARTIKEL

An der Grenze

Für EZB-Präsidentin Christine Lagarde kommt die Feuertaufe nun viel schneller als gedacht. Noch zum Jahreswechsel schien das Kapitel Euro-Geldpolitik im Jahr 2020 eher langweilig zu werden - Spannung versprach nur die erste Strategieüberprüfung seit...

An der Grenze

Für EZB-Präsidentin Christine Lagarde kommt die Feuertaufe nun viel schneller als gedacht. Noch zum Jahreswechsel schien das Kapitel Euro-Geldpolitik im Jahr 2020 eher langweilig zu werden – Spannung versprach nur die erste Strategieüberprüfung seit 2003. Jetzt aber kommt es knüppeldick: Coronakrise, Börsencrash, Ölpreisverfall, Euro-Aufwertung. Die Europäische Zentralbank (EZB) kann in dieser Gemengelage sicher nicht nichts machen. Sie kann aber ganz sicher auch nicht alles richten. Die EZB hat bislang gut daran getan, nicht überstürzt zu handeln. Jetzt braucht es weiter einen kühlen Kopf statt blinden Aktionismus. An den Finanzmärkten herrschen aktuell Panik und Angst. Und natürlich kann die EZB das nicht ignorieren – auch weil die geldpolitische Transmission stark über die Märkte läuft. Im Notfall muss sie sich auch wie 2008 entschlossen gegen einen Kollaps der Märkte und des Finanzsystems stellen. Aber die EZB darf sich auch nicht – wie unter Lagarde-Vorgänger Mario Draghi allzu oft – von den kurzatmigen Märkten abhängig machen. Die Finanzierungsbedingungen sind zudem immer noch größtenteils sehr günstig. Und so übertrieben der Aktienausverkauf nun wirkt, so überzogen war auch manche Bewertung vor der jüngsten Kurskorrektur. Hinzu kommt: Die panisch anmutende Zinssenkung der US-Notenbank hat gezeigt, dass Zentralbanken Unsicherheit verstärken können, wenn sie den Eindruck erwecken, die Lage sei noch viel schlimmer als befürchtet.Was die wirtschaftlichen Konsequenzen des Coronavirus betrifft, ist es für seriöse Aussagen immer noch zu früh. Klar ist aber, dass die Ausbreitung, mehr aber noch die teils drastischen Maßnahmen zur Eindämmung à la Italien tiefe Spuren hinterlassen werden. Die Eurozone könnte im ersten Halbjahr sogar in eine (technische) Rezession stürzen. Auch davor kann die EZB nicht die Augen verschließen – zumal wenn auch Ölpreisverfall und Euro-Aufwertung die Inflation im Frühjahr womöglich gar Richtung Nulllinie drücken. Die allmähliche Erholung des privaten und des Wirtschaftslebens in China nährt aber zugleich die Hoffnung, dass auch in Europa die Situation absehbar an Dramatik verliert und im Jahresverlauf eine wirtschaftliche Erholung einsetzt. Endzeitstimmung ist absolut fehl am Platz. Das spricht ebenfalls dagegen, jetzt überzureagieren.Fakt ist zudem, dass die Mittel der EZB zunehmend ausgereizt sind und eine weitere breite Lockerung auch kaum noch groß Nutzen erzielen dürfte. Vor allem aber kann die Geldpolitik bei einem primär angebotsseitigen Schock, respektive einem simultanen Angebots- und Nachfrageschock ohnehin wenig ausrichten. Wichtiger sind gezielte fiskal- und wirtschaftspolitische Maßnahmen wie Liquiditätsspritzen für stark betroffene Firmen oder Arbeitsmarkthilfen wie das Kurzarbeitergeld. Die Politik sollte auch ungewöhnliche Maßnahmen wie Steuerstundungen oder vorübergehende Mehrwertsteuersenkungen erwägen. Die Beschlüsse der Bundesregierung gehen in die richtige Richtung, reichen aber nicht. Noch besser wäre eine EU-weit koordinierte Antwort.Die EZB ihrerseits sollte klarmachen, dass sie parat steht, die Stabilität der Finanzmärkte zu sichern – was aber nicht bedeuten darf, jede Preiskorrektur auszubügeln. Und falls es nötig wird, ein einzelnes Land wie Italien rauszuboxen, obliegt das der Euro-Politik, nicht der Geldpolitik. Sicher macht es für die EZB auch Sinn, mit Liquiditätsspritzen zu gewährleisten, dass die Kreditvergabe der Banken speziell an kleine und mittlere Unternehmen nicht übermäßig restriktiv wird. Zudem kann sie bei QE pragmatisch agieren und zeitweise Unternehmens- oder Peripherieanleihen stärker gewichten – solange nicht grundsätzlich am Kapitalschlüssel gerüttelt wird. Eine Aufstockung der QE-Käufe scheint aktuell nicht zwingend und muss wenn zeitlich klar befristet werden. Eine weitere Senkung des negativen Einlagenzinses wäre dagegen kaum mehr als Symbolpolitik – aber mit großen Risiken für die Kreditvergabe.——Von Mark SchrörsCoronakrise, Börsencrash, Ölpreisverfall: Die EZB kann in dieser Gemengelage sicher nicht nichts machen. Sie kann aber sicher auch nicht alles richten.——