LEITARTIKEL

Auf Autopilot

Die britische Premierministerin Theresa May hat eine gute Ausrede, wenn die Frage aufkommen sollte, warum ihre Regierung nicht viel zustande bringt. Schließlich kann sie behaupten, dass die zähen Verhandlungen mit Brüssel ihre ganze Aufmerksamkeit...

Auf Autopilot

Die britische Premierministerin Theresa May hat eine gute Ausrede, wenn die Frage aufkommen sollte, warum ihre Regierung nicht viel zustande bringt. Schließlich kann sie behaupten, dass die zähen Verhandlungen mit Brüssel ihre ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen. Leider wird die Frage in Westminster viel zu selten gestellt. Stattdessen wurde in den vergangenen Wochen inbrünstig über weit in die Vergangenheit zurückreichende Vorwürfe sexueller Belästigung debattiert. Selbst die Frage, ob man der Queen zumuten könne, einen Donald Trump zu treffen, spielte eine größere Rolle als Themen, die für die Zukunft des Landes nach dem Austritt aus der EU von entscheidender Bedeutung sind. Oppositionsführer Jeremy Corbyn sonnte sich derweil in dem Bewusstsein, dass ihn ein Stratege der US-Investmentbank Morgan Stanley zu einer mindestens so großen Bedrohung für die Finanzmärkte erklärt hatte wie den Brexit.Mays Regierung hat auf Autopilot umgeschaltet. Nichts brachte das deutlicher zum Ausdruck als das verzagte Autumn Statement des Schatzkanzlers – ein Haushalt ohne jede Vision, in dem nichts auftauchte, was irgendwelche Kontroversen hätte auslösen können. Handwerkern und anderen Fahrern von Diesel-Lieferwagen, die man kurz zuvor noch zu den Hauptverantwortlichen für die Luftverschmutzung in den britischen Großstädten erklärt hatte, wurden nun doch keine großen Zusatzkosten aufgebrummt. Eine Erhöhung der Sozialversicherungsbeiträge für Selbständige, die derzeit erheblich weniger zahlen als abhängig Beschäftigte, war kein Thema mehr. Schließlich hätte das die eigene Klientel verärgert. Schottland erhält 400 Mill. Pfund jährlich, um zu demonstrieren, dass es der schottischen Nationalisten eigentlich gar nicht bedarf. Die Kosten der häuslichen Pflege wurden nicht mehr groß erwähnt, nachdem Mays vergleichsweise ehrliche Herangehensweise an das Thema dafür gesorgt hatte, dass die Tories bei der Wahl im Juni ihre Mehrheit im Unterhaus verloren. Stattdessen gab es mehr Geld, um die Krise am Wohnungsmarkt anzugehen. Der Großteil davon dürfte allerdings lediglich dazu führen, dass die Preise für Eigenheime weiter steigen. Das Gesundheitswesen NHS erhielt ebenfalls eine Finanzspritze, zwar nicht im geforderten Volumen, aber dafür wurde auch nicht mit einer radikalen Reform der verkrusteten Strukturen dort gedroht.Es ist schon erstaunlich, dass das Schatzamt auf diese Weise weiterwursteln will, während das Land vor einer historischen Zäsur steht: dem Austritt aus der EU. Die Wirtschaft verliert bereits an Tempo, die Verbrauchernachfrage schwächelt. Eigentlich wären öffentliche Investitionen im großen Stil angesagt, um einen Abschwung zu vermeiden – etwa in den sozialen Wohnungsbau, die marode Verkehrsinfrastruktur und ein wettbewerbsfähiges System der beruflichen Aus- und Weiterbildung. Aber David Camerons Schatzkanzler George Osborne hat den Spielraum seiner Nachfolger durch eine Schuldenbremse und die Einsetzung unabhängiger Haushaltshüter erheblich eingeschränkt. Das müsste man erst einmal rückgängig machen, um nicht nur verwaltend, sondern auch gestaltend tätig werden zu können. Aber dafür gibt es weder im zutiefst zerstrittenen Kabinett noch in der Konservativen Partei eine Mehrheit.Dabei hätte Hammond keine Probleme, nach Belieben Staatsanleihen am Bondmarkt zu platzieren. Auf die von viel Stirnrunzeln britischer Wirtschaftsjournalisten begleitete Meldung, dass sich die schwarze Null im Haushalt weiter nach hinten verschieben wird, reagierten Anleger mit Schulterzucken. Die Renditen blieben unverändert. Das Ansinnen Osbornes, die öffentliche Neuverschuldung radikal zurückzufahren, löste bei Investoren einst Überraschung aus, denn es hatte dafür von Seiten des Finanzmarkts keinerlei Anlass gegeben.Ohne jede Vorstellung davon, wie es in Großbritannien nach dem Brexit weitergehen soll, und ohne großen Rückhalt in ihrer Partei kann May nur darauf hoffen, dass es zu einer wie auch immer gearteten Einigung mit der EU kommt, die ihrer Regierung ein Weiterwursteln ermöglicht. Dabei kommt ihr zugute, dass sich führende Brexit-Befürworter wie Außenminister Boris Johnson und der ehemalige Parteichef Iain Duncan Smith offenbar dazu entschlossen haben, auch eine sehr hohe Schlussrechnung der EU hinzunehmen, um ihr Projekt zum Abschluss zu bringen. Es gibt also durchaus Hoffnung auf eine Einigung mit Brüssel. Dann könnte May die heimischen Probleme noch lange vor sich herschieben.——–Von Andreas HippinOhne jede Vorstellung davon, wie es nach dem Brexit weitergehen soll, kann Großbritanniens Premierministerin nur auf eine schnelle Einigung mit Brüssel hoffen.——-