Arbeitsmarkt

Bis Sommer im Klammergriff der Pandemie

Die Experten setzen auf Herdenimmunität in der zweiten Jahreshälfte. Bis dahin soll die wirtschaftliche Erholung in Deutschland nur schleppend verlaufen. Die Ausbildungssituation wird 2021 schwierig.

Bis Sommer im Klammergriff der Pandemie

Von Anna Steiner, Frankfurt

Die Coronapandemie hat den jahrelangen Aufschwung am deutschen Arbeitsmarkt gestoppt. Durch die wirtschaftlichen Einschränkungen ist die Beschäftigung gesunken und die Arbeitslosigkeit gestiegen. Mit der Impfung großer Bevölkerungsteile und der Wiederaufnahme wirtschaftlicher Aktivitäten ist die Hoffnung auf eine Entspannung am Arbeitsmarkt verbunden. Die meisten der von der Börsen-Zeitung befragten Ökonomen rechnen allerdings mit einer eher schleppenden Erholung.

Entscheidend für den Arbeitsmarkt ist die Wiederaufnahme der besonders eingeschränkten Dienstleistungen. Die Bundesregierung geht inzwischen nur noch von einem Wirtschaftswachstum in Höhe von 3,0% im laufenden Jahr aus (siehe Text auf dieser Seite). Die Prognose des Leibniz-Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) liegt mit 3,5% etwas darüber. Für 2022 erwarten die ZEW-Ökonomen ca. 3% Wachstum. ZEW-Experte Friedhelm Pfeiffer mahnt: „Das wird jedoch nicht ausreichen, um die Beschäftigung in diesem Zeitraum konstant zu halten. Mittelfristig wird die Beschäftigung moderat zurückgehen und die Arbeitslosigkeit weiter leicht steigen, etwa im Umfang wie 2020.“ Immer wieder wird ein Lockdown bis Ostern ins Spiel gebracht. Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) rechnet vor: „Nach unserer Wirtschaftseinschätzung dürfte jede Woche Lockdown 0,4% des Quartals-BIP kosten.“ Je länger der Lockdown anhält, desto teurer ist er für die Wirtschaft und desto langsamer geht es dann auch am Arbeitsmarkt bergauf. Das IAB kündigte in seiner Herbstprognose bereits einen „schwierigen Erholungskurs“ an.

Zuversichtlicher äußert sich Alexander Herzog-Stein, Arbeitsmarktexperte des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Er geht davon aus, dass der verlängerte Lockdown den Erholungsprozess zwar verzögert. „Im weiteren Jahresverlauf wird die Beschäftigung aber zunehmen und die Arbeitslosigkeit in Deutschland zurückgehen.“ Die von der Regierung ergriffenen Maßnahmen wie die Fortzahlung des Kurzarbeitergeldes dürften den Arbeitsmarkt weiterhin stützen.

Frühindikatoren schwächeln

Wenig optimistische Signale senden die Frühindikatoren von IAB und Ifo-Institut. So sanken sowohl das IAB-Arbeitsmarktbarometer (100,2 Punkte) als auch das Ifo-Beschäftigungsbarometer (95,0 Punkte), wenn auch nicht so deutlich wie im Frühjahr 2020. Laut Ifo-Barometer sind Unternehmen in der Mehrheit, die ihre Mitarbeiterzahl halten oder verringern wollen. Das IAB-Arbeitsmarktbarometer ist zwar erstmals seit dem Frühjahr deutlich gesunken, verharrt jedoch nach wie vor im positiven Bereich über 100 Zählern. „Der Arbeitsmarkt hält sich in der Krise gut, aber eine durchgreifende Erholung wird nicht einfach“, erklärt IAB-Experte Weber.

Sorgen bereitet vielen die Situation von Schulabgängern und Berufsanfängern. Christa Larsen, Ge­schäftsführerin des Instituts für Wirtschaft, Arbeit und Kultur (IWAK) der Goethe-Universität in Frankfurt, sieht hier zwei mögliche Szenarien. Es werde 2021 weniger Auszubildende geben. Das hänge jedoch auch mit dem Trend der Akademisierung zusammen: Seit Jahren geht ein immer größerer Anteil der Schulabgänger an die Uni. Dadurch könnte es insbesondere für Handwerksbetriebe schwierig werden, Nachwuchs zu finden. Vom IWAK befragte Wirtschaftsförderer in Hessen gehen laut Larsen jedoch davon aus, dass viele Berufsanfänger das vergangene Jahr genutzt hätten, um sich zu informieren. Sie orientierten sich nun regionaler und nutzten mehr virtuelle und digitale Angebote. Dadurch könnte sich die Situation am Ausbildungsmarkt auch entspannen.

Viele Ökonomen sehen den Staat weiterhin in der Pflicht. „Viel wird davon abhängen, ob es der Bundesregierung gelingt, glaubwürdig eine mittelfristige Exitstrategie aus der Pandemie zu kommunizieren“, sagt André Wolf, Konjunkturexperte des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts (HWWI). Da die Insolvenzzahlen noch relativ niedrig sind, glaubt Sebastian Link vom Ifo-Institut, dass die Überbrückungshilfen des Bundes einen wichtigen Beitrag zur Stabilisierung geleistet haben. „Die bevorstehende Insolvenzwelle dürfte damit zwar nicht komplett vermieden, aber dennoch spürbar abgeflacht werden.“ Zu erwarten sind zudem deutliche Unterschiede zwischen den Branchen.

Trotz der aktuellen Anlaufschwierigkeiten ruhen große Hoffnungen auf den Impfungen. „Es besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass die Coronakrise erst vorüber ist, wenn durch Impfungen eine Herdenimmunität erreicht werden konnte“, sagt Link. Dann erst könne mit einer kräftigen Erholung in der Wirtschaft und am Arbeitsmarkt gerechnet werden. So weit wird es allerdings wohl erst in der zweiten Jahreshälfte sein.

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