Lieferverzögerungen

AstraZeneca-Werk in Belgien inspiziert

Der Impfstoffstreit zwischen der EU-Kommission und AstraZeneca eskaliert weiter. Gestern wurde die belgische Medizinaufsichtsbehörde FAGG in einem Werk des britisch-schwedischen Pharmakonzerns am Standort Seneffe vorstellig. Man habe prüfen...

AstraZeneca-Werk in Belgien inspiziert

ahe/hip/sp Brüssel/London/Berlin

Der Impfstoffstreit zwischen der EU-Kommission und AstraZeneca eskaliert weiter. Gestern wurde die belgische Medizinaufsichtsbehörde FAGG in einem Werk des britisch-schwedischen Pharmakonzerns am Standort Seneffe vorstellig. Man habe prüfen wollen, ob die vom Unternehmen angekündigten Lieferverzögerungen tatsächlich mit Problemen in dem Werk zusammenhingen, hieß es. Die Behörde wurde nach eigenen Angaben von der EU-Kommission um die Inspektion gebeten, was diese allerdings nicht bestätigte.

EU-Ratspräsident Charles Michel erklärte gestern, sollte keine zufriedenstellende Lösung in dem Streit gefunden werden, müsse die EU auch rechtliche Mittel und Zwangsmaßnahmen prüfen, um die Impfstofflieferungen wie vereinbart sicherzustellen. Medienberichten zufolge ist AstraZeneca mittlerweile bereit, den mit der EU-Kommission geschlossenen Vertrag in einer redigierten Form zu veröffentlichen.

In den britischen Medien hat das Vorgehen Brüssels unterdessen heftige Reaktionen hervorgerufen. AstraZeneca werde zum Sündenbock für das „atemberaubende institutionelle Versagen“ der EU-Kommission gemacht, hieß es im konservativen „Daily Telegraph“. „Brüssel will, dass Briten sterben, damit Europäer leben können.“ Die Massenblätter erweckten den Eindruck, die Europäer wollten den Briten ihren Impfstoff wegnehmen. Ein Kolumnist verglich die Konsequenzen der Pandemie mit dem Mord am österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand in Sarajevo im Juni 1914.

Auch der „Guardian“, die BBC und Channel 4, die der EU sonst eher freundlich gesonnen sind, stellten deren Argumentation in Frage. „Impfstoffnationalismus“ sei Wirklichkeit geworden, kritisierte Jeremy Farrar, Direktor des gemeinnützigen Welcome Trust und wissenschaftlicher Berater der britischen Regierung. Diese Impfstoffstreitigkeiten nützten niemandem.

Britische Regierungsvertreter versuchten, den Streit zu entschärfen, ohne Ängste über eine Gefährdung der eigenen Impfstoffversorgung aufkommen zu lassen. „Die Lieferungen, die vorgesehen, bezahlt und eingeplant sind, werden weitergehen“, sagte Michael Gove, der in Boris Johnsons Kabinett auch das Thema Brexit verantwortet. Der Premierminister wich allen Fragen aus, die ihn dazu gezwungen hätten, eine klare Position zu beziehen.

Impfgipfel mit der Kanzlerin

Für heute wird die Zulassung des AstraZeneca-Impfstoffs durch die europäische Aufsichtsbehörde EMA erwartet. Die deutsche Ständige Impfkommission empfahl gestern, den Impfstoff nur für unter 65-Jährige einzusetzen.

Die Spitzen von Bund und Ländern haben sich angesichts der wachsenden Kritik zur Versorgung mit Impfstoff zu einem Impfgipfel am Montagnachmittag verabredet, an dem auch Vertreter der Impfstoffhersteller sowie der betreffenden Verbände teilnehmen sollen. Gesundheitsminister Jens Spahn warnte gestern, dass es noch mindestens zehn harte Wochen bei der Impfstoffversorgung geben werde.

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.